„A woman doctor... what an age this is.“
Mit einem bitterbösen Kulturschock sieht sich der elegante Blutsauger Barnabas Collins (Johnny Depp) in Tim Burtons Kinoauflage der 60's-Gruselseifenoper „Dark Shadows“ konfrontiert.
Als wäre es nicht bereits schlimm genug, dass Barnabas im Achtzehnten Jahrhundert von der Hexe Angelique Bouchard (Eva Green) hinterlistig in ein Wesen der Nacht verwandelt und in ein dunkles Grab gestoßen worden wäre – nein, ausgerechnet im Jahre 1972 verhilft ihm ein gelber Drache aus seiner quälenden Isolation und die Augen des Teufels geleiten ihn zurück in seine Heimat, das Fischerstädtchen Collinsport. Doch es ist ein anderes Collinsport, als er es aus seiner Erinnerung kennt:
Hell erleuchtete Straßen, Menschen in eigenartigen Gewändern und das Wort „Superfly“, welches groß an ein Gebäude angeschlagen steht, zeugen von einem radikalen Wandel der gewohnten Umgebung.
Auch seine Nachfahren, die das einst üppige und nun modrige Collinwood Manor bewohnen, wirken leicht neben der Spur.
Es ist Elizabeth Collins (Michelle Pfeiffer), die Barnabas letztlich seine fantastische Geschichte abnimmt und ihn in der neuen Generation willkommen heisst.
Während ihr Bruder Roger (Jonny Lee Miller) zynisch dem finanziellen Ruin des Hauses entgegenblickt und den Kindern Carolyn (Chloë Grace Moretz) und David (Gulliver McGrath) förmlich die staubige Decke auf den Kopf fällt, soll sich die schrullige Psychiaterin Julia Hoffman (Helena Bonham Carter) den Problemen der Collins annehmen. Eine Bilderbuchfamilie, das sind die Collins nämlich nicht.
Der bis über beide Ohren in das frisch eingestellte Kindermädchen Vicy (Bella Heathcote) verschossene Barnabas macht es sich schließlich zur Aufgabe, das einst so lukrative Fischereigeschäft wieder aufblühen zu lassen und den guten Familiennamen wiederherzustellen – dabei gerät er unverhofft erneut an seine diabolische Verehrerin Angelique, die sich nun auch als knallharte Kontrahentin in geschäftlichen Angelegenheiten entpuppt...
„Dark Shadows“ ist eine morbide Gruselkomödie, die sich zunächst direkt als
Old school-Burton klassifizieren ließe:
Es gibt ein surreales, knallbunt-verzerrtes - eben
burtoneskes - Szenario zu bestaunen, welches es sich inmitten eines ruhigen, aber reichlich tristen, Alltags gemütlich macht.
In „Beetle Juice“ (1988) war es ein verstorbenes Ehepaar, das mit allen Mitteln versucht, die neuen Besitzer aus dem früheren Heim zu vergraulen, in „
Edward mit den Scherenhänden“ (1990) der tragische Protagonist, dessen besondere Fähigkeiten von einer kleinen Gemeinde regelrecht ausgebeutet werden – in „Dark Shadows“ ist es nun ein kultivierter Vampir, der sich von dem modernen Zeitalter nicht ins Bockshorn jagen lässt und souverän den Kitsch der frühen Seventies aufmischt.
Auch wenn sich den Zuschauern hier inhaltlich bestimmt nicht sehr viel Neues bietet: Nach einem zähen Einstieg, der knapp die Ausgangssituation abhandelt, verstehen zumindest die ersten zwei Drittel dieses Aufeinandertreffens entfernter Generationen auf vortreffliche Weise zu amüsieren.
Das liegt zum einen ganz sicher an dem unverkrampften Spiel Depps - ein Hauch von Burtons großem Idol, dem legendären Vincent Price, liegt bei dessen Performance in der Luft -, dessen Barnabas sich von der Zukunft wohl verdutzt, nicht jedoch beeindruckt, zeigt.
Den Auftritt
einer gewissen Alice Cooper bei dem opulenten Happening in Collinwood Manor kommentiert er zum Beispiel reichlich abfällig: „Ein solch hässliches Frauenzimmer habe ich ja noch nie gesehen...“
Aber man muss sich ja auch vor Augen führen, dass dieser Mann einige Jahrhunderte in einer engen Kiste verbracht hat und dazu verdammt worden ist, menschliches Blut zu trinken – wen schockiert da noch, dass der Volvo inzwischen die Kutsche ersetzt und geschrumpfte Frauen aus einer Kiste singen?
„Dark Shadows“ macht eindeutig dann am meisten Spass, wenn die nüchternen Äußerungen des Vampirs auf die der vorlauten Familie prallen, wenn in den Dialogen das dunkle Zeitalter mit der Popkultur kollidiert.
Er schaltet auf Autopilot, wenn Barnabas den Versuch unternimmt, sich wieder in einen Menschen zu verwandeln oder sich dessen alte Liebe in einer neuen Gestalt offenbart.
Und wenn sich dann in den letzten zwanzig Minuten der große Showdown in seiner vollen, effektbeladenen Pracht präsentiert, ist man sich sicher, dass Burton und seinem Autor Seth Grahame-Smith ein wenig die Ideen ausgegangen sind und ihnen ein visuell und mit Genrezitaten erschlagener Zuschauer wohl immer noch lieber als ein gelangweilter Zuschauer ist – in meinem Fall ist es allerdings häufig dasselbe.
Mit seiner aktuellen Arbeit fügt Bilderstürmer Tim Burton seinem Werk keinen neuen Meilenstein hinzu; „Dark Shadows“ funktioniert vielmehr als lockere Fingerübung, die sich zugleich als Hommage an die eigenen TV-Wurzeln, die grellen Siebziger und Kino-Helden wie Roger Corman oder Christopher Lee (der hier einen kleinen Gastauftritt absolviert) versteht.
Ja, dies ist auch ein kleiner Schritt zurück zu den Anfängen des Ausnahme-Regisseurs selbst. Und auch wenn es „Dark Shadows“ nicht mit einem „Beetle Juice“ aufnehmen kann, so verbleibt immer noch ein knapp 90-minütiges, humorvoll-schauriges Vergnügen im gewohnten Burton-Format. Besser als der etwas kraftlose Vorgänger „
Alice im Wunderland“ (2010) oder die völlig missratene „Planet der Affen“-Neuauflage (2001) ist er allemal.
Moment! Der Film dauert aber 113 Minuten - warum habe ich dann oben etwas von 90 Minuten geschrieben?
Ganz einfach: Ich habe das unnötig aufgeblasene Finale dabei abgezogen.