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The Girlfriend Experience

The Girlfriend Experience

Ein Film von Steven Soderbergh

Sie sind weit mehr als Prostituierte: Sogenannte Escort-Ladies exerzieren mit ihren Kunden den Akt des Kennenlernens, über den gehobenen Restaurantbesuch, bis hin zum prickelnden Hors d’oeuvre vor dem nächtlichen Liebesakt in eigens bestellten Suiten durch. Die Mätressen auf Zeit verstehen dabei die hohe Kunst, ihrem Gegenüber die Illusion der Eroberung zu verschaffen. Das gekonnte Spiel zwischen authentischer Nähe und sicherer Distanz ist dabei stets eine Gratwanderung zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig an Hingabe. Dabei gestaltet sich die Situation eines solchen Rendezvous mit anschließender Nacht bereits von Grund auf paradox: Möglichst professionell muss der Eindruck vermittelt werden, gänzlich authentisch zu sein. Das Balzen klassischer Bordsteinschwalben, inklusive möglichst unmittelbar aufreizender Kostümierung, weicht einem subtilen Spiel mit Worten, Gesten und Kleidung – so soll sie vermittelt werden: Die Girlfriend Experience. Steven Soderbergh hat sich für seinen filmischen Großstadtessay über das blühende Gewerbe einen großen Namen der Pornobranche an Land gezogen: Die einundzwanzigjährige Sasha Grey stand für den experimentierfreudigen Regisseur als Escort Chelsea vor der Kamera. Herausgekommen ist ein interessantes Sittengemälde, das die Frage nach der Authentizität von Begegnung und Partnerschaft nicht nur aufwirft, sondern sie gleichermaßen in leisen Untertönen relativiert, dabei aber durch seinen teils wenig stringenden
Aufbau am großen Wurf vorbeischrammt.

Chelsea arbeitet als renommierte First-Class-Escort-Dame in New York. Ihre Klienten laden dabei nicht nur ihre Ängste und Sorgen rund um die Finanzkrise bei ihr ab, sondern stehen ihr auch im Bezug auf die Vermarktung ihrer Person mit Rat zur Seite. It’s all about money. Auch ihr fester Freund Chris, der als smarter Personal Trainer in einem Fitnessstudio arbeitet, bekommt die Rezession zu spüren: Klienten unterschreiben nur noch kurzfristige Verträge und lassen sich auch nicht davon überzeugen, dass sie mit einem längerfristigen Vertrag nachhaltig sparen könnten. Als ihm einer seiner Kunden anbietet, für ein Wochenende nach Las Vegas zu reisen, lehnt er dankend ab, da er annimmt, Christine alias Chelsea sähe es nicht gerne, wenn er alleine verreisen würde. Währenddessen lernt das hübsche Callgirl einen Neukunden kennen und aus der professionellen Nähe wird bald Zuneigung…

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Seit Pretty Woman wissen wir, dass sich auch aus den unbequemsten Konstellationen heraus eine glückliche Liebe entwickeln kann. So leicht macht es Soderbergh aber seiner Chelsea nicht. Vielmehr nähert sich der Regisseur seinem Sujet mit einer gehörigen Portion Distanz, die aber gerade in ihrer artifiziellen Teilnahmslosigkeit ungeheuer packend wirkt. Teilweise bedient sich der Film der Stilmittel der Mockumentary, indem er die Beteiligten in fiktiven Interviews ihre Situation resümieren lässt. Dadurch gelingt das Kunstwerk, der unausweichliche Nähe von Chelseas allabendlichem Kundenprogramm noch einmal Raum zum Atmen zu verschaffen und raffiniert das Thema der Authentizität im Medium des Films selbst zu reflektieren. Im Zuge dessen dekonstruiert Soderbergh die Frage nach der wahren Persönlichkeit geschickt. Wer also vom einstigen Gewinner der goldenen Palme (1989 für Sex, Lügen und Videotape) einen eindeutig kritischen Impetus gegenüber seinem Sujet erwartet, muss enttäuscht werden. Stattdessen schafft der Regisseur seiner Chelsea auch dort authentischen Spielraum, wo man als kritischer Zuschauer diese Echtheit erst einmal unter Generalverdacht stellen würde.

Intimität spielt dann auch stilistisch eine große Rolle. Ähnlich wie Kubrick in Eyes Wide Shut spielt Soderbergh mit der Ausleuchtung des jeweiligen Settings: Kaltes Blau steht warmen Gelbtönen gegenüber - Intimität bei Kundenkontakten wird nicht als unerreichbar, sondern als praktisch herstellbar stilisiert. Ebenso feinsinnig ist die Kameraarbeit, die im voyeuristischen Stil beobachtet und damit Teilnahme ohne Unmittelbarkeit simuliert. Die Figuren treten dabei oft nur als Silhouetten in einem Raum des widersprüchlich Privaten auf. Dieser Raum gestaltet sich dann entsprechend beengt: Taxikabinen, dekadente Bars und Apartments. Letztere geizen dann auch nicht mit gehobenem Stil und entfalten sich als verlängerter Arm der Ökonomie, die immer wieder bis in die private Lebensführung der Charaktere hineinreicht und sie dann bei Chelsea emotionalen Schutz suchen lässt. Das wird höchstens dann moralisch problematisch, wenn Soderbergh dieser sauberen Welt den ungepflegten und sittenlosen Homepagebetreiber entgegenstellt, der Chelsea eine gute PR gegen ein Stelldichein anbietet, während sich ihr wohlhabendes Klientel zwar als doppelmoralisch, aber stets charmant und höflich – ja, liebesbedürftig - herausstellt.

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Sasha Grey spielt ihre Rolle äußerst charmant. Den Spagat von der erfolgreichen Pornodarstellerin zur Charaktermimin nimmt man ihr jederzeit ab. Die Kamera weiß dabei auch mit ihren Reizen umzugehen und fängt ihre Mimik geschickt ein, die stets zwischen naiv-träumerischem Großstadtmädchen und lasziver Verführerin hin und her changiert. Dabei ist es nicht leicht, eine Rolle mit Leben zu füllen, die gerade äußerst sensibel um ein filmisch schwieriges Thema wie das der Authentizität kreist. Auch die restliche Schauspielerriege macht ihre Arbeit gut; The Girlfriend Experience ist aber sichtlich rund um das Gesicht von Sasha Grey aufgebaut, was sicherlich auch eine PR-Duftmarke sein dürfe, im Endeffekt aber das Prädikat ‚gelungen‘ verdient.

War bereits zuvor vom fragmentarischen Aufbau die Rede, so schwächelt der Film auch vor allem in diesem Punkt. Mit seinen gerade mal 77 Minuten nimmt sich Soderbergh über weite Strecken nicht die notwendige Zeit, um wirklich in seine Szenen einzutauchen. Dies funktioniert zwar noch insofern, als die Welt, die uns der Regisseur vorstellt, bereits per se nicht zugänglich sein will. An vielen Stellen wirken die Szenen dann aber in letzter Konsequenz recht teilnahmslos – zu einer gewollten emotionalen Distanz gesellt sich die Distanz des Mediums zu den erzählten Geschichten. An sich starke Passagen erreichen durch diese Ruhelosigkeit nicht die Eindringlichkeit die sie verdient hätten. Auch hier macht Kubricks vom Sujet her ähnlich gearteter Eyes Wide Shut die weitaus bessere Figur.

Fazit: Trotz dramaturgischer Schwächen ist Steven Soderbergh mit The Girlfriend Experience ein über weite Strecken faszinierender Film gelungen. Gerade die Frage nach der authentischen Identität im Großstadtdschungel drängt sich der Betrachtung der Prostituierten2.0 förmlich auf und wird in seiner essayistischen Form souverän gelöst. Mit der modernen Ästhetik, raffinierter Kameraarbeit und nicht zuletzt der überaus hübschen Sasha Grey, macht The Girlfriend Experience auch visuell alles richtig. Dennoch: Etwas mehr Zeit hätte Soderberghs Werk sicherlich gut getan.

Eine Rezension von Florian Schulz
(28. November 2009)
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Daten zum Film
The Girlfriend Experience USA 2009
(The Girlfriend Experience)
Regie Steven Soderbergh Drehbuch David Levien & Brian Koppelman
Produktion Marc Cuban, Gregory Jacobs, Todd Wagner
Darsteller Sasha Grey, Chris Santos, Glenn Kenny
Länge 77 Minuten FSK
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