„On the other side of the screen, it all looks so easy.“
Na, heute zufälligerweise schon den Computer verflucht oder gar mehrmals herzhaft auf den Monitor geschlagen, weil mal wieder überhaupt nichts funktioniert? Willkommen im 21. Jahrhundert, einer durch und durch modernen Zeit, in der es bereits Hotlines zur Lösung von Problemen gibt, die man ohne die zahlreichen Neuerungen der Technik gar nicht erst hätte.
Das nennt sich Fortschritt! Und zwangsläufig fragt man sich, ob früher nicht alles doch irgendwie ein wenig besser war.
Dem mittlerweile 29 Jahre alten Sci-Fi-Abenteuer
„TRON“ aus dem Hause
Disney per se Weitblick zu attestieren, wäre gelinde gesagt eine Übertreibung. Denn gerade im direkten Vergleich zu etwa Ridley Scotts zeitlosem Meisterwerk „Blade Runner“, der ebenfalls 1982 entstand, ist der Film weder beeindruckend visionär in seiner Erzählung noch in ihr sonderlich mitreißend. Und doch besitzt
Steven Lisbergers mit 17 Millionen U.S.-Dollar großzügig budgetierte Technik-Demo zwischen all ihren Bits und Bytes dieses gewisse Etwas in Form eines nicht zu leugnenden Charmes, der ihr mittlerweile sogar zu ungeahnten Kultfilm-Ehren verholfen hat. Zugegebenermaßen ein leicht naiver Charme, der sich noch am ehesten mit Weitblick im äußerst begrenzten Rahmen umschreiben lässt. Ein Sieg im Kleinen. Denn dass Computer im Grunde das technisierte Übel dieser Welt
darstellen, wusste man anscheinend schon in den frühesten Anfängen dieser Ära:
In einer nicht allzu fernen Zukunft kämpft der Programmierer Kevin Flynn (Jeff Bridges) im Geheimen gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, den Computer-Großkonzern
ENCOM. Dessen Präsident Ed Dillinger (David Warner) nämlich soll einst von Flynn entwickelte Computerspiele gestohlen und in der Folge als seine eigenen ausgegeben haben. Fortan sucht der Betrogene mit selbstgeschriebenen Computerprogrammen, die er in den vom
MCP (
Master Control Program) übernommenen Hauptcomputer der Firma einspeist, nach Beweisen, wird jedoch ein ums andere Mal vom
MCP geblockt. Als Flynns Freunde Alan Bradley (Bruce Boxleitner) und Lora (Cindy Morgan), die als Programmierer bei
ENCOM arbeiten, davon erfahren, schmieden sie einen tollkühnen Plan. Alan gedenkt, heimlich das von ihm entworfene Überwachungsprogramm
Tron zu aktivieren, welches in der Lage wäre, das
MCP lahmzulegen, woraufhin Flynn in aller Ruhe das System hacken könnte. Doch das
MCP leistet bei Ausführung des Plans unerwartete Gegenwehr und digitalisiert kurzerhand den unerwünschten Eindringling mittels eines Lasers. So findet sich Flynn kurz darauf in rematerialisierter Form mitten im Computer wieder – einer virtuellen Realität, in der Computerprogramme als humanoide Wesen existieren, die frappierend ihren Usern ähneln. Gefangen in dieser seltsamen Umgebung, ist die einzige Aussicht auf Rettung nunmehr das Auffinden des Überwachungsprogramms
Tron (Bruce Boxleitner). Doch das
MCP ist mitsamt seinen Schergen allgegenwärtig...
„TRON“ ist eines jener Filmphänomene, das erst Jahre nach seiner Veröffentlichung ausreichend Anerkennung erfahren sollte. Zunächst jedoch fand das neon-grelle
Disney-Abenteuer keinen richtigen Zugang zu Kritikern und Publikum. Eine durchaus verständliche Fügung des Schicksals, betrachtet man
„TRON“ schlicht als das, was er ist: nämlich ein Kind seiner Zeit. Und diese Zeit hatte eben noch nicht viel über für virtuelle Realitäten und Welten, entsprungen aus klobigen Maschinen, welche den Menschen den Denkprozess erleichtern sollen. Während ein nicht unerheblicher Teil der Zuschauerschaft große Schwierigkeiten hatte, dem (hanebüchenen) Plot zu folgen, kapitulierte ein weiterer gar vollends, womit er sich in den digitalen Bits-und-Bytes-Welten auf mindestens ebenso verlorenem Posten wiederfand wie der tragische Held Kevin Flynn. Aus heutiger Sicht hingegen ist
„TRON“ vor allem eines: eine für damalige Verhältnisse tricktechnische Meisterleistung, die genaugenommen ebenjenen Weg für den ausschweifenden Gebrauch von Computeranimation im Film bereitete, der heute noch von namhaften Regisseuren wie
Roland Emmerich,
James Cameron oder
Michael Bay so gerne beschritten wird. Lisbergers Rechner-Odyssee war damit im Grunde ihrer Zeit weit voraus, wenn man die kinogeschichtliche Entwicklung vom jetzigen Standpunkt aus rückblickend betrachtet. Damals jedoch wurde der immense technische Aufwand, der betrieben wurde, mehr verhöhnt, denn gewürdigt, was schließlich darin gipfelte, dass dem Film aufgrund seiner als „Mogelei“ beschimpften Computerunterstützung erst gar keine Oscar-Berücksichtigung in der Kategorie „Special Effects“ zuteil wurde. Und das nach sechs Jahren Schwerstarbeit.
Dabei war und ist es gerade die hier bis zum Anschlag ausgereizte
Backlit Animation, die dem Film im direkten Zusammenspiel mit den ersten vollständig am Computer entstandenen Szenen – Michael Crichtons „Westworld“ [1973] besaß zwar die ersten Computereffekte der Filmgeschichte, erweiterte mit ihnen aber „lediglich“ reale Sets – sein bis in die Gegenwart unnachahmliches Aussehen verleiht. Eine übrigens im wahrsten Sinne des Wortes einzigartige Errungenschaft. Denn bis heute hat es kein Filmemacher mehr gewagt, die
Backlit-Technik auch nur noch ein weiteres Mal anzuwenden.
„TRON“ kann sich demzufolge nach wie vor damit rühmen, einen individuell-visuellen Stil kreiert zu haben, der für sich alleine schon das Ansehen des Films rechtfertigt. Also
Style over substance im besten Sinne. Denn was die Geschichte über digitale Welten, Computerspionage und Diebstahl geistigen Eigentums nicht hergibt, holt der leicht antiquiert wirkende, nichtsdestotrotz innovative Look mit Wiedererkennungswert und nostalgischem 80er Jahre-Charme wieder doppelt raus. So verwundert es eigentlich wenig, dass Lisbergers High-Tech-Werk gerade innerhalb der allmächtigen Computerspieler-Gemeinde zum Kultphänomen erklärt wurde.
Da verschmerzt man durchaus wohlwollend den äußerst abrupten Einstieg in das Geschehen, der einem unangenehmen Sprung ins eiskalte Wasser gleichkommt. Denn wie die ausführliche Schilderung der technischen Ausgestaltung schon vermuten lässt, wurde nicht allzu viel Zeit für solche Lappalien wie Dramaturgie oder elegante Figurenzeichnung aufgewendet.
Jeff Bridges („
True Grit“ [2010]) etwa verhält sich beim
ENCOM-Einbruch wie Ostfriese Otto im Porzellanladen, und auch sonst gibt er sich jedwede Mühe, den Computer-Nerd nach allen Regeln der Kunst mit gelebtem Überagieren auszufüllen.
Bruce Boxleitner („The Bone Eater“ [2007]) und Bösewicht
Sark alias
David Warner („
Die Mächte des Wahnsinns“ [1995]) reihen sich ebenfalls nahtlos in diese illustre Riege ein, welche vom nervig-putzigen Bit, das fortwährend nur
Ja und
Nein von sich gibt, schließlich ihre unumstößliche Krönung erfährt. Obacht, wer bereits
Jar Jar Binks mochte, wird diesen Gesellen lieben (Gegensätzliche Reaktionen nicht ausgeschlossen,
Anm. der Red.). Kurzum:
„TRON“ ist wie der bekannte blaue Hintergrund nach einem Systemabsturz – es fällt überaus leicht, ihn zu hassen, aber dafür bringt er endlich mal ein wenig Farbe in den tristen (PC-)Alltag.
Fazit: Natürlich wirkt die Animation für heutige Verhältnisse altbacken, während die Akteure äußerst hölzern in dieser leicht holprig erzählten Computer-Mär umherstaksen. Doch Hand auf's Her(t)z: Ohne dieses naiv-unterhaltsame Genrewerk, das mit dem alltäglich wütenden Computerhorror hart ins Gericht geht, würde der Filmlandschaft, vor allem aber uns, etwas fehlen – die wichtige Einsicht nämlich, dass Computerprogramme irgendwie auch nur Menschen sind...