Abenddämmerung auf einem verlassenen Strand in der Umgebung New Yorks. Bis auf ein Pärchen, das ein paar romantische Stunden zusammen auf einer Decke verbringen, ist keine Menschenseele weit und breit auszumachen. Die beiden Verliebten genießen die Zweisamkeit und tauschen Zärtlichkeiten aus. Eine nur allzu bekannte Situation – wäre da nicht der heimliche Beobachter, der ächzend und schnaubend die Kuschelaktion der Beiden über ein Fernglas mit verfolgt. Durch die subjektive Kamera legt Regisseur William Lustig gleich zu Beginn den Standpunkt des Zuschauers mit dem voyeuristischen, sexuell erregten Blick des psychopathischen Protagonisten zusammen.
Als der Jüngling auf die Aufforderung seiner frierenden Geliebten sich aufmacht, Brennholz zu holen, schlägt der unbändige Spanner zu. Zuerst nimmt er die Liegeposition des Liebhabers ein und spielt für kurze Zeit zärtlich und hingebungsvoll dessen Rolle, um im nächsten Moment brutal und unvermittelt mit einem Teppichmesser der Frau die Halsschlagader durchzuschneiden. Den zurückkehrenden Brennholzsammler ereilt kein angenehmeres Ende – hinterrücks schleicht sich der Killer heran und erdrosselt diesen allein mit einer Klavierseite und seiner Muskelkraft. Die Füße des ahnungslosen Geliebten heben vom Boden ab und nach kurzem, überraschtem Zusammenzucken verteilt sich das Blut über den ganzen Sandboden.
Der Beginn des Films ist extrem drastisch und roh. Innerhalb den ersten Minuten strömt eine kalte, nihilistische Atmosphäre aus den minimalistischen Bildern.
Damit wird der Protagonist des Films eingeführt – die Idee für das Intro lehnt sich vage an Spielbergs Debüt “
Der weiße Hai“ an, mit dem Unterschied, dass hier völlig auf dramaturgischen Spannungsaufbau und –hinauszögerung verzichtet, sondern statt dessen sehr wirkungsvoll die Thematik und die Perspektive definiert wird.
Frank Zito (Joe Spinell in einer unheimlich glaubwürdigen Method-Acting-Performance) ist der Wahnsinnige, der Maniac, dessen Weg und weitere Taten nun der Zuschauer gezwungenermaßen mit verfolgen muss. Frank streift durch die nächtlichen Straßen New Yorks, ohne Ziel und ohne sonderliche Anteilnahme an der Umgebung. Fast gleichgültig lässt er sich auf ein Angebot einer Prostituierten vom Straßenstrich ein und zahlt ohne Widerworte den geforderten Preis. Doch auf dem Zimmer möchte Frank etwas ganz anderes als käuflichen Sex. Er will die junge Frau für immer behalten, sie von den schmutzigen Freiern und dem gezwungenen Sex befreien. Seine Methode ist dabei immer die gleiche. Er tötet zuerst die Frau, skalpiert sie und überträgt dann deren Existenz mittels Aufsetzen des Skalps auf eines der zahlreichen Plastikpuppen, wie man sie von Warenhäusern kennt, in seiner Wohnung.
Man bekommt mit der Zeit immer mehr Einblick in Franks Umgebung, in seine heruntergekommenen Wohnverhältnisse mit einer aufs Wesentliche reduzierten Einrichtung und seiner krankhaften Projektion von sozialer Nähe zu den Puppen in seiner Behausung. Die künstlichen Perücken der Puppen vertauscht Frank mit den blutigen Skalps seiner weiblichen Opfer und bannt damit deren Weiterleben für immer in seinem Schlafzimmer.
Der Zuschauer begleitet nun fortan bis zum Schluss Franks Beutezüge nach neuen Frauen, die erst dann seine Geliebten werden können, wenn sie tot sind und deren Kopfhaut auf einem Puppenkopf fixiert ist.
Ein interessantes, markantes Stilmittel hat
William Lustig dabei von
Martin Scorseses 4 Jahre zuvor produzierten Frühmeisterwerk “
Taxi Driver“ entlehnt. Ebenso wie der Taxifahrer Travis Bickle sein Handeln in einem voice-over kommentiert und erklärt, lässt Frank Zito in wehmütigen, schon fast zärtlichen Monologen und Dialogen zu den fiktiven Frauen tief in sein gestörtes Innenleben blicken.
Im weiteren Verlauf zeigt sich Frank hauptsächlich als Stalker, der seinen Opfern geschickt auflauert und sie brutal umbringt. Bei seinen Werkzeugen variiert er dabei unter Springmesser, Kurzschwert, Machete oder doppelläufiges Gewehr.
Die von Anfang gesetzte Prämisse – der Zuschauer soll den Standpunkt des psychopathischen Protagonisten teilen – zieht sich auch durch den ganzen Film. Nur wenige kurze Katz-und-Maus-Verfolgungsszenen werden eingestreut. Die Tötungen sind schnell, brutal und detailliert inszeniert. Hierbei zeichnet sich auch die Handschrift des legendären Special-Effects und Maskenspezialisten
Tom Savini ab, der in “Maniac“ zeigt, dass er auch unter Lowest-Budget-Bedingungen beeindruckende Effekte präsentieren kann. Sein Engagement in Lustigs Film geht sogar bis zu einem erinnerungswürdigen Cameo-Auftritt als "Disco Boy“, der eine verheiratete Frau zu einem Seitensprung verführt, jedoch nicht den sexuellen Genuss seiner Eroberung genießen kann, da ihm Frank vorher mit seinem Gewehr den Kopf in Stücke schießt.
Frank Zitos Dasein ist von Anfang an dem Untergang geweiht. Seine Entfremdung von der ihn umgebenden Welt, die einen vehemten Mutterkomplex zum Ursprung hat, steigert sich mit jedem Mord. Die Schizophrenie wird immer offenkundiger, bis er einmal den sonst kühlen, berechnenden Kopf verliert und in einem emotionalen Moment ein Opfer entwischen lässt.
William Lustig zeichnet mit
“Maniac“ ein sehr minimalistisches Psychogramm von einem einsamen, kranken Einzelgänger. Seine Mittel sind sehr drastisch – nicht nur die Tötungsszenen, sondern auch die unmittelbare Nähe zu dem abgewrackten Protagonisten sind sehr schwer verdaulich. Joe Spinell gibt eine nur allzu glaubwürdige und unvergessliche Performance. Sein omnipräsenter Charakter leidet und ächzt beim Meucheln, verlangt nach immer mehr Opfer und kollabiert unter dem psychischen Traumata, welches ihm seine übermächtige Mutter zugefügt hat.
Das seichte Drehbuch und wenig ausgefeilte Dialoge machen das Zuschauen zu einem eher zähen Unterfangen, auch wenn Joe Spinell einem immer wieder kalte Schauer einjagt. Die psychologischen Motive werden leider auch nur skizziert, jedoch nicht vertieft. Wo
Alfred Hitchcocks “
Psycho“, der auch für
“Maniac“ zweifelsohne Pate stand, geschickt die Schizophrenie des Antagonisten andeutet und ausbaut und dabei den Zuschauer mit cleveren visuellen Tricks verführt, gelingt William Lustig lediglich ein routiniertes Über-die-Schulter-Blicken von Franks Aktivitäten.
Wirklich innovativ wird der Film erst zum Schluss, da hier nach der endgültigen Übernahme von Franks Identität durch die Identität seiner Mutter, eine neuartige Auflösung des moralischen Konflikts präsentiert wird. Franks Opfer erwachen in seinem Kopf wieder plastisch zum Leben und rächen sich an ihrem Mörder, indem sie ihn regelrecht in Stücke reissen.
Der Gesamteindruck von “Maniac“ ist letztendlich eher enttäuschend. Lustig kupfert uninspiriert von großen Visionären wie
Spielberg,
Scorsese und
Hitchcock ab und hebt seine Inszenierung höchstens durch die äußerst brutalen und expliziten – von Tom Savini meisterhaft gestellten – Gewaltszenen hervor. Die intensive Stimmung vom Beginn flaut durch die langatmige Erzählweise schnell ab, da können auch der gelungen beklemmende Soundtrack und die effektiven Sound-Effekte von Jay Chattaway nicht viel retten.
“Maniac“ bleibt damit erinnerungswürdig, in seinem gefeierten Kultstatus jedoch überschätzt.
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Visuelle Bildgewalt: 5 (nur lauer Durchschnitt - wenig Einfallsreichtum, dafür solide fotografiert)
Gruselfaktor: 5 (der Protagonist jagt einem immer wieder kalte Schauer ein, doch die Atmosphäre flaut nach einer halben Stunde Spielfilmzeit ab und schafft es kaum wieder angekurbelt zu werden)
Sex & Gewalt-Anteil: 6 (eine Badewanneszene mit kurzem komplett hüllenlosem Einblick, die Gewalt dafür ist sehr explizit und schmerzt beim Zuschauen)
Unterhaltungs-Faktor: 2 (dieser Film ist wirklich anstrengend und die Länge von 87 min. kommt einem gefühlt wie 2 Stunden vor)