ICH SEHE WAS, WAS DU NICHT SIEHST.
„Girl on the Train“ von
Paula Hawkins war Anfang 2015 ein Weltbestseller, von dem zwischenzeitlich weltweit gar an die 20.000 Buchexemplare pro Sekunde verkauft worden sein sollen. Wer in solche Sphären vordringt, die sonst nur den üblichen Verdächtigen wie J.K. Rowling oder Dan Brown vorbehalten bleiben, wird in der heutigen Zeit mit einer zeitnahen Kinoverfilmung seines Buchphänomens quasi rechnen müssen. Diese bringt nun „
The Help“-Regisseur
Tate Taylor pünktlich wie die Eisenbahn in die hiesigen Lichtspielhäuser: als spannend-unterkühltes, von mehr oder minder starken Frauen bevölkertes solides Kabinettstückchen, in dem sich der Schein einer Vorstadtidylle allzu schnell in das komplette Gegenteil wandelt.
Die alkoholkranke Rachel (Emily Blunt) hat die Scheidung von ihrem Mann Tom (Justin Theroux) nie wirklich überwunden. Tagein, tagaus fährt sie mit dem Zug an jenem New Yorker Vorort vorbei, in dem sie damals noch zusammen gewohnt hatten, als glückliches Paar. Ein solches beobachtet sie nun regelmäßig vom Zug aus: Scott (Luke Evans) und Megan (Haley Bennett) sind für Rachel zwar zwei Unbekannte, die jedoch in ihren Augen die perfekte Beziehung führen. Doch dass der Schein trügen kann, erfährt Rachel schon bald, als sich die Nachricht verbreitet, dass Megan spurlos verschwunden ist – gen
au an dem Tag, an dem Rachel sie aus dem Zug heraus auf ihrem Balkon mit einem fremden Mann gesehen zu haben glaubt.
Sind es die Wahnvorstellungen einer alkoholkranken Frau, die hier plötzlich in der Realität Fuß fassen? Oder ist wirklich etwas Schlimmes passiert? Geschickt konstruierte Hawkins in ihrem Roman eine doppelbödige Geschichte, die aus mehreren Sichtweisen erzählt wurde. Wie schon in Gillian Flynns Mega-Bestseller „Gone Girl – Das perfekte Opfer“ wusste der Leser somit auch in „Girl on the Train“ immer nur so viel wie der jeweils erzählende Part, was die Spannung des letzten Endes dann doch recht konventionellen Plots um ein Vielfaches erhöhte. Auch Taylors recht vorlagentreue Filmversion behält diesen Kniff bei, verkürzt ihn allerdings filmbedingt auf die wesentlichsten Punkte. Leider wirkt
„GIRL ON THE TRAIN“, der immer wieder unvermittelt in der Handlung zurückspringt, in den ersten Minuten dadurch etwas gehetzt und konfuser als nötig. Denn wirklich kompliziert ist die erzählte Geschichte um Lügen und Verrat wahrlich nicht. Es sind vielmehr die sie bevölkernden Figuren, die diesem neuerlichen
Domestic Noir-Thriller, in dem das Böse quasi direkt am Gartenzaun wartet, die dringend nötige Würze geben.
Dabei ragt besonders eine Person turmhoch aus dem ansehnlichen Ensemble um Namen wie
Justin Theroux („
American Psycho“ [2000]) und
Rebecca Ferguson („
Mission: Impossible - Rogue Nation“ [2015]) heraus:
Emily Blunt („
Lachsfischen im Jemen“ [2011]) gibt als alkoholabhängige Rachel eine beeindruckende
One-Woman-Show mit Mut zur Hässlichkeit ab, wenn sie mit fahlem Teint und blutunterlaufenen Augen einem vermeintlichen Hirngespinst hinterhertorkelt. Ihre Rachel ist dabei genauso wenig Sympathieträger wie die von
Haley Bennett („
The Hole“ [2010]) verkörperte Megan oder Rebecca Fergusons Anna; sie alle sind von ihren jeweiligen Leben gezeichnete Individuen, was sich demgemäß in den entsprechenden Attributen
verzweifelt,
durchtrieben und
unnahbar-kühl niederschlägt. Bei einer solch illustren Ansammlung spielen die männlichen Parts erfahrungsgemäß nur die zweite Geige (und treffen dabei mitunter nicht immer den richtigen Ton).
„GIRL ON THE TRAIN“ ist somit ganz klar ein lupenreiner Frauenfilm und doch kein Film, der vornehmlich von Frauen handelt. Vielmehr beackert er nach „Gone Girl - Das perfekte Opfer“ wieder das Feld des Beziehungsdramas, welches sich über fein eingestreute psychologische Finten hinweg zu einem Thriller entwickelt, dessen fiese Doppelbödigkeit sich letztlich in einem unerwartet brutalen Gewaltexzess-Finale entlädt.
Spätestens hier wird nun auch jedem klar, dass in
„GIRL ON THE TRAIN“ nichts so ist, wie es vielleicht zunächst scheint. Dies gilt sowohl im Guten wie auch im Schlechten. Denn so undurchsichtig-prickelnd sich die Geschichte um unerwiderte Liebe und unterdrückte Gefühle auch auf dem Papier lesen mag, so bieder-unterkühlt wird sie zumeist von Regisseur Tate Taylor inszeniert. Seine Version einer Vorstadthölle präsentiert sich zuweilen genauso trostlos-trist wie das Seelenleben seiner Figuren, was durch den teils gelungenen, teils enervierend anstrengenden Score von
Danny Elfman („
Edward mit den Scherenhänden“ [1990]) gewissermaßen noch einmal doppelt auf das Brot des Zuschauers geschmiert wird (das diesem womöglich schon längst im Halse steckengeblieben ist). Kenner der Vorlage wissen freilich, auf was sie sich einlassen, doch allen anderen sei warnend vorausgeschickt, dass
„GIRL ON THE TRAIN“ der Innbegriff dessen ist, was leichte Kinokost gerade
nicht ausmacht. Und das ist hier leider Fluch und Segen zugleich. Denn das bereits angesprochene Ende will sich mit seiner beinahe schon satirisch-überspitzten Inszenierung, in der ein Korkenzieher Dreh- und Angelpunkt darstellt, zu allem Überfluss nicht so recht ins filmische Gesamtgefüge einbetten lassen und wirkt trotz Vorlagentreue wie aus einem Quentin Tarantino-Film entsprungen.
Tate Taylors
„GIRL ON THE TRAIN“ lässt am Ende keine Partei allzu gut dastehen: die Frauen nicht und die vermeintlich treusorgenden Männer sowie Familienväter, die sich nicht nur einmal nachhaltig im Ton vergreifen, schon gar nicht. Ein bemerkenswerter Umstand, der schon die Buchvorlage über den bloßen Durchschnitt hievte und maßgeblich zum Erfolg beigetragen haben dürfte. Dieses Spiel des Lebens, das weder echte Sieger noch wirkliche Verlierer hervorbringt, wird nun also auf der großen Leinwand weiterverfolgt. Dass dies auch hier zum Erfolg führen wird, scheint sicher. Selbst wenn die Schärfe der Vorlage nicht in letzter Konsequenz auf die Leinwand hinübergerettet werden konnte. Doch so ist dies nun mal: Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wie im Leben, so auch im Film. Verzeihlich.
Fazit: Emily Blunt dominiert diesen soliden Thriller, der leider etwas an seiner unterkühlten und biederen Inszenierung krankt.
Cover: © Constantin Film