Empfehlungsschreiben auf DVD Hüllen sind ja bekanntlich beste Werbung für einen Film. Und meist kein besonders zuverlässiger Indikator für dessen Qualität. Auf dem Cover von Steven Sheils Regiedebüt „Mum & Dad“ heißt es beispielsweise: „Einer der prägendsten britischen Horrorfilme seiner Generation“, oder auch: „Einer der erschreckendsten Filme der letzten Jahre“. Nun, eins sollte vorerst klar gestellt werden: derart hoch gesteckte Ansprüche vermag das Werk, welches seine Deutschlandpremiere 2008 auf dem Fantasy Filmfest feierte, freilich nicht zu erfüllen. Ungeachtet dessen ist es jedoch für Fans des individuelleren Horrors allemal einen Blick wert.
Die polnische Einwanderin Lena (Olga Fedori) verdient sich ihre Brötchen als Reinigungskraft im Flughafen Heathrow. Dort macht sie bereits am ersten Arbeitstag Bekanntschaft mit der lauten, merkwürdig aufdringlichen Kollegin Birdie (Ainsley Howard) und derem stummen Bruder Elbie (Toby Alexander). Nachdem Lena durch Birdies Verschulden den letzten Bus nach Hause verpasst hat, bietet diese ihr an, sich von ihrem Vater heimfahren zu lassen, da die Familie nur unweit vom Flughafen wohne.
Im Haus der beiden Kollegen angekommen, verschwinden Birdie und Elbie beinahe sofort ins Nebenzimmer und lassen Lena allein in der Küche zurück. Doch prompt bekommt sie dort neue Gesellschaft in Form eines korpulenten Mannes, der sie niederschlägt und ihr eine Injektion verabreicht.
Als sie w
ieder aufwacht, findet sie sich in einem kahlen, düsteren Raum an ein Bett gefesselt vor, während aus dem Nebenzimmer die Schreie einer Frau mit Todesqualen ertönen. Lena will ebenfalls schreien, doch die Injektion hat ihre Stimmbänder gelähmt. Der volle Ernst ihrer Lage offenbart sich schließlich, als eine Frau das Zimmer betritt, welche mit trügerisch sanfter Stimme die Regeln des kranken Spiels verkündet, in dem Lena fortan gefangen ist:
„Ich bin Mum. Das ist Dad. Du wohnst jetzt bei uns.“
Willkommen in einer Familie der ganz besonderen Art! Während Mum (Dido Miles) ihre drei lieben Kinder gern mit verschiedensten spitzen Gegenständen traktiert und sie bei Ungehorsam schon mal über Nacht an die Heizung kettet, veranstaltet Dad (Perry Benson) in seinem Hobbykeller regelmäßig cholerische Blutbäder mit anonymen Unschuldigen, deren Überreste es später am Mittagstisch zu bestaunen gibt. Ihre sogenannten Adoptivkinder haben (bis auf Mums perfide Spielereien) aber im Grunde nichts zu befürchten – es sei denn, sie spielen das Theater nicht zur vollsten Zufriedenheit mit.
Was sich von der Ausgangslage her wie ein gewöhnlicher Torture Porn Streifen anhören mag, ist in Wirklichkeit eine tiefschwarze Satire auf die Institution der harmonischen, auf leeren Ritualen aufgebaute Durchschnittsfamilie. Denn es sind nicht die explizit blutigen Momente des Films, welche einen schaudern lassen, sondern vielmehr der absurde Kontrast zwischen täglichem Familienalltag und dem kranken Psychoterror, dem Lena ausgesetzt ist. Wenn die Familie ritualisiert am Frühstückstisch sitzt und über die letzten Ereignisse plaudert, während im Hintergrund ein Porno läuft und menschliche Überreste entsorgt werden, springt einem die Botschaft des Ganzen geradezu ins Gesicht. Hier wird das Abnormale an der Normalität zelebriert.
Die schauspielerischen Leistungen sind durchweg solide. Herausstechen tun allerdings die erschreckend glaubwürdigen Performances von Mum und Dad selbst. Als blutbeschmierter Folterknecht mit Hornbrille und altbackene, sadistische Hausherrin geben sie ein wahrhaft grausiges Pärchen ab.
Sein geringes Budget ist dem Film zwar anzusehen, kommt aber eher dem schmuddelig-dreckigen Look zugute. Das trostlose Gelände um den Flughafen Heathrow dient hierbei als passendes Setting. Was allerdings wirklich negativ ins Gewicht fällt, sind die mehr als schlichte Aufmachung des Ganzen, sowie eine gänzlich fehlende Spannungskurve. Da auf gestalterische Mittel wie Musik, gewagte Schnitte oder Kamerafahrten gänzlich verzichtet wurde, entwickelt man als Zuschauer eher das Gefühl, einer besonders kranken Reportage beizuwohnen, statt einem Kinofilm. Die Tatsache, dass sich die Geschichte durchgehend in einem einzigen Haus abspielt, unterstützt den Eindruck zusätzlich. Dies mag beabsichtigt sein, um eine drückende Atmosphäre zu erzeugen und das Gezeigte greifbarer zu machen, allerdings sinkt der Unterhaltungswert dadurch beträchtlich.
Das alleinige filmische Highlight, welches der Regisseur auffährt, ist die immer gleiche Sequenz eines Flugzeuges, welches sich geräuschvoll über den Schauplatz des Grauens in Richtung Flughafen bewegt. Was damit ausgedrückt werden soll, ist klar – allerdings geht einem die Einstellung nach der fünften Wiederholung langsam auf den Keks.
Somit inszeniert sich Steven Sheil während der ersten Stunde Laufzeit mehr schlecht als recht auf das große Finale am Weihnachtsabend zu – jenem Tag im Jahr, an dem bizarre Familientraditionen ihren Höhepunkt erreichen – und beendet sein Szenario auf unerwartet konventionelle Weise. Ob es der großen Brisanz der Thematik geschuldet war (immerhin wurden in der Vergangenheit vereinzelt ähnliche Fälle aufgeklärt), oder ihm schlicht und einfach die Ideen ausgegangen sind – bei einer derart ungewohnten Herangehensweise hätte man mit einem drastischeren Schlusspunkt gerechnet.
Fazit: „Mum & Dad“ bietet neben einem vielversprechenden Ausgangsszenario, dreckigem Charme und guten Darstellern leider weder genug Spannung, noch handwerkliche Raffinessen und schafft es somit nicht, sich vom lauen Durchschnitt abzuheben. Dennoch bleibt einem die merkwürdig beklemmende Stimmung des Films im Gedächtnis haften und erinnert daran, dass der hier gezeigte Horror kein bloßes Hirngespinst ist, sondern in manchen Fällen als durchaus real bezeichnet werden kann.
Anmerkung: Die deutsche DVD-Version des Films wurde für die FSK 18 um ca. 4 Minuten gekürzt. Die komplette Fassung, in der es ein wenig härter zur Sache geht, ist sowohl in Großbritannien, als auch Österreich erhältlich.