Zurückhaltung kann eine Tugend sein; nicht zuletzt bei Filmen. Die leiseren Töne sind häufig die, die nicht allzu schnell vergessen werden, wenn der Abspann läuft und man eine Nacht über den Streifen geschlafen hat. Ein schönes Beispiel der modernen Kino-Komödien ist der immer wieder gerne herbeizitierte American Pie, dessen gross-out-Szenen weniger hängen bleiben als die eigentlich sehr schöne und ehrliche Darstellung der Freundschaft der Protagonisten. Der Apfelkuchen ist natürlich legendär, aber sonstige Ekelstellen geraten in Vergessenheit, wie auch keines der inzwischen zahlreichen Sequels auch nur ansatzweise den Status des Originals erreichen konnte. Die meisten der modernen Teenie-Klamotten verstehen genau diesen Punkt nicht, und verballern dann lieber die Blut-und-Sperma-Zoten im Minutentakt, um sich hinter einer tatsächlich konservativen Moral letzten Endes zu verstecken – siehe
Sex Drive - Spritztour.
„The Hangover“ versucht nun einen Mittelweg zu gehen. Die enorm gut bewertete und erfolgreiche Komödie (Teil 2 bekam wohl schon bei Sichtung eines ersten Trailers von Teil 1 das grüne Licht der Produzenten) erzählt die Geschichte einer Nacht in Las Vegas. Zusammen mit zwei Freunden, Phil und Stu, will der Bräutigam Doug eine letzte Nacht als unverheirateter Mann in der Stadt der Sünde feiern. Das schwiegerväterliche Mercedes-Mobil wird genauso mitgenommen wie der
Bruder der Braut, doch die Nacht artet aus. Als Phil, Stu und Alan am nächsten Morgen erwachen, ist nicht nur das Hotelzimmer verwüstet (und hat den ein oder anderen neuen Bewohner), sondern auch der Bräutigam ist unauffindbar. Die Zeit zur anstehenden Hochzeit läuft ihnen weg, und so müssen sie die chaotischen Ereignisse der Nacht rekonstruieren...
Prinzipiell will Regisseur Todd Phillips dann auch keine Ekelkomödie inszenieren, sondern tatsächlich eine Geschichte über Freundschaft, Vertrauen und Verschwiegenheit erzählen. Ein schöner Ansatz, der aber leider nicht aufgeht. Denn um wieder auf die Einleitung dieser Kritik zurückzukommen: Zurückhaltung zahlt sich dann manchmal doch mehr aus, als ständig Vollgas zu geben. Entweder man macht einen „realistischen“ Film in diesem Genre (American Pie), oder man wirft sämtliche Anker über Bord und fährt die Schiene „Völlig-Drüber“, was gerade bei konsequenter Umsetzung einen Heidenspaß machen kann, wie nicht zuletzt Blues Brothers aber auch Ey Mann, wo ist mein Auto? bewiesen haben. Doch Regisseur Phillips versucht hier ziemlich genau einen Mittelweg zu gehen, und fährt damit den Film über weite Teile tatsächlich ziemlich vor die Wand. Überraschenderweise beweist er häufig eher wenig Talent für Komik und gelungene Pointen, da er Szenen einfach zu weit auswälzt. In Erinnerung ist mir als Beispiel hier geblieben, dass Alan den Rainman aus dem gleichnamigen Film als „Artisten“ bezeichnet, was schon für Schmunzler sorgt, aber das anschließende „Alan, Rainman war ein Autist, kein Artist.“ würgt die Pointe leider völlig ab. Und solche Szenen gibt es leider öfter.
Auch ist der Film über weite Strecken extrem redundant, so dass sich trotz der kurzen Laufzeit tatsächlich einige Längen einschleichen. Das eigentliche Erzählschema wiederholt sich immer wieder, und driftet immer mehr in Unglaubwürdigkeiten ab. Dabei ist auch der Humor wieder sehr selbstzweckhaft und bestimmte Szenen dienen nur der Pointe respektive dem Gastauftritt von Mike Tyson. Überhaupt entsteht der Eindruck, dass es nur eine grobe Abfolge von Szenen gab, aber kein echtes Drehbuch, dass diese Szenen und Ideen sinnvoll miteinander verbinden konnte. Das wird darüberhinaus auch nicht einmal ansatzweise kaschiert, so dass das meiste der Narration völlig im Dunkeln bleibt. Szenen werden weder etabliert, noch aufgelöst, und gerade wichtige Fragen wie die Sache mit dem Polizeiwagen werden nicht einmal ansatzweise erklärt, obwohl gerade hier andere Charaktere Licht ins Dunkel bringen könnten.
Was umso ärgerlicher ist, als dass der Film eigentlich eine genuine witzige und ehrliche Geschichte erzählen könnte. Denn das Thema, die Geschichte eines üblen Suffs am nächsten Tag rekonstruieren zu müssen ist prima, realitätsnah und für den Zuschauer nachvollziehbar, so dass dieser sich mit den Charakteren theoretisch identifizieren könnte. Doch leider sind diese erstens Vollidioten und zweitens Unsympathen, nicht zuletzt der potentielle larger-than-life comedic-Sidekick Alan, der, gerade wenn man den Verlauf des Films kennt, eigentlich echt von seinen Kollegen geprügelt gehört. Gerade durch die völlig überzogene Darstellung der Charaktere und der Geschehnisse versandet der ernste Ansatz über eine Männerfreundschaft und die Freuden des Alkohols leider völlig. Sehr schade um einige der gelungenen Witze, die sich natürlich auf der leiseren Seite des Humors finden, wie etwa das enttäuschte „Schade!“ von Alan, während alle anderen fluchen, oder der völlig aus der Luft gegriffene Vortrag über die Gewürzvorlieben von Tigern. Anstatt sich auf diese Stärken zu konzentrieren, muss man ja unbedingt Tiger, Hühner, Polizeiautos, Schiessereien und einen nackten Bandenchef einbauen, nur um dann in einer fatal langweiligen Auflösung den Verbleibensort von Doug zu klären, und die eigentlich realistisch gemeinte Hochzeit mit einem völlig deplazierten Sänger vollends vor die Wand zu fahren – wie fast den ganzen Film.
Dann doch lieber noch zum dritten Mal „The Pineapple Incident“ aus der ersten Staffel von
How I met your Mother. Ein ungleich lustigerer und vor allem ehrlicherer Ansatz, eine ähnliche Geschichte über die Freuden und Gefahren des Alkohols zu erzählen.