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Outrage

Outrage

Ein Film von Takeshi Kitano


„Der alte Grundsatz Auge um Auge macht schließlich alle blind.“
(Martin Luther King)


Obacht: Takeshi Kitano, das Enfant terrible des japanischen Kinos jenseits des Mainstreams, schlägt wieder zu. Das Multitalent, das bis heute nicht nur als Schauspieler („Battle Royale“ [2000]), sondern zugleich auch als Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion nachdrücklich auf sich aufmerksam macht („Zatoichi - Der blinde Samurai“ [2003]), wusste schon früh die Sehgewohnheiten seiner Zuschauer auf eine wahrlich harte Probe zu stellen. Gerade seine brachiale Wiederbelebung des schon totgeglaubten Yakuza-Thrillers mit seinem Regiedebüt „Violent Cop“ [1989], dem „Boiling Point“ [1990], „Sonatine“ [1993] und zuletzt „Brother“ [2000] nachfolgten, ließ den Japaner unter Kennern zum echten Geheimtipp für kompromisslose, gleichwohl anspruchsvolle Gangsterfilme heranreifen, während die breite Masse an diesen Werken, in denen die Gewalt teilweise regelrecht explodiert, bis heute meist nur wenig Gefallen findet. Dabei bevorzugt Kitano im Grunde seit jeher die ruhigen Töne, meint, dass ein Film einzig durch seine Bilder sprechen muss, und sieht sich selbst als Opfer seines eigenen Werks, das ihn inszeniert, nicht etwa andersherum. Man sieht schon: Dieser (O-Ton Kitano) „unfreiwillige Regisseur“ denkt gar n
icht erst ans Anpassen, sondern setzt immer wieder neue, eigene Akzente, welche altbekannte Sehgewohnheiten gehörig umkrempeln. Und am Ende kommt das Resultat jedesmal ganz anders daher, als man es mit Sicherheit erwartet hat.


Nach zehnjähriger Abstinenz erfolgt nun also mit „OUTRAGE“ die Rückkehr zum Yakuza-Thriller, in dem es wie zumeist um die verästelten Machtstrukturen innerhalb der von der Auslandspresse gerne als „japanische Mafia“ betitelten Organisation geht. Hier seziert Kitano vordergründig den Sanno-kai-Clan, dessen Oberhaupt, der Kaicho, nicht sonderlich glücklich darüber ist, dass der Chef eines verbündeten Clans, Ikemoto, offene Geschäftsbeziehungen mit dem in Ungnade gefallenen Außenseiter Murase pflegt, dem Ikemoto im Gefängnis einst die Bruderschaft geschworen hatte. Um seinerseits nicht vor dem Kaicho in Ungnade zu fallen, beauftragt Ikemoto den befreudeten Clan-Chef Otomo damit, Murase eine kleine, aber wirkungsvolle Abreibung zu verpassen. Dass dies den ungewollten Beginn einer sich immer schneller drehenden Gewaltspirale darstellt, die in einem erbitterten Kampf um die Vorherrschaft über Tokios Unterwelt gipfelt, merken die Beteiligten in der Folge leider zu spät...

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Wer nun einen temporeichen, atemlosen Thriller über die Yakuza erwartet, begutachtet leider den falschen Film. Denn obwohl Kitano mit fortschreitender Minutenzahl deutlich weniger zimperlich wird, bis sich am Ende die Situation dann in ein eruptives Blutbad wandelt, überwiegen doch die leisen, die dialoglastigen Momente, die mit fast schon unerträglicher Ruhe und Gelassenheit in das kurz vorm Bersten stehende Geschehen treten. Und das ist zugleich das größte Problem des Films: Die ruhigen Passagen entfalten niemals wirkliche Eigenständigkeit, um sich als Zuschauer mit den Problemen der Protagonisten auseinandersetzen zu können. Der Grund: Die Gewaltspitzen mögen zwar rar gesät sein, werden aber nichtsdestotrotz derart plakativ eingesetzt, dass sie als einzig mögliche Konsequenz nachhallen müssen. Sie und nur sie selbst verleihen sich mehr oder minder eigenmächtig eine Relevanz, die alles andere, was noch von Belang sein könnte, in den Schatten stellt. So verkommt ausgerechnet das, was Kitano in all seinen Filmen hervorrufen möchte, zum bloßen Beiwerk, das im Folgenden genauso wirkungslos verpufft wie ein Blindgänger: echtes Mitgefühl nämlich. Als weiterer Nebeneffekt kulminiert die allzu gewaltzentrierte Inszenierung dann traurigerweise darin, dass jegliche Tötung, jede Verstümmelung mangels evoziertem Mitgefühl plötzlich im buchstäblich luftleeren Raum steht – ein regelrechtes Totschlagargument, das jeder noch so offenkundigen Härte ihre Wirkmächtigkeit entzieht und sie stattdessen zum bloßen Selbstzweck degradiert. Schade.


So verläuft die eigentlich kluge Grundidee (Der Teufelskreis von Gewalt und Gegengewalt) letztlich entweder im gänzlich blutdurchtränkten Sande oder der Zuschauer hat aufgrund der wirren Erzählweise bereits im Vorfeld den (passenderweise) roten Faden verloren. Wie man es also dreht und wendet: „OUTRAGE“ schießt mit seinem Gebaren gehörig über das Ziel hinaus.


Ob dies vom Meister persönlich so beabsichtigt war, darf ruhig angezweifelt werden, denn bisher wusste der eigensinnige Japaner selbst in seinen brutalen Thrillern durchaus mit Anspruch zu punkten, wenn auch gewiss im übersichtlichen Rahmen. Aber Erwartungen sind ja bekanntlich dazu da, um nicht erfüllt zu werden, zumindest in der sehr eigenen Welt des vielseitig begabten Kitano. Und so soll und darf bei aller Kritik nicht unerwähnt bleiben, dass der im Grunde uninspirierte, weil erschreckend seelenlose „OUTRAGE“ trotz eklatanter Fehlleistungen in einigen Punkten gehörig punkten kann. Die Inszenierung etwa ist durch und durch versiert, während sich die Bildgestaltung zuweilen als wahrlich exquisit präsentiert, vor allem in Anbetracht der äußerst begrenzten Anzahl an Drehorten, die das blutige Treiben mit ihrer kühlen, sterilen Atmosphäre unterstützen. Kameramann Katsumi Yanagijima trägt derweil mit seiner niemals aufdringlichen, sondern konzentriert durchgeführten Arbeit maßgeblich dazu bei, den düsteren Grundtenor, der selbst in den wenigen schwarzhumorigen Passagen des Films mitschwingt, ansprechend bebildert bis zum blutroten Finale aufrechtzuerhalten. Nichts soll ablenken oder stören. Die daher nur minimalistisch, aber überaus effektiv eingesetzte Musik Keiichi Suzukis untermalt die blutige Mär somit lediglich mit leisen Tönen – eine allzu trügerische Ruhe, die wie so häufig einem heftigen Sturm vorausgeht, nicht nur im Film. Denn dass das Ausnahmetalent auch mit seiner bereits siebzehnten Regiearbeit die Lager spalten würde, wusste es wohl nur zu gut. Den hartgesottenen Fans wird's dennoch gefallen. Alle anderen bleiben notdürftig auf der Strecke. Und Kitanos stoischer Blick in die Kamera, ohne erkennbare Gefühlsregung, zeigt: Es kümmert ihn nicht. Hat es nie. Eine offene Ehrlichkeit mit bitterer Konsequenz.

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Fazit: Takeshi Kitano inszenierte mit „OUTRAGE“ eine bluttriefende Gangsterparabel, die gar nicht erst versucht, sich gängigen Konventionen zu beugen. Wenig feinfühlig, dafür aber mit unverhohlener Härte zelebriert Kitano seine Rückkehr zum Yakuza-Thriller, indem er die Gewaltschraube mit zunehmender Intensität mächtig anzieht, um schließlich in einem bittersüßen Finale zu gipfeln, das uns Eines überdeutlich vor Augen führt: Der sperrige „OUTRAGE“ mag wie die meisten Filme Kitanos schwer zugänglich sein, agiert in diesem Bestreben aber zumindest konsequent. Sicherlich ist dies trotz offenkundiger Stärken kein großer Wurf, gerade im Hinblick auf die mangelnde Charakterzeichnung, und mitnichten gar das vermeintliche Meisterwerk. Aber mittlerweile gehören nicht vollends befriedigte Erwartungen ja irgendwie schon zur Grundausstattung Kitanos, der diesem Credo auch hier treu bleibt, ohne Rücksicht auf Verluste, getreu dem Motto: Dieser Film blutet, und der Zuschauer hat gefälligst mitzuleiden. Ob er dies nun will oder nicht.


Zusatzbemerkung: „OUTRAGE“ erscheint ab dem 26.08.2011 über capelight in ungekürzter Form auf DVD und Blu-ray. Zum einen wird der Film als 1-Disc-Fassung in den Handel kommen, die neben dem Hauptfilm in Deutsch und Japanisch (DD 5.1 mit zuschaltbaren dt. Untertiteln) auch interessante Interviews mit Takeshi Kitano und weiteren Darstellern, Behind the Scenes-Material und den Kinotrailer beinhaltet. Die Presse-DVD entsprach dieser Fassung (Auf der Blu-ray warten laut capelight noch zusätzliche Extras auf Begutachtung). Zum anderen wird „OUTRAGE“ noch als schicke 3-Disc Limited Collector's Edition im Mediabook veröffentlicht. Selbige beinhaltet den Hauptfilm auf DVD & Blu-ray, eine Bonus-DVD mit Kitanos vielfach ausgezeichnetem Klassiker „Das Meer war ruhig“ sowie ein 24-seitiges Booklet. Leider konnte sich der Rezensent von dieser Fassung kein eigenes Bild machen.



Eine Rezension von Stefan Rackow
(16. August 2011)
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Daten zum Film
Outrage Japan 2010
(Autoreiji)
Regie Takeshi Kitano Drehbuch Takeshi Kitano
Produktion Bandai Visual Company / Office Kitano / Omnibus Japan / TV Tokyo / Tokyo FM Broadcasting Co. Kamera Katsumi Yanagijima
Darsteller Takeshi Kitano, Kippei Shiina, Ryo Kase, Tomokazu Miura, Jun Kunimura, Tetta Sugimoto, Takashi Tsukamoto, Yuka Itaya, Hideo Nakano, Renji Ishibashi, Fumiyo Kohinata, Sôichirô Kitamura
Länge 105 Minuten FSK ab 18 Jahren
http://office-kitano.co.jp/outrage/main.html
Filmmusik Keiichi Suzuki

Rezensionsexemplar freundlicherweise zur Verfügung gestellt von © Capelight Pictures.
Kommentare zu dieser Kritik
Zombie-mower TEAM sagte am 26.08.2011 um 14:34 Uhr

Als großer Beat Kitano Fan muss ich zugeben, dass mich OUTRAGE auch nicht überzeugen konnte. Kitano subtrahiert in seinem neusten Werk viele Zutaten, die er seiner brillanten Yakuza-Trilogie der 90er Jahre "Violent Cop","Sonatine" und "Hana-Bi" geschickt beigegeben hat. Es fehlt in OUTRAGE damit eine konsequent durchgehaltene Identifikationsfigur, der Hauptcharakter tritt in den Schatten zugunsten des dargestellten Chaos und Korruption in der Mafia. Es gibt keinen Helden, keinen roten Faden und keine moralischen Konflikte wie in den 90er Jahre Filme.

Leider oder vielleicht aufgrund der Neuorientierung entscheidet sich Kitano dafür ausschließlich die Intrigen innerhalb des Clans und zwischen den konkurrierenden Clans, willkürliche, sadistische Gewaltausbrüche und das Chaos im Yakuza-Mileu zu betonen.

Unterm Strich ist OUTRAGE mehr eine Dokumentation über das Umtreiben der Yakuza, die wenn man Kitano glauben darf durch den Verlust von Integrität, Ehre und den Einzug von machtsüchitger Korruption dem Untergang geweiht ist.
Als Gewalt- und Yakuza-Mileustudie mag "OUTRAGE" auf einigen Ebenen funktionieren, als poetisches, visuell ausbalanciertes und narratives Drama jedoch scheitert es.
Stefan R. TEAM sagte am 26.08.2011 um 15:26 Uhr

Danke für den Kommentar! Schön gesagt und auf den Punkt gebracht. Gerade das Fehlen einer einzigen, einer wirklichen Bezugspersonen inmitten des Chaos, stieß mir persönlich sauer auf. Da werden altbekannte Sehgewohnheiten einfach mal grundlegend gegen den Strich gebürstet - an sich ja durchaus akzeptabel. Doch das Gefühl, dass hier jemand einfach unbeeindruckt "sein Ding dreht", bleibt schlicht vorherrschend. Und diese Gleichgültigkeit Kitanos ist für mich - trotz offenkundiger Stärken - ein Manko, über das anscheinend nicht einmal die eingefleischten Fans wohlwollend hinwegsehen können.

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