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von John Frankenheimer




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Leben und Sterben in L.A.

Leben und Sterben in L.A.

Ein Film von William Friedkin

(USA, 1985)



„If you got a hunger for what you see, you'll take it eventually / You can have anything you want, but you better not take it from me"
(Guns N' Roses, 'Welcome To The Jungle')


„Uncle Sam don´t give a shit about your expences. You want bread? Fuck a baker.”



Der Vorspann. Aaahhh, dieser Vorspann! So viel Achtziger Jahre in so wenig Sekunden. Eine Überdosis Zeitkolorit in Bild und Ton. Wer das übersteht, ist für das Kommende gerüstet. Wer es toll findet, hat zu viel Miami Vice gesehen.

In dieser Dekade wurde kaum ein Genre so ausgiebig gemolken wie der Polizeifilm. Kaum eines war so erfolgreich. Und kaum eines hat so viele putzige Klischees produziert. Und To Live and Die in L.A. (Leben und Sterben in L.A.) ist bis in die letzte Zelluloidphaser ein Polizeifilm dieses Jahrzehnts.

William Friedkin schuf mit French Connection (1971) und The Exorcist (1973) zwei Überklassiker, Referenzgrößen ihrer Gattung. Er galt als exzellenter Spannungsspezialist, der seine Zuschauer so lange manipuliert bis er sie da hat, wo er sie haben will. Danach wurde es etwas mau. Crusing (1980) brachte ihm eher Ärger als Erfolg. Nach der etwas lustlosen und halbgaren Militärsatire The Deal of the Century (Das Bombengeschäft, 1983) kehrte er zu seiner Paradedisziplin zurück, dem harten Polize
ireißer. Mit To Live and Die in L.A. drehte er keinen richtungsweisenden Meilenstein, doch wenigstens einen der emblematischsten Filme seiner Zeit. Ein Film, in den die Achtziger regelrecht eingraviert sind.

Die Geschichte könnte prototypischer und mit Gemeinplätzen übersäter kaum sein. Der Secret Service jagt einen der größten Geldfälscher der Stadt, den exzentrischen und gewaltneurotischen Rick Masters (Willem Dafoe). Er erschießt den ermittelnden Beamten Jim Hart (Michael Greene), zwei Tage vor seiner Pensionierung. Sein junger Kollege Richard Chance (William Peterson) sinnt auf Rache – um jeden Preis.

Sein neuer Partner John Vukovich (John Pankow) ist hin- und hergerissen zwischen der eigenen Moral und der Treue zu seinem Partner. Als sich Richard auf illegalem Weg Geld für eine Ermittlungsaktion beschaffen will, das ihm sein paragrafentreuen Chef verweigert, wird ein FBI-Agent getötet.

So einfach ist das. Auch die Handlung von French Connection liest sich heutzutage nicht der Rede wert. Das liegt daran, dass solche Geschichten noch unzähligemal erzählt wurden. Heute sind sie Teil unseres Mytheninventars.

Friedkin versteht es ausgezeichnet, dieses Inventar zu nutzen und zu plündern. Seine Filme sehen dabei meistens aus wie reine Unterhaltungswerke. Man übersieht gerne ihre bedeutungsgeladene Systematik. Was man bei To Live and Die in L.A. unmöglich übersehen kann, ist sein Entstehungsdatum.
Leben und Sterben in L.A.Leben und Sterben in L.A.Leben und Sterben in L.A.
Daran hat der Soundtrack der Band Wang Chung (ironischer Weise aus London) einen Löwenanteil. Dieser etwas zu elegante, parfümierte, gesandstrahlte Pop, die zuckenden Synthesziser, die kalten, digitalen Gitarren und elektrischen Schlagzeuge erden die Wahrnehmung des Zuschauers, noch bevor nur ein Bild zu sehen ist. Langsam fräst sich der Sonnenaufgang durch das Schwarz der Leinwand. Über die Straßen jagen schwarze Limousinen, Ronald Reagan spricht auf einem Kongress. Steuern sind Tyrannei! Richard und Jim verhindern einen Selbstmordanschlag eines radikalen Islamisten. Das Drehbuch lässt Jim den Satz aller Sätze sagen: „Ich werd' langsam zu alt für den Scheiß.“

Im Vorspann kriecht der Morgen über die Bahngleise. Neben dem Titelschriftzug schlägt eine Kugel ein, der Blutstropfen rollt nach unten und formt Umrisse, die wie eine Palme aussehen. Ein stampfendes, schnaubendes Thema von Wang Chung, dazu zucken Stadtimpressionen über den Bildschirm, die alle die raue Sprache des Sujets sprechen. Ihre Protagonisten sind Undercover-Cops, Drogendealer und Nutten, Menschen mit übergroßen Sonnenbrillen und noch übergrößeren Autos. Geldscheine wechseln den Besitzer. Bilder und Musik atmen die hektische, heiße Vita der Stadt. Im palmenförmigen Blutstropfen fließen lauschiges Klischee und raue Wirklichkeit ineinander. Doch diese Wirklichkeit gerinnt fast selbst wieder zum Klischee. Auch in den Lettern im Vorspann mischt sich dunkles, blutiges rot mit giftigem, künstlichem neongrün.

Die Stadt Los Angeles ist ein Moloch, der alles Schöne und Trostspendende wie ein Schwarzes Loch verschlingt. Die Handlung beginnt am 20. Dezember, aber nicht nur die Temperaturen sind wenig weihnachtlich. Nicht eine einzige Christbaumkugel ist zu sehen. Nur Schmutz und Lärm. Die Sonne scheint, doch das L.A., dass Friedkin einfängt, ist ein Sumpf. Keine Stadt der Engel, eher eine Jauchegrube, wo man die Guten kaum von den Bösen unterscheiden kann. Auch in Miami Vice sind die Geschichten manchmal dunkler als man denkt, aber hier hat das alles eine ganz andere Wirkung. Auch der profane Kleidungsstil hat wenig mit dem Modemagazin-Look der Herren Crockett und Tubbs gemein.

Die Menschen im Drehbuch von Gerald Petievich passen an einen Ort wie diesen. William Peterson verkörpert den Heißsporn Richard Chance genauso überzeugend wie ein Jahr später den Ermittler Will Graham in Michael Manns Manhunter (Blutmond, 1986), und schafft es doch ganz verschiedene Typen zu spielen. Bei Mann war er ein schüchterner, in sich gekehrter Fleißarbeiter mit spirituellen soft skills, bei Friedkin ist er ein breitschultriges, sexy Großmaul. Der Tod des Partners macht ihn zwar betroffen, trotzdem hat man, je länger der Film dauert, das Gefühl, seine Rache hat mehr mit Triebabfuhr als mit Gefühlen zu tun.

Richard Chance ist eine Persönlichkeit, bei der sympathisch nicht das Wort der Wahl ist. Das zeigt sich besonders darin, wie er mit der drogenabhängigen Bardame Ruth (Darlanne Fluegel) umspringt. Sie haben eine Art Fickbeziehung, bei der Ruth immer etwas mehr möchte als Richard, und der sie immer wieder erpresst, ihm heiße Tipps zu geben – oder er schickt sie ins Gefängnis. Selbst wenn er sie in Lebensgefahr bringt, hat er kein Ohr für ihre Ängste. Diesem Typ sind andere Menschen völlig egal.

Man kann sich den Hinweiß fast sparen, dass so eine Type gut in die Achtziger passt. Interessent ist aber auch, wie Friedkin hier Erinnerungen an French Connection aufkommen lässt. Genau wie Gene Hackman als Popey Doyle zeigt er mit Chance einen Getriebenen und von Ehrgeiz zerfressenen Bullen. Und genauso wie in seinem Oscar prämierten Erfolgsschlager dient in diesem Film eine Autojagd als Symbol der Psychologie. Hackman raste unter einer Bahnüberführung einem Killer hinterher. Sein Gesicht verzerrte sich zu einer verbissenen Fratze. Wer auch sonst für Autojagden überhaupt nichts übrig hat - diese war eine der beeindruckendsten und beängstigendsten der Filmgeschichte.
Leben und Sterben in L.A.Leben und Sterben in L.A.Leben und Sterben in L.A.
In To Live and Die in L.A. lässt Friedkin Peterson seinen Wagen auf eine entgegengesetzte Autobahnspur brettern, ihn sozusagen gegen den Strom schwimmen. Auch das ist halsbrecherische Action, die mustergültig verfilmt ist. Es symbolisiert Richards Weg in die Illegalität. Und natürlich: selbst die Tatsache, dass ein unschuldiger zu Tode kommt, ficht ihn nicht wirklich an.

Am Ende wird er seinen Partner John anstecken, oder anders gesagt: Er wird Richards Erbe antreten. Eine Art Metamorphose. Er übernimmt seinen lässigen Gang, seine angeberische Sonnenbrille, sein dämliches Wiederkäuen, er übernimmt sogar seine Sklavin Ruth, die nun in seiner Hand ist. Ein wirklich fieses und zynisches Ende. (Doch, wen es tröstet: auch sein Scheitern ist vorgezeichnet.)

Denn Richard schafft es nicht bis zum Abspann. Ein Kopfschuss macht seinem Filmleben bei einer Festnahme ein Ende. Und wie dieses Ende inszeniert ist, spricht Bände.

Helden, auch Antihelden, sterben meistens einen Tod der ihrem Protagonistendasein würdig ist. Melodramatik in Großaufnahme, geröchelte letzte Worte, wehmütige Musik. Es muss nicht immer Pierre Brice in den Armen von Lex Barker sein. Aber wenn eine wichtige Figur stirbt wird normalerweise gut dafür gesorgt, dass wir das sehen, hören, fühlen.

Peterson aber bekommt die Kugel, und das war es. Eben noch hat er fidel geatmet, eine Sekunde später liegt er blutüberströmt auf dem Boden und ist mausetot. Sein Partner kann es genauso wenig fassen wie das Publikum. Nicht einmal eine lausige Nahaufnahme gönnte Friedkin seinem Hauptdarsteller. Dafoe tritt etwas stilvoller ab, in seiner brennenden Geldfälscherwerkstatt. Doch auch er hinterlässt keine Spuren, seine Geliebte Bianca (Debra Feuer) vergnügt sich nun mit einer asiatischen Gespielin.

Das ist Friedkins brutale Botschaft. Das Leben ist ein Rattenrennen, das niemals zu Ende geht. Wer auf halber Strecke schlapp macht, ist bald vergessen. Jeder ist ersetzbar. Und keiner legt am Ende Rosen auf dein Grab.

Darin ist To Live and Die in L.A. nicht mal zeittypisch, sondern einfach ehrlich. Ehrlicher als die pastellfarbene Modenschau von einer Polizeiserie, die in Miami spielt. In L.A. wird richtig gestorben.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(02. Juni 2009)
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Daten zum Film
Leben und Sterben in L.A. USA 1985
(To Live and Die in L.A.)
Regie William Friedkin Drehbuch Gerald Petievich, William Friedkin
Produktion New Century Productions Kamera Robby Müller
Darsteller William Petersen, Willem Dafoe, John Pankow, John Turturro, Darlanne Fluegel, Dean Stockwell, Michael Greene
Länge 116 Min. FSK
Filmmusik Wang Chung (Darren Costin, Nick Feldman, Jack Hues)
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