„Pull the string! Pull the string!”
Seine Karriere war genauso wackelig wie die unzähligen Pappkulissen, die Illusionen schaffen sollten und letztlich nur ungläubige Blicke ernteten. Edward D. Wood Jr., der angeblich schlechteste Regisseur der Welt, stand bis zu seinem frühen Tod immer mit einem Fuß am Abgrund, erweckte aber jedes Mal den Eindruck, als würde er dies überhaupt nicht bemerken. Seine Leidenschaft trieb ihn beständig an und wurde zum treuen Begleiter in einem bewegten Leben, das so hoffnungsvoll wie eine Filmromanze begann, jedoch jäh, bitter und traurig wie ein Melodram endete. Das Leben kennt eben keine Drehbücher.
Erst nach dem Tode Woods erlangte der Regisseur, Drehbuchautor und Produzent Kultstatus, freilich in anderer Form, als er es sich zu Lebzeiten jemals hätte ausmalen können (und wollen), denn nichts in der Welt ist schwerer zu erarbeiten als ein schlechter Ruf, wie unsereins nunmehr weiß. Und Wood, der Idealist, arbeitete hart, geradezu verbissen, ohne zu erkennen, dass der Traum vom umjubelten Star am bereits hell erleuchteten Himmel Hollywoods so fern lag wie die Aussicht auf hilfreich unter die Arme greifende Geldgeber. Es ist eine recht bittere Ironie, dass dieser tragischen Figur im Jahre 1994 ein handwerklich perfekter Film gewidmet wurde. Dass der Erfolg an den Kinokassen letztlich ausblieb, erscheint da schon fast wie die leise Verbeugung eines Großen vor einem ewig Missverstandenen
, denn die Liebe zum Film lässt sich nun einmal nicht an Zahlen festmachen.
„ED WOOD“ erzählt die Lebens- und Leidensgeschichte des Filmemachers. So lernen wir Edward D. Wood Jr. (Johnny Depp, „
Wenn Träume fliegen lernen“ [2004]) schon recht schnell als unermüdlich um Ruhm kämpfenden Menschen kennen, dem eine – seiner Meinung nach – ausgewogene Dramaturgie wichtiger ist als beispielsweise teure Effekte oder Hintergrundbauten. Überdies macht Wood keinen Hehl aus seiner Vorliebe für plüschige Angorapullover und das Tragen von Damenunterwäsche, was nicht nur den Unmut seiner damaligen Freundin Dolores Fuller (Sarah Jessica Parker, „
Sex And The City - Der Film“ [2008]) hervorruft. Doch der Kreativkopf bleibt eisern und träumt trotz aller Querelen weiterhin von „seinem“ Film, dem einzig wahren Lebenswerk.
Rein zufällig schließt er eines Tages Bekanntschaft mit dem mittlerweile abgehalfterten Dracula-Urgestein Bela Lugosi (Martin Landau, „
Verbrechen und andere Kleinigkeiten“ [1989]), der bereits schwer von seiner Morphinsucht gezeichnet ist. Sollte
der Film gar in greifbarer Nähe liegen? Wood ist logischerweise Feuer und Flamme angesichts der möglichen Option, nunmehr neben Laiendarstellern auf einen echten Star zurückgreifen zu können, und gewinnt Lugosi, der schon fast vergessen war, kurzerhand für weitere (skurrile) Filmprojekte. Sich auf dem baldigen Höhepunkt seiner Karriere wähnend, ereilt den jungen Filmschaffenden jedoch ein herber, unerwarteter Verlust…
Mit der gänzlich in schwarz-weiß gedrehten Tragikomödie
„ED WOOD“ schuf Kino-Fantast
Tim Burton einen ganz besonderen Film. Sonst eher ein Freund bunt- bis düster-grotesker, von Morbidität und bizarren Einfällen bevölkerten Bilderwelten, tauschte der Regisseur ebenjene diesmal gegen ein in jeder Hinsicht
farbloses Set ein, das nicht von ungefähr den Anschein erweckt, einem billigen B-Movie der 1950er Jahre zugehörig zu sein. Burton lässt seine komplette Kulisse nebst Requisiten zur Spielwiese werden, auf der sich neben einem lange gehegten Kindheitstraum auch diverse Versatzstücke aus dem breiten Fundus des „billigen Films“ voller Inbrunst austoben. So erfährt Bela Lugosi wie einst der von ihm verkörperte Dracula seine – zumindest filmische – Wiedergeburt, indem der Star, welcher Burton nach eigenen Angaben in seiner Kindheit nachhaltig begeisterte, durch den grandiosen, fast nicht wiederzuerkennenden
Martin Landau ein zutiefst menschliches, weil tragisch-realistisches Gesicht erhält. Mit viel Gespür für das richtige Timing nähert sich Landau der äußerst schwierigen Rolle an, lebt diese bis zum letzten Moment aus und beschreibt so den leisen, langsamen Zerfall eines vormals Großen, ohne allzu sehr auf die Gefühlsschiene zu gelangen. Bei der darauffolgenden Oscar-Verleihung folgte die Auszeichnung für diese harte Arbeit, und sie ist schlichtweg zu befürworten.
Aber wir wollen uns hier ausnahmsweise mal nicht Ed Woods Marotten zueigen machen und das Gelingen des Filmes alleine von der Person Bela Lugosis respektive Martin Landaus abhängig machen. Denn auch wenn der Hochgewachsene hier und da alles andere in den Schatten zu stellen scheint, so wäre es doch vermessen, die restliche Besetzung unerwähnt zu lassen. Das titelgebende „Multitalent“ etwa, welches durch
Johnny Depps Performance niemals auch nur annähernd ins Lächerliche abdriftet, lässt zum Beispiel gerade in den unzähligen Wood/Lugosi-Einstellungen eine Tragik ans Tageslicht gelangen, die höchstens von den absichtlich grell geschminkten Gesichtern aller Protagonisten überstrahlt wird. Plötzlich wird die Liebe zum Medium Film – ehe man sich’s versieht – greifbar verortet, bekommt eine Faszination Gesicht und Körper. Und irgendwie versteht man nun ganz von alleine, warum Ed Wood ein so schlechter Regisseur nicht sein konnte, versprühten seine (zugegeben dilettantischen) Werke doch immer einen kindlichen Charme, der einherging mit purer Lust am Inszenieren. Dass die Requisitenbeschaffung im Falle des auch im Film gezeigten „
Bride of the Monster“ [1955] nicht auf legalen Pfaden verlief, ist genauso wie die denkwürdige Arbeit an „
Plan 9 from Outer Space“ [1959] unterhaltsames Beiwerk und sorgt in keiner Weise dafür, dass der Mensch Wood in Misskredit gezogen wird.
Auch
Bill Murray („
Lost in Translation“ [2003]) als Bunny Breckinridge,
Lisa Marie („
Sleepy Hollow“ [1999]) als Vampira und Wrestler
George 'The Animal' Steele (mit frappierender Ähnlichkeit!) als der Wrestler Tor Johnson überzeugen in ihren Neben- und Kleinstrollen, ohne die Ed Woods Filme nur halb so „gut“ gewesen wären. Wer die Klassiker, die im Film zitiert werden, gesehen hat, wird seine helle Freude an den unzähligen Querverweisen haben, die Burton im Laufe der Geschichte einstreut, wenngleich einem das Lachen doch das ein oder andere Mal im Halse stecken bleibt. Denn trotz der ironischen Untertöne, der beschwingten Musik aus der Feder von
Howard Shore („
Herr der Ringe“-Trilogie) und der Aussparung der traurigen Wirklichkeit, die Edward D. Wood Jr. am 10. Dezember 1978 in Form eines Herzinfarktes einholte, ist
„ED WOOD“ genau genommen die Geschichte einer aussichtslosen Jagd nach Anerkennung. Anerkennung, die Wood zu Lebzeiten leider nie fand. Der Idealist starb mit nur 54 Jahren und mit ihm der so lange gehegte Wunsch, seinem erklärten Vorbild Orson Welles („
Citizen Kane“ [1941]) nachzueifern. Der Glaube an die Kraft der bewegten Bilder war zwar letztlich stärker als die allgegenwärtige bittere Wahrheit, doch vermochte auch er den unvermeidlichen Schicksalsweg Woods, auf dem er sich zeit seines Lebens befand, nicht bequemer zu gestalten.
Vielleicht ist es gerade die Tatsache, dass Burton „seinem“ Ed Wood zumindest die Aussicht auf ein Happy End gönnt, die den sowieso schon guten Film noch ein Stückchen besser, weil einfühlsamer werden lässt. Eventuell ist es aber auch schlicht die Liebe zu einem Medium, die aus jeder einzelnen Einstellung von
„ED WOOD“ spricht – einem Film, mit dem dem begnadeten Regisseur Burton nicht nur eine zu Herzen gehende Huldigung, sondern auch ein bemerkenswertes Plädoyer für das Glauben an die jedem innewohnenden Fähigkeiten gelang. Burton, der – wie einst Wood – seit Jahren mit Herz und Seele im Filmgeschäft tätig ist, hat scheinbar verstanden, worauf es beim Filmemachen wirklich ankommt.
Ed Wood wäre sicherlich stolz auf ihn.