Zwischen Ende der 60er und Mitte der 70er Jahre entstand eine ganze Reihe von okkultistisch angehauchten Horrorfilmen, die den uralten Kampf des Menschen gegen die bösen Mächte des Teufels thematisierten. Neben Roman Polanskis “Rosemary`s Baby” (1968), in dem eine junge Mutter der festen Überzeugung ist, vom Beelzebub persönlich geschwängert worden zu sein, und Richard Donners “Das Omen” (1976), in dem Satan in Gestalt eines unschuldig wirkenden kleinen Jungen die Herrschaft über die Menschheit an sich reißen will, war die wohl populärste und aufsehenerregendste Auseinandersetzung mit diesem Stoff sicherlich William Friedkins “Der Exorzist” von 1973. Ein Film, der sich nahtlos in die Phalanx der oben genannten Klassiker einreiht - und doch mehr war als “nur” ein gewöhnlicher Horrorfilm…
Der Film beginnt mit einem mysteriösen Fund: Archäologen entdecken bei Ausgrabungen im Nord-Irak die Statue eines Dämons. Der ebenfalls anwesende Pater Merrin (Max von Sydow) zeigt sich erschüttert über diesen Fund und beginnt mit seinen Kollegen eine angeregte Diskussion über die böse Natur in uns Menschen. Schnitt. In Washington lebt die allein erziehende Mutter Chris MacNeil (Ellen Burstyn), eine Filmschauspielerin, gemeinsam mit ihrer zwölfjährigen Tochter Regan (Linda Blair) in einem Haus im Universitätsviertel Georgetown. Der Alltag der beiden erscheint völlig normal und ohne großartige Höhepunkte, doch plötzlich mehren sich merkwü
rdige, ominöse Vorzeichen, die Chris immer misstrauischer werden lassen: Vom Dachboden ihrer Wohnung sind seltsame Geräusche zu vernehmen - und auch Regan selbst erscheint mit einem Mal vollkommen verändert. Das sonst so schüchterne Mädchen verhält sich zunehmend aggressiv und beschimpft Personen in ihrem Umfeld auf obszöne Weise. Chris vermutet dahinter zunächst noch seelische Probleme, für die die Trennung zwischen ihr und ihrem Mann die Ursache sein könnten, und konsultiert einen Psychiater, der Regans Verfassung genauer unter die Lupe nehmen soll. Doch auch der ist der Mutter keine besondere Stütze, zumal die Symptome, die ihre Tochter zeigt, immer schlimmer und heftiger werden. Regan wird auf einmal wie von Geisterhand in ihrem Bett herumgeschleudert, spricht mit verstellter Stimme und wird jetzt sogar handgreiflich den Ärzten gegenüber. Diese sind sich inzwischen sicher: Regan ist von einem unbekannten Dämon besessen, dem mit einer herkömmlichen psychiatrischen Behandlung nicht beizukommen ist. Also wird der innerlich zerrissene Jesuitenpater Damien Karras (Jason Miller), dessen ältliche Mutter im Sterben liegt, zur Hilfe herangezogen - er soll einen Exorzismus durchführen…
Der Rest ist Filmgeschichte. “Der Exorzist” entwickelte sich 1973 nicht nur zum bis dato erfolgreichsten Film nach “Der Pate”, sondern beschwor gleichzeitig einen Aufruhr herauf, der in diesem Genre noch heute seinesgleichen sucht. So überschlugen sich erklärte Gegner des Werks zur damaligen Zeit mit Schmährufen wie “blasphemisches Machwerk”, “skandalöse Verletzung moralischer und spiritueller Werte” und ähnlichem Schwachsinn, während etliche neutrale Kinobesucher die Vorstellungen reihenweise fluchtartig in Richtung Toilette verlassen oder gar in Ohnmacht gefallen sein sollen, entsetzt über die Radikalität im Film. Was auch immer man von solch übertriebenem PR-Hype halten mag, sicher ist: “Der Exorzist” kratzte seinerzeit an menschlichen Urängsten, die die vom kollektiven Glauben an Fortschritt, Logik und den Einfluss der Wissenschaft erfüllte Gesellschaft damals geglaubt hatte, schon sicher in die hintersten Ecken ihres Bewusstseins verdrängt zu haben. Die jeglichem Rationalismus widersprechende Ausrichtung und Aussage des Films wollte einigen so ganz und gar nicht behagen. Zwar hat Friedkins Film auch über 35 Jahre nach seiner Entstehung seine schockierende Wirkung nicht eingebüßt, allerdings dürfte der Blick darauf nun, da sich das unablässige Grollen der Sittenprediger gelegt hat und Genrefans durchaus Härteres gewohnt sind, weitaus geschärfter ausfallen. Das heißt im Umkehrschluss nicht, dass “Der Exorzist” heutzutage antiquiert wirken würde, sondern lediglich, dass man wesentlich klarsichtiger mit dem Stoff umzugehen weiß, als noch vor dreißig Jahren.
Der Film spielt zwar auf dramatische Weise mit der Frage nach dem Gleichgewicht zwischen Gut und Böse und zelebriert den Horror mithilfe seines religiösen Ansatzes geradezu als eine Achterbahnfahrt, dies aber ohne die kirchlichen Werte in irgendeiner Weise an den Pranger zu stellen oder diskreditieren zu wollen. Wenn “Der Exorzist” eines tut, dann entzaubert er die Religion insofern, als dass er aufzeigt, wie hilflos wir Normal Sterblichen im Angesicht des in uns allen wuchernden Bösen doch sind (Personifizierung dieser Annahme ist übrigens die Figur des Pater Karras). Am Schluss ist Regan vom Dämon befreit, der Teufel ausgetrieben, doch einen wirklichen Sieg der rationalen Mächte des Diesseits kann man das nicht nennen. Das Böse wurde nicht vollkommen aus der Welt geschafft, sondern lediglich auf unbestimmte Zeit verbannt. Es bleibt weiter allgegenwärtig, während auf Erden alles so weiter geht, wie es bisher war. Wir stellen also fest: Mit Blasphemie hat das, was Friedkin und Blatty 1973 auf die Leinwand brachten, nun rein gar nichts zu tun.
Darüber hinaus steht “Der Exorzist” in einer über Jahrzehnte hinweg andauernden Tradition von Horrorfilmen, die das Grauen in Form einer nicht greifbaren Bedrohung über die Protagonisten hereinbrechen lassen. Eine logische, unserem menschlichen Verstand folgende Erklärung für den Ursprung der Bedrohung ist nicht vorhanden. Warum sucht sich Luzifer ausgerechnet den Körper eines unschuldigen kleinen Mädchens aus, um sich in ihm einzunisten? Die Reinheit der Jugend erscheint als perfekter Wirt für die Parasiten des Teufels. Regan speit eine grünliche Pampe, die aussieht wie Erbsensuppe, gibt damönlisch grunzend Obszönitäten wider, und verspottet die "Rädelsführer" des Dienertums Gottes in Personifikation von Karras, Merrin & Co. auf sarkastische Weise. "Der Exorzist" nährt unser postmodernes Verständnis für satanische Symbolik, wie z.B. der umgedrehte Kopf des Mordopfers für das umgedrehte Kreuz, rückwärts gesprochene Mantras, oder auch die obszöne Schändung der Muttergottes-Statue, quasi ein Angriff auf die unbefleckte Empfängnis. Blatty und Friedkin jonglieren mit Teufels- und Hexereimotiven aus dem Mittelalter, weben diese in den Kontext einer anti-aufklärerischen, und doch im Kern zutiefst nüchternen Geschichte ein, die entgegen den Stimmen der Kritiker nicht die These vertritt, dass ein Exorzismus als solcher eine Teufelsaustreibung möglich macht (Karras: "Das Wesen in Regans Körper behauptet nicht, dass er ein Dämon ist, sondern der Teufel selbst. Das ist, als würde ein psychisch Kranker behaupten, er sei Napoleon Bonaparte."). Regisseur und Drehbuchautor bleiben bis zum Schluss in der Rolle des Zweiflers, während sie erzkonservative Katholizismen subtil aufs Korn nehmen. Das Ritual des Exorzismus steht dabei sozusagen sinnbildlich für die Austreibung der Dämonen in jedem von uns, allerdings auf eine Weise, die durch und durch wertfrei ist. Das macht den Film universell, und das macht ihn auch zu einem der in ihrer Aussage geradlinigsten und unmissverständlichsten Horrorfilme. Sowieso ist es mehr die psychologische Intensität, die Stimulierung des Unterbewussten, Verdrängten, die für den Effekt des Films verantwortlich ist, weniger die Maske oder irgend welche Special Effects, auch wenn diese über jeden Zweifel erhaben sind.
An dieser Stelle sei noch kurz auf die beiden Versionen des Films eingegangen, die sich in ihrem Gesamtbild doch erheblich voneinander unterscheiden. Zwar ist die 2001 erschienene “Director`s Cut”- Variante der ursprünglichen Kinofassung gegenüber um etwa 10 Filmminuten im Vorteil, wodurch der Spannungsaufbau noch bedächtiger und abgerundeter wirkt (außerdem wurden einige Schockeffekte wie der “Spinnengang” oder die Sekundenbruchteile zu sehenden Dämonenfratzen zusätzlich eingefügt), allerdings hat dieser digital aufgemotzte Neuschnitt auch einen entscheidenden Wermutstropfen, der sich in der reichlich missratenen - um nicht zu sagen unfreiwillig komischen - neuen Synchronisation äußert. Hier hat die Urversion mit ihren rund 117 Minuten ausnahmsweise die Nase vorn.
Fazit: “Der Exorzist” mag anno 2009 nicht mehr den Mutproben- Charakter von einst besitzen, ist und bleibt aber dennoch ein Musterbeispiel für einen nahezu perfekt aufgebauten Spannungsbogen in einem Horrorfilm. Das Grauen in dieser eindrucksvollen Parabel über den Kampf zwischen Gut und Böse und gescheiterten Fortschrittsutopismus kommt langsam, aber gewaltig, so dass Friedkins Film auch über drei Jahrzehnte nach seiner Erstaufführung noch in seinen Bann zu ziehen weiß. Über die drei verunglückten Sequels, die wahrlich frevelhaft mit dem Kultstatus des Originals umgingen, sei dagegen der Mantel des Schweigens gehüllt…