Städte und Stadtteile können faszinierend sein. So ist es ganz natürlich, dass man auch ihnen eine Liebeserklärung machen kann. Und so wie Musiker in Glanzzeiten hin und wieder einen völlig anderen, unerwarteten Weg einschlagen und ihre Herzensprojekte verwirklichen, neigen auch Filmemacher dazu, ihrer Lieblingsstadt ein Denkmal zu setzen. Man erinnere sich an das Kollaborationswerk „Paris Je T`aime“ oder Woody Allens „Manhattan“ (Allens Großstadtneurosen mal außen vor gelassen).
Mehr in den Hintergrund rückend, aber stets präsent, ist dieses Vorgehen auch bei Paul Austers („Mord über Manhattan) und Wayne Wangs („Überall nur nicht hier“) „Smoke – Raucher unter sich“ unübersehbar. Interessant ist weiterhin, dass die Subkultur der Raucher hier weder angeklagt noch beschönigt wird – es sind eben einfach nur Menschen wie jeder andere auch.
In Auggies (Harvey Keitel) kleinem Tabakladen an der Ecke inmitten des New Yorker Stadtteils Brooklyn treffen sich täglich einige Bewohner dieses Stadtteils und erzählen sich ihre Geschichten, berichten über ihre Probleme, gehen gemeinsam ihren Interessen nach. Die Gespräche der Menschen sind dabei nicht selten philosophisch, oft auch amüsant und nebenbei ziemlich ironisch. Und sie sind großteils vor allem eins: lebensbejahend.
Das Storygerüst teilt sich mitunter etwas auf. So taucht gleich zu Beginn Auggies alter Freund, der Schriftsteller Paul Benjamin (William Hurt), in seinem
Tabakladen auf, erzählt kurz etwas über das Gewicht des Rauchs, verschwindet wieder – und wird gedankenverloren an der nächsten Kreuzung fast überfahren. Gerettet wird er von einem jungen Schwarzen, der sich Raschid (Harold Perrineau Jr.) nennt und ihn in letzter Sekunde von der Straße ziehen konnte. Der mittellose Junge bekommt Pauls Sympathie, doch eigentlich hat er ganz eigene Probleme. Die Unterweltmafia ist ihm auf den Fersen und er hat sich aufgemacht, seinen Vater zu finden, den er seit 18 Jahren nicht mehr gesehen hat.
Die verschiedenen Personen wirken mit zunehmender Laufzeit aufeinander ein, durch verschiedene Kontakte und soziale Bindungen kommt einer zum nächsten, etwa wenn Raschid durch Pauls Hilfe Arbeit in Auggies Tabakladen bekommt. Oder wenn Paul und Auggie vorsätzlich ebenfalls Raschids Vater Cyrus (Forest Whitaker) besuchen, um die angespannte Situation zu klären.
Bemerkenswert an „Smoke“ sind nicht nur die eingangs erwähnten, hochwertigen Dialoge, sondern auch die Vielzahl an Themen, die im Film angesprochen werden. Da wäre z.B. eben die Liebe zum Stadtteil Brooklyn, sehr nett verpackt durch Auggies Hobby, jeden Tag um dieselbe Zeit vom selben Ort aus ein Foto desselben Platzes zu machen. Der Tabakladen vereint auch Nationalitäten, zu den Stammgästen gehören Schwarze genauso wie Weiße, geborene Amerikaner genauso wie Eingewanderte. Und auch die Begegnung von Paul und Raschid spricht den Rassenkonflikt bzw. dessen Besserung an. Dies waren nur einige der die Gesellschaft an sich betreffenden Themen, darüber hinaus lässt sich eine hohe Anzahl an zwischenmenschlichen Aspekten ausmachen. Hierbei ist es egal, welche Episode oder Szene man sich aussucht, Hintergründiges dieser Art ist überall im Film zu finden. Sei es nun die Figur des Paul Benjamin, der in der Vergangenheit seine Frau verlor und immer noch mit dem Verlust zu kämpfen hat. Oder Ruby, Auggies Ex-Freundin von vor langer Zeit, die plötzlich auftaucht, alte Wunden aufreißt und neue Probleme schafft, indem sie ihm erzählt, er habe eine Tochter. Diese ist dann die Kritik an den vernachlässigten Menschen der Stadt in Person – eine gerade 18-jährige, hat gerade eine Abtreibung hinter sich, kommt nur mit Drogen durch den Tag, ist unfähig, Gefühle zuzugeben und repräsentiert somit die sozial Schwachen. Oder das komplizierte Vater-Sohn-Verhältnis von Raschid und Cyrus; hier mag man eine Abwandlung des Motivs vom verlorenen Sohn sehen. Die Aufzählung der Themen könnte an dieser Stelle ins Unendliche gehen, doch das mag dann jeder selbst im Film sehen.
Wenn man gegen Ende minutenlang einer wunderbaren Geschichte lauschen darf, die Harvey Keitel erzählt, ist das allerdings ohnehin relativ egal, dann gibt man sich einfach nur seiner Erzählung hin, und bekommt im Nachhinein ohne Sprache, nur mit Musikunterlegung, eine warmherzige Visualisierung selbiger nachgeliefert – somit endet der Streifen versöhnlich und hinterlässt den Zuschauer mit einem wohligen Gefühl.
Fakt ist, dass es sich hier um einen Film handelt, der ein Produkt der Freude ist, und nicht des Zwangs. Vieles ist improvisiert und allen Beteiligten machte die ganze Sache dermaßen Spaß, dass direkt im Anschluss an „Smoke“ in nur 6 Tagen der Folgefilm „Blue in the Face“ abgedreht wurde, der zu 90% aus Improvisationen der Darsteller besteht.
Somit ist „Smoke“ nicht nur ein dahergelaufener, zwangsorientierter Kunstfilm, sondern eine belebte, nicht selten auch melancholische Ode an das Leben, den Stadtteil Brooklyn und – natürlich – mitunter auch an den blauen Dunst, der im Film allgegenwärtig ist.
Die Zigarette ist wohl die größte Metapher des Films. In nahezu jeder Szene raucht irgendjemand und obwohl es selten gesagt wird, weiß man immer, warum. Sei es Kummer, Freude oder einfach nur Gewohnheit – für jede Figur hat die Zigarette eine andere Bedeutung.
Über die Besetzung an sich braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren: Harvey Keitel („Das Piano“) ist in der Rolle des Auggie Sympathisant Nummer Eins, auch wenn er natürlich, wie jede andere Figur auch, nicht alles richtig macht. Daneben überzeugen vor allem William Hurt als halb-gebrochener Schriftsteller und Forest Whitaker als vom Leben gebeutelter Mann, aber auch allen anderen Darstellern kann man nur Positives attestieren.
„Smoke“ ist ein Herzens- und Wunschprojekt, in seiner Ruhe und Gelassenheit einmalig, unglaublich sympathisch, zeigt viele verschiedenen Figuren und geht vorsichtig und emotional mit gesellschaftlich-sozialen und auch zwischenmenschlichen Konflikten um.
Alles in allem kann man hierbei wirklich von einem Juwel sprechen - auch für Nichtraucher.