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von Robert Gordon




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Shame

Shame

Ein Film von Steve McQueen

„We're not bad people. We just come from a bad place.“



Der erfolgreiche und selbstbewusste Mittdreißiger Brandon Sullivan (Michael Fassbender, „Inglourious Basterds“) ist ein Junkie.

Nur dass seine Droge nicht etwa Heroin, sondern Sex heisst.
Nacht um Nacht holt der New Yorker sich neue Prostituierte oder Frauen, die wie er auf der Suche nach einem unverbindlichen One-Night-Stand sind, in seine Wohnung.
Beim Geschlechtsakt verwandelt sich sein Gesicht in eine schmerzverzerrte Fratze – Brandon empfindet in diesen Momenten keinerlei Freude, sondern erfährt eine lediglich kurzzeitige Befriedigung. Seinen persönlichen Kick, kurz bevor wieder traurige Leere und das quälende Schamgefühl einsetzen.
ShameShameShame
„Sexsucht hat mit dem Bedürfnis nach Sex so viel zu tun wie Alkoholismus mit Durst“, diese Erklärung hat der preisgekrönte, britische Regisseur Steve McQueen („Hunger“) von einem Psychotherapeuten erhalten, bei dem er Nachforschungen für sein aktuelles Werk „Shame“ angestellt hat.
Der Titel bezieht sich auf die zuvor angesprochene Scham nach dem Sex, die nur durch einen erneuten Akt wieder schwindet. Ein ständiges Auf und Ab, immer und immer wieder.

Brandon ist ein offensichtlich unglücklicher und nach außen kalter Mann.
Er kennt seine Krankheit, die all das, was unter der Oberfläche noch an Menschlichkeit in ihm steckt, wie ein Käfig von der Außenwelt abschottet. Er ist in sich gefangen.

Seine Sucht hat er, bis auf kleinere Vorfälle, wie etwa das Auftauchen von expliziten Pornoseiten auf seinem Arbeitscomputer, relativ unauffällig von seinem sozialen Umfeld getrennt.
Obwohl er sich mit seinem Chef und besten Freund David (James Badge Dale, „Departed - Unter Feinden“) in diversen Clubs sehen lässt und dort auch keine Schwierigkeiten hat, die Damenwelt mit seinem zweckdienlich eingesetzten Charme für ein gemeinsames Abenteuer zu begeistern, ahnt außer ihm wohl niemand, wie es tatsächlich in seinem Inneren ausschaut.
In welchem ernsthaften Konflikt er mit seinen Trieben steht.

Als irgendwann seine Sängerin-Schwester Sissy (Carey Mulligan, „Drive“) völlig unverhofft auf seiner Matte steht und sich für eine ungewisse Zeit bei ihm einquartiert, verliert Brandon die Kontrolle über sein exzessives, isoliertes Leben.
Während eines Auftritts in einer Bar entlockt Sissy ihrem Bruder mit einer leidenschaftlich vorgetragenen Auflage von „New York, New York“ eine Träne aus seinem Augenwinkel.
Irgendetwas, vielleicht eine Kindheitserinnerung, ist zu ihm durchgedrungen und hat einen winzigen Riss in die harte Schale geschlagen.

Sissy ist ganz anders als Brandon – anhänglich, verletzlich und voller erkennbarer Fehler.
Er kann nicht viel mit ihr anfangen, weiss ihr außer Geld nichts weiter anzubieten.
„We´re family. We´re meant to look after each other“, versucht sie ihm während einer lauten Diskussion zu vermitteln.

Es ist nicht so, dass Brandon nicht versuchen würde, gegen sein Problem anzukämpfen. So kramt er im Verlauf einmal seine Sammlung an Schmuddelheften und Sexspielzeugen zusammen, um diese endgültig in die Mülltonne zu stopfen. Er braucht einen Menschen, der sich um ihn kümmert. Das weiss er jedoch nicht, oder er will es nicht wahrhaben.

Sein Interesse an Liebe und einer ernsthaften Beziehung liegt bei null.
Eine Beziehung ist in seinen Augen etwas, das keinen Sinn macht - wozu sich gegenüber sitzen und sich anschweigen, wenn es am Ende doch eh nur auf das Eine hinausläuft?
ShameShameShame
Mit Frauen, die in dieser Hinsicht nicht mit ihm auf einer Wellenlänge liegen, kann er nicht schlafen. Es quält ihn.

McQueen, der nach seinem ergreifenden Debüt erneut mit Fassbender arbeitet, verfügt über einen beachtlichen Mut als Filmemacher.
Es gibt im heutigen Geschäft wohl nur noch sehr wenige Künstler, die – abseits von billig aufgebauschten Exploitation-Streifen – ihr Publikum ohne Kompromisse mit unangenehmen, aber auch wichtigen Themen konfrontieren.
Stanley Kubrick ist tot und Gaspar Noé verliert sich zum Teil in arg sperrigen, inszenatorischen Spielereien.
Da, wo die enorme Eleganz des einen und die inhaltliche Radikalität des anderen sich treffen, befindet sich in etwa die individuelle Nische, von der aus Steve McQueen seine kraftvollen und bewegenden Werke über Menschen in Körper und Geist konzipiert.

Was der Regisseur hier, wie auch schon im Vorgänger, tut, ist:
Er beobachtet sehr aufmerksam seine Protagonisten. Er bleibt dabei wertfrei, übt keine offene Kritik an irgendetwas aus, sondern lässt die Zuschauer am Ende selbst entscheiden, was sie aus dem Gesehenen für sich herausziehen wollen.

Brandon ist ein tragischer Charakter – sicherlich kein Sympathieträger, aber auch niemand, den man sofort als pures Scheusal abstempeln würde. Dafür haben wir einfach zu viel Anteil an seinem Leid.
Michael Fassbender verkörpert seine Figur hier nicht nur, er lebt sie regelrecht aus. Seine intensive Performance liegt auf Höhe seiner aufopferungsvollen Leistung in „Hunger“.
Beide Arbeiten markieren die bisherigen Höhepunkte des Mimen. Authentischer geht es nicht mehr.

Auch die junge Britin Carey Mulligan steckt enorme Kraft in ihre Rolle, die einen krassen Gegenpart zu Brandon darstellt.
Während des von ihr gesungenen Liedes, fängt die Kamera sehr direkt ihre langsam aus der Tiefe hervordringenden Emotionen auf und verweilt bei diesen.
Muss man sich für Gefühle schämen? Brandon wendet sein Gesicht ab.

Beide Darsteller lassen in „Shame“ die Hüllen fallen.
Ein arthousig angehauchter Erotikschinken ist das Werk nun trotz der viel gezeigten, nackten Haut keineswegs.
Der Sex findet zwar direkt vor unseren Augen statt, aber er erregt nicht – er wirkt unterkühlt, fast mechanisch.

Die Geschichte endet tragisch, allerdings nicht ohne den Zuschauern auch einen möglichen Hoffnungsschimmer zu lassen.
Vermag es der finale Regenschauer vielleicht, Brandon von seiner dreckigen Begierde reinzuwaschen?
Wirklich herausfinden können wir das nicht – dazu fehlt uns der Blick auf eine Entscheidung, die erst nach dem abschließenden Schnitt stattfindet.
ShameShameShame
„Shame“ ist ein extrem schwerer Brocken von einem Film. Man kann dessen Last beim Ansehen förmlich auf den Schultern spüren.
Ich werde ihn noch ein weiteres Mal schauen.

So sieht essentielles Kino aus.

Eine Rezension von Bastian G.
(12. Januar 2012)
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Daten zum Film
Shame Großbritannien 2011
(Shame)
Regie Steve McQueen Drehbuch Steve McQueen & Abi Morgan
Produktion Film4, See-Saw Films, UK Film Council, Momentum Pictures, Lipsync Productions, HanWay Films Kamera Sean Bobbitt
Darsteller Michael Fassbender, Carey Mulligan, James Badge Dale, Nicole Beharie, Alex Manette, Hannah Ware, Elizabeth Masucci, Mari-Ange Ramirez, Rachel Farrar, Loren Omer, Lucy Walters, Lauren Tyrrell, Marta Milans, Jake Richard Siciliano, Robert Montano, Charisse Bellante, Amy Hargreaves, Anna Rose Hopkins, Carl Low, Calamity Chang, DeeDee Luxe, Stanley Mathis, Wenne Alton Davis
Länge 100 min. FSK ab 16 Jahren
http://shame-derfilm.de/
Filmmusik Harry Escott
Deutscher Kinostart: 01.03.2012 / Von der FBW mit dem Prädikat "besonders wertvoll" ausgezeichnet
Kommentare zu dieser Kritik
Shikantaza sagte am 12.01.2012 um 20:08 Uhr

Schönes Review! :o)

Ich bin sehr gespannt auf diesen Film da ich Michael Fassbender grossartig finde und gleichzeitig war er aus meiner Sicht noch nie so gut wie in "Hunger" von Steve McQueen.

Bastian TEAM sagte am 12.01.2012 um 20:51 Uhr

Danke sehr! ;-)
Hier ist er ebenso gut wie in "Hunger", nur dass die Thematik der Filme natürlich unterschiedlich ist. "Shame" ist aber auch mal wieder alles andere als leichte Kost.

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