Schon seit längerem auf Halde liegt bei mir der einzige Giallo von Tonino Valerii. Dieser hat sich seine Sporen vor allem im Italo-Western verdient, war er nicht nur Assistent Director bei
Für eine Handvoll Dollar und
Für ein paar Dollar mehr, sondern drehte auch eigene, bemerkenswerte Streifen, nicht zuletzt natürlich zusammen mit seinem Mentor Sergio Leone Mein Name ist Nobody. „My dear Killer“ stellt zwar nicht das Regiedebut von Valerii dar, ist aber immerhin mit dem Entstehungsjahr 1971 durchaus noch ein recht früher Vertreter des Giallo.
Schon zu Beginn geht der Film in die Vollen, als der Versicherungsdetektiv Paradisi am Rande eines Sumpfes irgendetwas sucht. Mithilfe eines Baggers möchte er etwas ausgraben, scheitert jedoch daran, dass der Baggerführer es sich anders überlegt, und Paradisi mit der Baggerschaufel ganz undiplomatisch den Kopf abtrennt. Inspektor Luka Peretti nimmt sogleich die Ermittlungen auf. Alsbald findet man den Baggerführer, doch dieser hat sich erhängt – Selbstmord. Doch Peretti wird schon bald klar, dass er ermordet wurde. Der eigentümliche Müllsammler und Sumpfanwohner Matias führt Peretti auf die Spur des ungeklärten Entführungsfalls Moroni. Damals wurde ein kleines Mädchen und später auch ihr Vater entführt, beide starben in Gefangenschaft. Das Rätsel konnte nie
geklärt werden, doch schon bald wird klar, dass die aktuelle Mordserie damit zusammenhängt: Paradisi ermittelte in dem Entführungsfall! War er dem Killer auf der Spur? Ist der Killer ein Mitglied des Familienclans Moroni? Ist die Geschichte dieses Giallo für italienische Verhältnisse sehr komplex?
Ja! Ist sie!
Doch Regisseur Valerii verliert nur selten den roten Faden seiner Geschichte aus dem Blick. Die Geschichte ist für das Genre überaus verwickelt, ständig gibt es neue Twists, neue Einblicke und weitere Verdächtige. Die Hauptperson ist in diesem Falle auch überraschenderweise ein Polizist, der tatsächlich auch ermittelt und dadurch den geheimnisvollen Mörder in arge Bedrängnis bringt – glaubt er. Abgesehen von einzelnen „Eingebungen“ Perettis sowie ein paar Zufällen, läuft das Geschehen auch in größtenteils logischen Bahnen ab. Das Script ist somit über weite Strecken gut geschrieben, verheddert sich aber manches Mal in Plotpoints, die leider keine sind. Der Film fixiert sich lange Zeit auf eine Kinderzeichnung mit einem abgerissenen Stück; kennt man den Film aber, muss man festhalten, dass diese Zeichnung die Geschichte nicht wirklich voranbringt, zumindest nicht in dem Maße, wie vom Regisseur und Autoren intendiert. Die fast schon klassische Ermittlungsarbeit findet dann ihren Höhepunkt in der Konfrontation des Killers im Kreise der Familie, inklusive Ansprache von Inspektor Peretti. Als großen Spannungsbonuspunkt gibt es hier anzumerken, dass der finale Hinweis auf den Killer erst in der allerletzten Einstellung verraten wird. Prima!
Abgesehen von dieser traditionellen Krimiteilen herrscht hier der Giallo in Reinkultur – fast schon lehrbuchmäßig! Der Killer stalkt aus Ego-Sicht als ob es keinen Morgen gibt, wir bekommen Kinderzeichnungen (s.o.), einen typischen, nichtsdestotrotz spitzenmäßigen, Morricone-Score samt Kinderchören, etliche Verdächtige, ein paar blanke Brüste sowie einen gut ansteigenden Bodycount. Gerade hier legt der Film eine gesunde Härte an den Tag, und nicht zuletzt einiges an Kreativität! Oder gibt es noch einen Giallo, in dem ein Bagger als Mordwerkzeug zur Enthauptung missbraucht wird? Mir ist keiner bekannt! Dazu präsentiert uns Valerii noch einen knackigen Mord mit einer Kreissäge, der technisch glänzend und ziemlich saftig gelöst wurde.
Gerade durch die technisch kompetente Umsetzung, den glanzvollen Score von Meister Morricone, sowie dem packenden Drehbuch ist „My dear Killer“ ein sehr ernster und grimmiger Film. Es gibt kaum Anflüge von Humor (auf die Schnelle fällt mir nur die kurze Szene ein, als die Polizistin bei der Lehrerin anrufen sollen), und ein Thema wie Kindsenführungen, Kindsmorde und nicht zuletzt Pädophilie sind immer bedrückend. Gerade letzteres ist über lange Zeit unterschwellig vorhanden, wird dann aber immer expliziter angesprochen – über die Notwendigkeit des „Höhepunkts“, dem Auftritt eines nackten Mädchens, kann man sicherlich streiten.
Für die sechs Sterne reichts nicht so ganz, da es trotzdem ein paar Flaws und Schlaglöcher im Drehbuch gibt, aber nix wildes. Es stellt sich manchmal die Frage, warum der Killer genau dann handelt, wenn Peretti ihn fast hat. Beobachtet er ihn? Es gibt eine Szene, in der Peretti belauscht wird, aber die reicht nicht für den Rest des Films. Die Auflösung geht im Rahmen des Genres in Ordnung, die Besetzung ist mit Marilù Tolo, George Hilton und William Berger klasse. Den Score von Morricone hab ich schon in höchsten Tönen gelobt, die Regie von Valerii ist versiert und zum Ausschau halten gibt es noch Lara Wendel als Kind, die in späteren Jahren eine Karriere im italienischen B-Horror verfolgte.
Somit ist „My dear Killer“ ungewohnt komplexes Giallo-Kino, das mit den Stärken des Genres zu begeistern weiß. Tolles Ding!