In den 1930er-Jahren dominierte Walt Disney vor allen anderen wichtigen Zeichentrickstudios und räumte sämtliche Oscars für den besten animierten Kurzfilm ab. Diese anhaltende Vorherrschaft machte erst das junge Kreativduo Joseph Hanna und William Barbera streitig als diese 1940 den ersten Cartoon mit den Hauptfiguren Tom und Jerry für MGM inszenierten. Mehr als 100 Nachfolger sollten noch unter der Regie der Schöpfer entstehen, die insgesamt sieben Oscars einfahren konnten und somit ihre Hauptfiguren zu den erfolgreichsten Cartoon-Charakteren aller Zeiten machen. Zum Vergleich: Bugs Bunny konnte nur einen Oscar gewinnen und auch Mickey Mouse nur einen einzigen. Tom und Jerry brachten frischen Wind in die festgefahrenen Cartoons der großen Studios und waren geprägt vom anarchischen Geist eines Tex Avery, der wenig später selbst von Warner zu MGM wechseln sollte. Auch die schiere Gewaltlust, mit der sich Tom und Jerry bekriegen, ist vor allem in den frühesten Kurzfilmen noch augenfällig – mit Sicherheit sind die Auseinandersetzungen der beiden Erzfeinde die rabiatesten amerikanischen Cartoons ihrer Zeit.
„The Night before Christmas“ ist der dritte Tom-und-Jerry-Film und schaltet im direkten Vergleich zu seinen Vorgängern ein paar Gänge zurück und schraubt die Gewaltdarstellung drastisch zurück. Was nicht heißen soll, das deftige Slapstick-Einlagen fehlen würden. Das trügerisch harmonische Bild in der Eingangsszene könnte unverändert auc
h aus einem Disneyfilm stammen: Ein verschneites Häuschen in einem amerikanischen Vorort, im Haus herrscht mollige Wärme. Der reich geschmückte Weihnachtsbaum ziert das feierliche aber bodenständig eingerichtete Zimmer, die liebevoll gepackten Geschenke liegen bereit.
Diese Idylle wird jäh zerstört, als sich der wohl bekannte Mäuserich Jerry übermütig an den Geschenken erfreut und versehentlich seine ewige Nemesis Tom aufweckt – deren Feindschaft hier freilich noch am Anfang stand. Schnell ist es aus mit der besinnlichen Weihnachtsstimmung und die Dekoration fungiert nur noch als bloßer Aufhänger für eine irrwitzige Gagfolge, die nicht nur mit Tempo und Einfallsreichtum auftrumpft sondern auch durch technische Perfektion besticht. Es sei noch zu bemerken, das die Hauptfiguren noch ein frühes Design haben und gerade Tom wenig vertraut wirkt für den Kenner der späteren Cartoons. In THE NIGHT BEFORE CHRISTMAS ähnelt der Kater noch viel mehr seinen realen Vorbildern aus dem Tierreich, was in eingeschränkten Maße auch für seinen Gegenspieler gilt.
Entgegen dem ruhigen Beginn entfesselt der Film ein visuelles Feuerwerk und begeistert durch hervorragend flüssige Animationen, die sowohl Bewegungsabläufe als auch Mimik und Gestik der Figuren formvollendet auf die Leinwand bringt. Besserer Zeichentrick als zu dieser Zeit ist ohnehin nie wieder gemacht worden. Einen Plot im eigentlichen Sinn hat der Film nicht, funktioniert er doch ausschließlich über die Variation des immer gleichen Themas, hier noch recht unverbraucht und in ungewohnt süßlich-weihnachtlichem Setting. Zum Schluss schafft es Tom, den Störenfried aus dem Haus zu schmeißen – doch während er anschließend vor dem Kaminfeuer entspannt und Jerry im eisigen Wind vor der Tür eingeschneit wird, erwacht das schlechte Gewissen und der weihnachtliche Geist schafft selbst in dieser endlosen Fehde für kurze Zeit Ruhe. Angesichts der zuvor erbittert ausgetragenen Kämpfe wirkt der versöhnliche Schluss ein wenig wie eine Pflichterfüllung, was einen nicht ganz so runden Eindruck macht.
Letztlich ist THE NIGHT BEFORE CHRISTMAS nicht unbedingt ein Highlight unter den Tom-und-Jerry-Cartoons, verdient es aber dennoch als Zeichentrickkunst allerhöchster Güte wahrgenommen zu werden. Zwar gibt es viele Hanna/Barbera-Kurzfilme mit geistreicheren Geschichten, das humoristische Timing ist aber bereits in dieser frühen Regiearbeit einfach famos.