Das Original war ein maßgeschneiderter Kassenschlager, bevor es das Genre "Blockbuster" überhaupt gab: DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON ließ einen Luxusliner durch eine gigantische Flutwelle kopfüber im Wasser treiben und eine ganze Kompanie von Stars durch das sinkende Schiff hetzen, um einen möglichen rettenden Ausweg an der Unterseite des Schiffes – also der Seite, die nun oben schwamm – zu finden. Der 1972 von Irwin Allen produzierte Film lieferte exakt die Sensation, die er versprach, und legte – zusammen mit dem Erfolg des zwei Jahre zuvor erschienenen Flugzeugdramas AIRPORT – den Grundstein für das Genre des Katastrophenfilms, das schnell immer spektakulärere Desaster filmisch aufbereitete: ERDBEBEN, FLAMMENDES INFERNO, DIE HINDENBURG, ACHTERBAHN – was immer brennen, explodieren, untergehen, abstürzen, zerfallen oder sonstwie kaputtgehen und dabei hunderte von Menschen in den Tod reißen konnte, war bald auf der Leinwand zu bestaunen. Inmitten der Katastrophe und des Kampfs ums Überleben spielte sich stets menschliches Drama ab: In ERDBEBEN geht abgesehen von diversen Wolkenkratzern und dem Freeway in Los Angeles auch noch Charlton Hestons Ehe in die Brüche. An manchen Tagen geht eben alles schief.
Für die damalige Zeit stellte DIE HÖLLENFAHRT DER POSEIDON eine tricktechnische Meisterleistung dar – nicht nur konnte das Innere eines ga
nzen Schiffes auf dem Kopf stehend bestaunt werden; die Räume wurden auch nach und nach überflutet, während sich die Figuren durch Schächte und über Abgründe hangeln müssen – aber natürlich nagt der Zahn der Zeit an jedem Spezialeffekt: Wir Cineasten mögen vielleicht die alten visuellen Tricks bewundern, die Fertigkeiten ihrer Macher loben und – oft ganz zu Recht! – darauf hinweisen, wie gut sie doch eigentlich selbst heute noch wirken. Aber natürlich sind die Illusionisten in Hollywood mittlerweile zu noch viel realistischeren Effekten fähig (gibt es mittlerweile noch etwas, das wir nicht zeigen können?), weshalb sich – das ist gar kein so großer Frevel – 34 Jahre nach dem Originalfilm ein Remake durchaus anbot. Als Regisseur für die Neuauflage wurde – ich kündige mit Stolz einen Wortwitz an – Wolfgang Petersen an Bord geholt, der sich ja mit Booten und Wasser auskennt.
Die Geschichte bleibt dieselbe: Kahn kentert, eine kleine Gruppe von Menschen kämpft sich nach unten bzw. oben durch. Im Original war diese Truppe eine Variation des alten Kriegsfilm-Platoons: Von jedem einer. In Petersens Film wirken die Figuren weniger wie eine Statistik zur Volkszählung, was aber auch daran liegen kann, daß wenig Zeit damit verbracht wird, sie auszuarbeiten: Die Welle spült die Exposition schnell weg, und somit darf jede Figur entsprechend seiner einzigen Charakterisierungs-Dialogzeile auch exakt einen kurzen Moment Drama während des Überlebenskampfes haben. Der Großteil der Cast besteht aus jungen, sexy Leuten – wer will schon den anderen beim Ertrinken zusehen? – die man hier und da schon mal gesehen haben könnte (Emmy Rossum aus THE DAY AFTER TOMORROW, Kevin Dillon aus ENTOURAGE, Mia Maestro aus ALIAS, Josh Lucas aus keinem bestimmten Film, der mir jetzt gerade einfiele); angeführt werden sie vom alten Haudegen Kurt Russell, der hier einen ehemaligen Bürgermeister von New York gibt, der Erfahrung als Feuerwehrmann hat und sich ohne viel Aufhebens daran macht, seine Tochter zu retten (und, ohne größere Bedenkzeit, den jungen Mann, der ihr gerade heimlich einen Heiratsantrag gemacht hat, gleich mit). Als Flanke dient Richard Dreyfuss als schwuler Architekt, der zu Beginn aus Liebeskummer vom Schiff springen will, aber dann angesichts der Flutwelle doch lieber wieder ins Innere geht und anschließend kein weiteres Wort mehr über sein gebrochenes Herz oder sein suizidäres Vorhaben verliert.
Viel mehr noch als im Original, wo die Besetzungsliste viel mehr Zugkraft hatte, ist also hier die Technik der Star: Die gigantische Welle natürlich, das umgedrehte Schiff, die haarsträubenden Situationen, durch die sich die kleine Gruppe kämpfen muß. Petersen geizt nicht mit Schauwerten: Schon in der ersten Einstellung fliegt die Kamera auf das Schiff zu, läuft mit Josh Lucas die Stufen auf das Oberdeck herauf, umkreist den Luxuskahn und fängt den Horizont ein. Bei der Welle sitzt die Kamera erst direkt davor, dann fegt sie unter dem Kamm des Tsunamis entlang, während das Wasser auf das Schiff trifft. Im auf den Kopf gestellten Schiff gibt es Feuersbrünste, Explosionen, zerberstende Fenster, elektrische Kurzschlüsse, herabfallende Fahrstühle, nur auf brüchigen Stahlträgern überquerbare mehrstöckige Säle, und gigantische Schiffspropeller, die alles in ihre Richtung saugen. Die Figuren können gar nicht anders, als atemlos von einer Sensation zur nächsten zu hetzen – pausiert oder Zeit verplempert wird hier nicht. Mehr Spektakel in 93 Minuten geht kaum.
Angesichts des Bombasts neigt man natürlich flott dazu, das etwas gemächlichere Original zu verklären: Natürlich war das nicht so auf Hochglanz poliert wie Petersens POSEIDON, natürlich hatten die Figuren ein paar Ecken und Kanten mehr und der Film als solches wohl etwas mehr Charisma – was immer das heißen mag. Aber vergessen wir mal nicht, daß auch die 72'er-Version als Film der Schauwerte konzipiert war und hauptsächlich gesehen wurde, weil man eine sensationelle Schiffskatastrophe miterleben wollte. Und auch wenn man versucht ist, einige der Sequenzen in der Version von 2006 als übertrieben abzutun: Kann man in einer Geschichte, in der ein Schiff kopfüber auf dem Wasser treibt und sich Menschen darin aller Wahrscheinlichkeit zum Trotz durch eine Reihe von noch nicht überfluteten Gängen und Schächten zum Ausgang durchkämpfen, denn irgendwie übertreiben? Der Zuseher der POSEIDON will Spektakel geboten kriegen und bekommt exakt das. Könnte Josh Lucas den Sprung ins drei Stockwerke tiefer gelegene, an der Oberfläche mit Öl brennende Wasser ausführen, um so mit einem Wasserschlauch ein Seil über den Abgrund zu basteln? Vermutlich nicht, aber in der realistischen Version würde der Film leider dort aufhören, wo die Welle auf das Schiff trifft.
Am Schluß paddeln die Überlebenden mit einem zufällig im Wasser treibenden Schlauchboot weg, um nicht vom untergehenden Schiff mitgerissen zu werden. Dann werden sie von zwei Rettungshelikoptern aufgelesen, und wir dürfen uns zu einem Popsong von Mary J. Blige freuen, daß es nur 994 Tote statt 1.000 gab. Im Abspann werden mehr Stuntleute als Schauspieler gelistet, und die Liste der Effektmenschen ist schier endlos. Willkommen in Hollywood, und daß mir hier mal keiner so tut, als hätte ihn das alles überrascht.