"Midnight Movies" folgt laut dem Cover der Geschichte der "schockierendsten, grusligsten, sexiesten, kultigsten, lustigsten, widerlichsten Filme der 70er Jahre". Filme, die zu Kultfilmen wurden, ohne dass man diese Absicht verfolgte. Sie alle haben eines gemeinsam: erst durch Vorstellungen um Mitternacht in Nischenkinos, ohne Werbung und nur mit Mundpropaganda, suchten sie sich ihr Publikum, wurden zu Dauerbrennern und sind heute als Klassiker, Kultfilme und Kunstwerke anerkannt. Mit einer Mischung aus Filmschnipseln, behind-the-scenes-Aufnahmen, historischen Bildern und vor allem Interviews mit den Regisseuren und Kinobetreibern sowie Filmkritikern, zeichnet "Midnight Movies" das Porträt einer vergangenen Zeit, die es in dieser Form wohl so nie wieder geben wird. Ein Rückblick mit einem lachenden Auge als filmhistorische Dokumentation.
"Midnight Movies" beginnt mit Alejandro Jodorowskys surrealem Spaghetti-Western "El Topo". In extrem künstlerischer Form erzählt der Film in Form eines Westerns von einer esoterischen Reise. Mehr zu diesem und den restlichen Filmen will ich eigentlich nicht schreiben, da zumindest einige hier sicherlich noch gesondert rezensiert werden. Danach behandelt der Film den nächsten Midnight Movie, "Night of the living Dead" von George A. Romero. Im Anschluss folgen "Pink Flamingos" von John Waters, "The harder they come" von Perry Henzell, "The Rocky Horror Picture Show" und "Eraserhead" von David Lynch. Zwischendrin werden immer
wieder historische Rückblicke gegeben um die Filme in ihre jeweilige Entstehungszeit und die entsprechenden Hintergründe einorden zu können.
Die Dokumentation ist eine Verfilmung des gleichnamigen Buches. Das Buch kenne ich nicht, kann dazu also nichts sagen. Manche Rezensionen kritisieren aber, dass die Filmversion viele Sachen weglässt und allgemein mehr wie eine Fast Food Variante des Buches wirkt. Hierzu kann ich kein Statement geben, allerdings stellt das meiner Meinung nach für den Film an sich keinen Nachteil dar, da Filme nur selten so ausschweifend wie Bücher sein können. Des weiteren wirkt die Doku ohne Kenntnis des Buches trotzdem recht ausführlich und überzeugend.
Der Film, sowie wohl auch das Buch enden mit "Eraserhead" aus dem Jahr 1977, die Erstauflage des Buches erschien 1983. Dies liegt nicht etwa darin begründet, dass Samuels keine Lust hatte, seinen Film über die entsprechenden Jahre zu erweitern, sondern dass der klassische Midnight Movie inzwischen gestorben ist. Kennzeichen von Midnight Movies war es, dass sie wie der Name sagt um Mitternacht gezeigt wurden, ohne echte Werbekampagnen. Die Kinobetreiber, allen voran Ben Barenholtz vom Elgin Theatre, setzten auf Mund zu Mund Propaganda. Das Publikum bestand vorwiegend aus "alternativen" Leuten, Studenten, etc. In den Kinos wurde während der Vorstellungen gekifft ohne Ende und gerade ein Film wie "El Topo" wurde immer mehr zur religiösen Prozession. Die meisten Filme liefen jahrelang in den Kinos, "Pink Flamingos" lief in einem Kino 10 Jahre am Stück - heute unvorstellbar. All diese Filme wurde zu Kultfilmen und Legenden, auch wenn manche heute sehr in Vergessenheit geraten sind. Auch heute gibt es natürlich noch Kultfilme, als prominentes Beispiel kann man hier sicherlich "Donnie Darko" nennen. Der gravierende Unterschied ist jedoch, dass die meisten neuen Kultfilme nicht von einem Publikum gemeinsam entdeckt und gefeiert werden, sondern von jeder einzelnen Person in der Videothek. "Midnight Movies" begründet also den Niedergang der titelgebenden Filmart mit der Erfindung und Verbreitung des Heimvideos - eine durchaus nachvollziehbare These.
Und durch die Einbettung in historische Aufnahmen aus den Kinosälen, zusammen mit Anekdoten der Beteiligten, schafft es die Dokumentation ein nostalgisches Feeling beim Zuschauer zu wecken, selbst wenn dieser noch zu jung war, um die Zeit überhaupt mitzuerleben.
Die Anekdoten werden meistens von den Regisseuren der Filme in Interviews erzählt, interessanterweise sprechen diese meistens direkt in die Kamera und damit ihr Publikum direkt an. Dies schafft eine Gefühl der Nähe, und nicht der "filmwissenschaftlichen" Distanz. Jede der beteiligten Personen ist eigentlich sympathisch, nur Roger Ebert wirkt etwas deplaziert. Jodorowsky, dessen "El Topo" den Grundstein legte, wirkt sehr sympathisch, spricht mit starkem Akzent und verbreitet allgemein gute Laune und ein Gefühl des Stolzes. George A. Romero benutzt recht oft das F-Wort, aber legt schön die Hintergründe der Entstehung von "Night of the Living Dead" dar. Und die Brille ist der Knaller! Perry Henzell hat nur wenig Screentime, wirkt aber etwas abgehoben und spricht davon, dass das Publikum ihm das Leben gerettet hat..."The harder they come" ist ein jamaikanischer Film ;)
John Waters hat gefühlsmässig fast am meisten zu erzählen, wirkt sehr intelligent und bringt ein paar tolle Statements. Richard O'Brien, von der "Rocky Horror Picture Show" nimmt auch kein Blatt darüber vor den Mund, dass Rocky Horror in den USA zuerst ein Flop war - interessanterweise ist das der Film, den man am ehesten als Mainstream bezeichnen könnte. David Lynch wirkt sehr bodenständig, und definitiv nicht so abgehoben wie man von manchen seiner Filme denken könnte. Insgesamt wirken alle Beteiligten sehr freundlich und haben sichtlich Spaß an der Sache und der damaligen Zeit.
Natürlich ist die Doku nicht perfekt. Gerade die interessanteste These, die zu Beginn aufgestellt wird, handelt der Film in einem Satz am Ende ab, ohne jedoch näher darauf einzugehen. Zu Beginn wird gesagt, dass heutige Filme ohne die Midnight Movies nicht so wären, wie sie sind. Danach folgt der filmhistorische Überblick und Besprechung der einzelnen Filme. Jedoch wird dann eigentlich keine Brücke mehr zur Anfangsthese geschlagen, sondern die Doku endet recht abprupt und weißt nur darauf hin, dass "Jaws" eine Version von "Night of the living Dead" wäre. Und da die Doku eh nur eine Laufzeit von 86 Minuten hat, hätte man hier ruhig noch 10 Minuten ranhängen können, um diese These zu untermauern.
"Midnight Movies" habe ich zuerst auf den Hofer Filmtagen 2005 gesehen. Inzwischen liegt der Film als wirklich super DVD-Box von MFA vor. In einer sehr innovativen Verpackung (man zieht die DVD wie aus einem Schuber nacht unten hinaus, gleichzeitig fährt das Covermotiv nach oben weg) befinden sich satte 3 DVDs! Auf der ersten Scheibe ist die Dokumentation, die zweite ist voll mit Zusatzmaterial wie weiteren Interviews von weiteren 86 Minuten Laufzeit, und auf der dritten Scheibe finden sich die kompletten, in der Doku erwähnten Filme "Reefer Madness" (ein Anti-Kifferfilm aus den 30er Jahren!) und eben jener "Night of the living Dead". Ein Wehrmutstropfen ist hier, dass die Untertitel beim Hauptfilm nicht ausblendbar sind. Trotzdem, eine wirklich schöne DVD-Edition dieser Filmdokumentation, was ja tendenziell eher ein Nischenprodukt ist. Großes Lob an MFA und herzlichen Dank für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplares.
Fazit: "Midnight Movies" ist eine sehr unterhaltsame Dokumentation über eine vergangene Zeit. Natürlich lässt sie manchmal die richtige Tiefe vermissen, da wie bereits erwähnt die Titelthese nicht wirklich bearbeitet wird, trotzdem gefällt der Film mit der Zeichnung einer Ära, die man in dieser Form wohl nie wieder erleben wird. Die Beteiligten haben sichtlich Spaß an der Sache und schaffen es dadurch, auch dem unerfahrenen Zuschauer eine gewisse Begeisterung für die Filme und ihre Zeit zu vermitteln.