Ah não ser eu toda a gente e toda a parte!
"Könnte ich doch jedermann und überall sein ..." Das ist wohl das Dilemma des Künstlers, der gerne alles erzählen, alles zeigen, und alles erleben möchte. Aber in der Tat hilft die Kunst nicht nur dem Künstler, sondern auch dem Kunstgenießer, jedermann und überall zu sein. Wir treffen Menschen, denen wir sonst nie begegnen würden, und wir sind Menschen, die wir nie sein können. Wir erleben Zeitalter, in denen wir nicht leben, sehen Orte, Ereignisse, Wunder und Nichtigkeiten, und je mehr wir lesen, sehen, hören, desto mehr sind wir jedermann und überall. Nur, daß wir immer wir selbst bleiben.
"In broad daylight, even the sounds shine." So wird Fernando Pessoa in Wim Wenders' LISBON STORY zitiert, in dem auch der obige Satz an eine Wand gemalt zu sehen ist. Endlich gibt es diesen wunderbaren Film auf DVD, nachdem meine VHS-Kopie vom zigfachen Ansehen nicht ansehnlicher wird. Gesehen habe ich den Film zuerst im WDR, in der Nacht in meinen 20. oder vielleicht 21. Geburtstag hinein, und geblieben ist mir jeder Moment. Die Poesie, mit der die Stadt Lissabon - in der ich nie war - portraitiert wird, durch Klänge erforscht wird, während in flimmernden Sepia-Momenten immer wieder ihr Alltag eingefangen wird, braucht ihre Zeit, sich zu entfalten - wie üblich bei Wenders ist das Erzähltempo
getragen.
Aber es lohnt sich immer wieder, mit Toningenieur Phillip Winter auf Entdeckungsreise durch die Stadt zu wandern, ihre Straßenbahnen, Schiffe und Autos zu hören, und dabei die jungen und alten Gesichter zu sehen, die in kurzen Momenten ihre Geschichten erzählen. Und mittendrin die Gruppe Madredeus, deren wehmütiger Fado lange nachhallt, nachdem der Film zu Ende ist. Der Klang der Dialekte und Sprachen ist in die fragmentische Odyssee eingewoben, in der Winter den verschwundenen Regisseur Friedrich Monroe sucht, dessen Film er mit Ton versehen sollte. Besagter Regisseur hat sich beim Versuch, unschuldige Geschichten zu erzählen, fürchterlich verlaufen, und nachdem sein Versuch, mit der 100 Jahre alten Kurbelkamera die Stadt einzufangen, für ihn unbefriedigend erscheint, macht er sich daran, dem Zufall die Motivsuche zu überlassen.
Zum Schluß sitzt Monroe dann in seiner alten Isetta und lauscht Winters eindringlichen Worten, die ihm in ihrer Naivität vermutlich genau die Unschuld vermitteln, die er sucht: "Bewegte Bilder können immer noch genau das: Bewegen." Und so kann Monroe wieder jemand ganz Bestimmtes an einem bestimmten Ort sein und seinen Film beenden. So wie Wenders, der wie Winter im Film mit der Stadt verschmolzen zu sein scheint und sie nicht loslassen will.
Es fehlt ein definitives Schlußwort, dem Film wie dem Review, aber das liegt wohl daran, daß der Fado noch zu hören ist und in seiner Ruhe weiterfließt wie der Tejo in Lissabon.