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Siegburg

Siegburg

Ein Film von Uwe Boll

Hört man den Namen Uwe Boll, läuft es einem eigentlich ziemlich kalt den Rücken runter, denn was dieser Mann filmisch schon in den Sand gesetzt hat (wir erinnern uns leider an den schlampigen „Alone in the Dark“ und den noch viel schlimmeren „Bloodrayne“…), ist kaum in Worte zu fassen.
Statt ihn diesmal wie üblich dafür kritisch zu vernichten, muss man im Falle von „Siegburg“ die andere Richtung einschlagen. Ja, Uwe Boll hat ein Anliegen: In der Nacht vom 11. Zum 12. November 2006 demütigten, erniedrigten und folterten drei Zelleninsassen ihren Mitgefangenen im Gefängnis in Siegburg, Nordrhein-Westfalen, Deutschland.. Als sie realisierten, dass sie für einen Ausweg deutlich zu weit gegangen waren, erhängten sie ihn, ließen es wie Selbstmord aussehen – und das alles, ohne, dass es ein Wärter mitbekam (bzw. dass er seiner Arbeit vernünftig nachging, denn der Alarmknopf wurde betätigt)…

Diese Begebenheit, deren grausamste Details erst bei der routinemäßigen Untersuchung des Leichnams ans Tageslicht gelangten, schien den Filmemacher nicht mehr loszulassen, weshalb er ein grobes Drehbuch verfasste, welches nur Handlungsabläufe und umrissene Themen für die Dialoge enthielt, sodass es viel Raum für Improvisation bot.
Die Story erklärt sich durch die wahren Umstände quasi von selbst: bei einer üblichen Runde Poker hat der recht labile Mitch (Shaun Sipos) eine Glückssträhne und gewinnt mehrmals hintereinander. D
ies lässt ihn recht mutig werden und er wirft ein, dass der Verlierer der nächsten Runde nicht wie gewohnt mit Zigaretten bezahlen muss, sondern eine ganze Tube Zahnpasta essen muss. Wie das Leben so spielt, verlässt ihn das Glück ausgerechnet in jener Runde, allerdings weigert er sich dann, die Zahnpasta zu essen. Dies bringt Unmut unter die Mitinsassen Harry (Edward Furlong), Jack (Steffen Mennekes) und Peter (Sam Levinson) und mit Gewalt zwingen sie ihn dazu, die Zahnpasta zu essen. Dass der wehrlose Mitch dies danach einfach hinnimmt, macht ihn zur Zielscheibe der perversen Gewalt- und Erniedrigungsphantasien der Mithäftlinge…

SiegburgSiegburgSiegburg

Abseits seiner grottenschlechten Spieleverfilmungen kann man nur erstaunt sein, dass Uwe Boll doch einen beschäftigenden, aufwühlenden und intensiven Film drehen kann.
Ein guter Kniff des Drehbuchs ist z.B. die Entscheidung, das Geschehen in der Zelle so, wie es passiert ist, darzustellen und diese Darstellung den narrativen Rahmen des Films bilden zu lassen. Unterbrochen wird dies regelmäßig von Kommentaren der Täter/Zelleninsassen, die sie bei einer Befragung nach der Tat abgeben. Diese größtenteils improvisierten Passagen verleihen dem ganzen Film einen semidokumentarischen Charakter und geben gleichzeitig einen tiefen Einblick in die Psychen der Täter. Hervorragend ist auch in diesen Passagen, die möglichen gestellten Fragen gegenüber den Tätern nicht zu zeigen oder einlesen zu lassen. So prallen die puren Antworten ohne Vorwarnung auf den Zuschauer und wirken dadurch, oftmals in extremem Maße bei Harry und Jack, schockierend und verstörend. Es ist interessant, wie unterschiedlich die Menschen, die diese Gräueltat begangen haben, ihr Verhalten im Nachhinein bewerten. Dieses Gefühlsspektrum reicht vom Ausdruck eiskalter Unberührtheit über verlogenen Trotz bis hin zu unvorhersehbarer Reue und die Tatsache, dass dabei auch verschiedene Problematiken des gesellschaftlichen Lebens, wie z.B. Gruppenzwang, angesprochen werden, macht das ganze Geschehen zum Greifen nah und just in diesen Momenten setzt die Darstellung der Ereignisse in der Zelle wieder ein.
Diese Bilder in der Zelle sind dann auch sehr schockierend und in ihrer Wirkung verstörend, obwohl komplett auf blutige Details verzichtet wurde. Die Wirkung entfaltet sich hier auf psychischer Ebene. Da man den Ausgang kennt, gibt es hier keine Hoffnung auf ein glückliches Ende oder eine Erlösung, ganz im Gegenteil. Man weiß mit jeder Erniedrigung, dass es ein Schritt mehr in Richtung Tod ist und sitzt als Zuschauer nur fassungslos vor dem Bildschirm, und es passiert deutlich mehr als einmal, dass man sich einfach nur vom Gezeigten abwenden möchte.
Die Szenen in der Zelle haben von Anfang an einen latent beängstigenden Grundton und man ahnt, dass Böses in der Luft liegt. Wie sich die drei Insassen stets neue Perversionen und Unmenschlichkeiten ihrem „Feind“ gegenüber ausdenken und sich der Härtegrad von Gewalttat zu Gewalttat eruptiv steigert, brennt sich angesichts der grausamen Wahrheit, die dahinter steckt, tief ins Hirn des Zuschauers ein. Dass alles entweder in den Befragungsräumen, die, nebenbei bemerkt, nur spärlich ausgeleuchtet sind und dem ganzen einen dunklen Charakter geben, oder in der Zelle spielt und man nie z.B. eine Außenansicht oder etwas anderes vom Gefängnis sieht, macht das Geschehen nahezu klaustrophobisch eng und die verstärkt in erheblichem Maße die Nachvollziehbarkeit der ausweglosen Situation.
Kalt lässt der Film den Zuschauer also definitiv nicht. Wenn der Traktierte in seiner anfänglichen Not noch den Notschalter drückt, das Erscheinen der Wache aber durch die anderen verhindert werden kann und die unmenschlichen Erniedrigungen danach erst richtig ausbrechen, dürfte sich in jedem Zuschauer eine große Wut aufstauen. Wie diese barbarische und leider für den Zuschauer als passierend aufzunehmende Gruppendynamik von Schlägen und Tritten über Trinkzwang von schädlichen Gemischen dahin führt, dass der Gequälte sein eigenes Erbrochenes wieder essen muss, er vergewaltigt und dann auch noch in einer durch völlige Abstinenz von Geräuschen oder Musik auffallenden Szene mit einem Besenstiel anal penetriert wird, sind dann nur einige der unfassbaren Abartigkeiten, die sich in dieser Nacht im Jahre 2006 zugetragen haben und nun hier verfilmt wurden.

Es ist also bei Weitem kein Vergnügen, den Film zu schauen. Er ist hart, dreckig und durch die glaubwürdigen Darstellungen sehr realistisch. Der spärliche, aber passend platzierte Einsatz visueller Mittel wie das erwähnte Löschen der Tonspur, einer stets recht unstabilen Kamera oder gegen Ende Texteinblendungen zu den einzelnen Personen, die über ihre Verurteilungen und Haftzeiten erdrückenden Aufschluss geben, tragen stark zur Atmosphäre des Films bei und daher sei hiermit auch gesagt, dass „Siegburg“ sanfteren Gemütern eher nicht zu empfehlen ist, da er selbst festeren Mägen ein mulmiges Gefühl bereiten dürfte.

Es ist kein Horrorfilm, aber ein Schocker. Er stellt eine Tat nach, die in die Untiefen des Bösen in der menschlichen Psyche ging. Und er lässt den Zuschauer kalt und fassungslos den Abspann betrachten. Kein qualitativ großer Film, dem man Millionen von Dollar ansieht – aber, und das ist in diesem Fall wesentlich hochwertiger, eine düstere, pure Bestandsaufnahme einer Gräueltat.

Eine Rezension von Sebastian Walther
(17. November 2009)
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Daten zum Film
Siegburg Canada 2009
(Stoic)
Regie Uwe Boll Drehbuch Uwe Boll
Produktion Kamera Marty Naucler
Darsteller Edward Furlong, Shaun Sipos, Sam Levinson, Steffen Mennekes
Länge 87 Minuten FSK 18 (SPIO/JK)
Filmmusik Jessica de Rooij
In Deutschland ist "Siegburg" leider nur gekürzt erschienen. Die DVD mit der SPIO/JK-Freigabe entbehrt ca. 2 Minuten, die Blu-Ray mit einer FSK 18-Freigabe lässt zusätzlich nochmal ca. 3 Minuten vermissen. Eine ungeschnittene Veröffentlichung ist laut Ver
Kommentare zu dieser Kritik
loveissuicde sagte am 20.11.2009 um 10:30 Uhr

Verdammt, du hast mich neugierig gemacht!!

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