von Asokan Nirmalarajah
Teenage Mutant Ninja Turtles (1990) ist ein Film, der mit seinem prägnanten, fast melodischen Titel im Grunde schon alles vorwegnimmt, was man ihm vorhalten beziehungsweise anrechnen möchte. Wer also einen kuriosen Film über adoleszente, genetisch mutierte und in der Kampfkunst der Ninja ausgebildete Schildkröten sehen will, der ist mit Steve Barrons alberner, kurzweiliger Realfilmadaption des gleichnamigen amerikanischen Underground-Comics bestens bedient. Alle anderen, vor allem diejenigen, die den medialen Hype um die grünen, gepanzerten Straßenkämpfer Ende der 1980er verschlafen hatten, saßen schon beim Kinostart im Jahr 1990 schlicht und einfach im falschen Film. Zu diesen Nichteingeweihten gehörten damals nicht nur die Kritiker, die zwar relativ wohlwollend, aber doch etwas irritiert auf diesen seltsam düsteren, brutalen ‚Kinderfilm’ reagierten, sondern auch die Studiobosse, die den Film mit der unsinnigen Prämisse zuerst nicht finanzieren wollten und sich dann über den Überraschungserfolg der bescheidenen Low-Budget-Produktion wunderten. Mit Einnahmen von über 200 Millionen Dollar weltweit avancierte die Fantasy-Action-Komödie sogar zur bis dahin kommerziell erfolgreichsten Independentproduktion der Filmgeschichte. Ein Erfolg, der sich nicht zuletzt auch auf den eigenwilligen Charm
e der mit erwartungsgemäß viel Humor, aber auch überraschend viel Herz erzählten Coming-of-Age-Geschichte zurückführen lässt. Welcher ‚mutierende’, d.h. pubertierende Teenager würde sich denn nicht ein wenig in diesen sympathisch verspielten, fast-food-konsumierenden Turtles mit ihrem dynamischen Auftreten und ihren flapsigen Sprüchen wieder finden können?
Turtles, so der etwas kürzere deutsche Titel des Films, beginnt mit einer Montage, die den Zuschauer rasant und souverän, aber nicht ohne Witz in ein von organisierter Kriminalität geplagtes New York führt, wo mysteriöse Raubüberfälle zur Tagesordnung gehören. Die hübsche Fernsehreporterin April O’Neil (Judith Hoag) führt die Kriminalitätswelle auf den amerikanischen Ableger einer fernöstlichen Organisation mit dem Namen „Foot Clan“ zurück, die Jugendliche mit Spiel und Spaß locken und in Gangs organisieren. Als April eines Nachts selbst zum Opfer eines tätlichen Übergriffs wird, bekommt sie unverhofft Hilfe von vier auf Menschengröße mutierten Schildkröten: Leonardo, Donatello, Michelangelo und Raphael, die im Auftrag ihres Meisters Splinter, einer riesigen Ratte, für Recht und Ordnung auf den Straßen New Yorks sorgen, ohne dabei gesehen zu werden. Während April Freundschaft mit den Mutanten schließt, lässt Shredder, der maskierte Anführer der Foot Clan, Splinter entführen und die Turtles attackieren. In die Enge getrieben, flüchten die Brüder mit April und Casey Jones (Elias Koteas), einem befreundeten Straßenkämpfer, aufs Land, um sich dort für ihre Rückkehr und die Rettung Splinters zu stärken…
1984 von Kevin Eastman und Peter Laird als selbstreflexive Parodie auf das Comic-Superheldengenre ins Leben gerufen, wurden die Teenage Mutant Ninja Turtles bald selbst zu einer Zielscheibe des Spotts, als die Actionhelden multimedial ausgeschlachtet wurden. Die gleichnamige Zeichentrickfernsehserie, die 1987 auf Sendung ging, und die Spielzeugfigurenserie waren nur die Spitze einer großen Merchandising-Initiative, die die Turtles zusehends verniedlichten. Die brutalen Ninja der Comic-Vorlage wurden so zu vier putzigen, liebenswerten Kämpfern fürs Recht, die mit ihrem kulinarischen Faible für Pizza (aber bitte nur vom Sponsoren
Domino’s Pizza) und ihrer drolligen Surfersprache (wie etwa „dude“, „far-out“ und natürlich „cowabunga!“) vor allem bei Kindern und jungen Jugendlichen punkten konnten. Ihr erster und vielleicht bester Kinoauftritt – es würden noch zwei besonders unsinnige Realverfilmungen (
Teenage Mutant Ninja Turtles II: The Secret of the Ooze, 1991;
Teenage Mutant Ninja Turtles III, 1993) und ein etwas düsterer CGI-Animationsfilm (
TMNT, 2007) folgen – mischt sowohl Elemente aus den Comics als auch aus der Trickserie. So ist die von überraschend intensiven Momenten der Wut und Trauer getragene Handlung größtenteils den Comics entnommen, während der alberne Humor der Fernsehserie entstammt. Auch tragen die Turtles anders als im Comic, aber wie in der Serie verschiedenfarbige, statt nur rote Augenbinden, um sie besser voneinander zu trennen. Angesichts der einnehmenden Persönlichkeiten und anderer Erkennungsmerkmale, wie die Stimme und die bevorzugte Waffe eines jeden, wäre das aber nicht unbedingt nötig gewesen. Zudem verleihen die in den Ganzkörperkostümen steckenden Stuntmen und das Puppenspiel von Jim Henson, der für die Mimik der Turtles verantwortlich zeichnete, den Figuren genug Individualität und Charakter. Nicht minder sympathisch sind auch die menschlichen Darsteller, vor allem der charismatische Elias Koteas und Sam Rockwell in einer kleinen Rolle als schmieriger Straßendieb.
Die temporeiche Inszenierung der durchweg berechenbaren Handlung wird zumindest die Kinder nicht langweilen. Zuschauer älteren Semesters, vor allem jene, die den Film noch aus ihrer Kindheit kennen, werden dem Film vergleichsweise wenig abgewinnen können. Bemerkenswert ist zumindest, wie kraftvoll und zuweilen bewegend der Film sein zentrales Thema umsetzt: die Handlung dreht sich um abwesende Väter und verlorene Söhne. Während die sich als ‚Familie’ bezeichnende Gang des diabolischen ‚Rattenfängers’ Shredder wie die von Fagin aus Charles Dickens’
Oliver Twist operiert, sind die Turtles wie Shredders Opfer, die naiven Straßenkinder New Yorks, Waisen auf der Suche nach starken Vaterfiguren. Am Ende des Films stehen sich mit Splinter und Shredder somit auch eine böse Vaterfigur einer guten gegenüber und entscheiden somit die Zukunft einer ganzen Generation. Wem das zuviel Tiefgang ist, der kann sich an dem Klamauk der Turtles erfreuen, der allerdings auch zuweilen aufgehoben wird durch das ernste Ringen Raphaels, dem interessantesten Turtle, mit seiner jähzornigen Persönlichkeit. Diese Mischung aus Humor und Drama ist nicht immer gelungen, aber doch ansprechend genug.
Mit der von Winkler Film neu aufgelegten DVD kommt der für seine Kinoauswertung (FSK: 6) zensierte Film in seiner ungeschnittenen Fassung (FSK: 12) heraus. Im Unterschied zu den bisherigen Veröffentlichungen gibt es auch solide Extras: neben zwei geschnittenen Szenen, die nicht der Rede wert sind, und einem drolligen metareflexiven alternativen Ende, gibt es den aufschlussreichen Audiokommentar von Regisseur Steve Barron, der scheinbar exklusiv für den deutschen Markt aufgenommen wurde, da Barron den Zuhörer im gebrochenen Deutsch begrüßt, um dann in Englisch interessante Anekdoten vom Dreh zu erzählen. Was bei dieser DVD aber vor allem auffällt: Im Originalton ist
Teenage Mutant Ninja Turtles ein ungleich ernsterer Film als in der deutschen Synchronisation, die alle Kampfszenen mit ulkigen Soundeffekten versehen hat, um die Gewalt in ihrer Wirkung abzuschwächen. Die deutsche Fassung hat dafür aber die besseren Sprüche, "Bruder"!