Im Jahre 2010 feierte eine Gruppe asozialer, anarchistischer Prolo-Halbstarke – die im holländischen und deutschen Sprachraum hoch gefeierten New Kids von Maaskantje – ihr Kinodebüt.
"
New Kids Turbo" vermochte den Reiz der von Comedy Central auch außerhalb von Holland vertriebenen Serie – nämlich ein in seinem Grundkonzept sich wiederholendes Schema der Anreihung von komplett respektlosen, politisch unkorrekten und geschmacklosen Gags, welche Spießer, Autoritätspersonen und sozial Schwächere wie Kinder, (
schwangere) Frauen und Behinderte zu ihren Opfern erklärten – in dem Kinofilm noch zu steigern.
Der Kinofilm brach die endlose Sketchparade zum ersten Mal auf und lieferte eine konsequente und überdrehte Story, die den tragischen Verlauf der fünf Charaktere mit ihrer hedonistisch-parasitären Art von Arbeitslosen zu gesuchten Kriminellen ihres Heimatdorfes Maaskantje, bis sogar zum Staatsfeind Nr. 1 von Holland und Prominenten des Lokalfernsehsenders mit herrlich grotesker Ironie zeichnet. Indem das Drehbuch/Regie–Duo Steffen Haars & Flip van der Kuil jedem Charakter auch noch Platz gaben, sich selbst (in einem Rahmen von überspitzten Stereotyp-Mustern) zu profilieren, entstand zudem noch eine sich entfaltende Dramaturgie.
In der "New Kids"-Heimat Holland spielte der Film mit 8,7 Millionen Euros fast das 6-fache seines Produktionsbudgets wie
der ein und wurde auch in Deutschland zu einer der erfolgreichsten Komödien von 2010.
Ein Jahr später folgt nun die Fortsetzung, mit dem Upgrade von Turbo auf Nitro!
Auch diesmal sind alle Elemente des Erstlings vertreten: die 5 Dorfproleten sind sich natürlich treu geblieben und konnten konsequent jeglicher sozialen Anpassung und Besserung trotzen.
Richard (Huub Smit) ist immer noch der unumstrittene Anführer in greller Sporthose, der seine Gang von einem Spektakel zum nächsten anführt, sich mit anderen Alphatierchen anlegt und bei einer handgreiflichen Auseinandersetzung, deren im Film nicht spärlich sind, sich gerne das Hemd in guter
Fight Club Manier vom Leib reisst. Doch Richard darf sich bei seinen alltäglichen Gesetzesübertretungen – das cashfreie Einkaufen von Dosenbier im lokalen Supermarkt gehört dabei zur etablierten Routine – von der Polizei nicht verhaften lassen, da sich sonst keiner um seine erkrankte Mutter (Corry Könings – als kettenrauchende Ex-Bikerbraut mit Sauerstoffmaske überzeugt in ihrem Tribut an die Mater de familia aus "Die Flodders – Eine Familie zum Knutschen"). Richards Mutter ist nach dem Verscheiden seiner Bulldogge in "
Turbo" das Einzige, das ihm noch im Leben wichtig ist.
Als der Anführer der rivalisierenden Gang vom Nachbarsort Schijndel – der ständig Samen von sich abspritzende Super-Macho Dave (Guido Pollemans) – nicht nur in das New Kids Territorium eindringt, sondern auch Richards Mutter beleidigt und bedroht, zieht Richard mit seinen „Jungens“ in den Bandenkrieg. In einem Manta-Rennen soll der Konflikt ausgetragen werden.
Leider blamiert sich die „James Dean“-Karikatur Rikkert mehrfach am Steuer, denn er weiß wirklich nicht was er tut, und zieht damit nicht nur die Schande des Dorfes auf die New Kids Gang, sondern verliert auch das einzige Transportmittel seiner Kumpel.
Rikkert (Wesley van Gaalen) leidet, seit seine untreue schwangere Freundin Manuela überfahren worden ist, unter Selbstbewusstseinskomplexen, was sich immens auf seine Manneskraft (auch hinter dem Steuer) auswirkt. Die einzige Person, die diesen Rohrkrepierer wieder aufrichten kann ist die schwangere Freundin von Sperminator Dave, Deborah (Juliette van Ardenne), doch sie ist offensichtlich schon anders besetzt.
Der Dritte im Bunde und der Anti-Held (selbst für New Kids Verhältnisse) ist
Gerri (Tim Haars), der einfach alles falsch macht, sich permanent blamiert – am frappierendsten mit den missglückenden Wand-Saltos – und zu allem Überfluss auch noch für eine Ladung Silvesterknallkörper seine Kumpel an die Polizei verrät.
Barrie (Flip van der Kuil) ist auch diesmal der coole Marihuanadealer in der Truppe. Er sagt auch in diesem Film konsequent nicht mehr als 10 Worte, da er vollauf beschäftigt ist mit lässigem Posen, Ernst-Schauen und Bierkonsum. Bei jeder Aktion zieht er ohne Einwände mit, vielleicht auch um nebenbei sein Grünzeug zu verchecken.
Robbie (Steffen Haars) hat diesmal noch weniger zu melden und begnügt sich als mitlaufender, stummer Sidekick von Richard.
Die flache Handlung von “Nitro“ wird dabei angetrieben von den sich überstürzenden Konflikten zwischen den Kids und Dave’s Rivalengang, in deren Verlauf zahlreiche Beschimpfungen, Prügeleien und Straßenrennen geliefert werden.
Als aber in Friesland ein Meteorit einschlägt und die an der verstrahlten Steinoberfläche leckenden Kühe die Menschen über ihre Milch mit einem Zombievirus infizieren, dümpelt der Film endlich in Richtung Showdown. Die Zombiewelle Frieslands erreicht langsam auch die Grenzen von Holland und als Richards überalles geliebte Mutter in einem Reisebus von den Zombies angegriffen wird, verbrüdern sich die Kids mit der Dave-Gang, um gemeinsam schwer bewaffnet gegen die fleischfressende Horden zu ziehen.
“
New Kids Nitro“ zeigt sich von Anfang an sehr darum bemüht, den Vorgänger in jeder Hinsicht zu übertreffen. Leider wurde dabei nicht bedacht, dass wenn man nur in puncto Geschmacklosigkeit, Gag-Dichte und Dauerfeuer-Konflikteskalationen einen Gang höher schaltet, dadurch der Film nicht an Qualität gewinnt. Das Gegenteil ist hier der Fall.
Haars und Van der Kuil füllen ihren Film mit noch mehr Obszönitäten – am bezeichnendsten ist dabei die schwangere Freundin von Dave und gleichzeitig Rikkerts Lust der Begierde Deborah. Sie wird im Laufe des Films mehrfach missbraucht als Sperma-Entsorgung, Racheinstrument, Rennfahne schwingende Pisten-Girl, ahnungslose Homevideo-Porn-Darstellerin, Alkoholikerin und Drogensüchtige. Ihre Rolle ist komplett belanglos und nur ein oberflächlich provokatives Mittel, sexistische Klischees auszubeuten. Auch ihr männliches Pendant Dave, der an dem „Benutzobjekt“ Deborah seine Spermaüberproduktion in Zuständen von Gewaltrausch und Entspannung (also permanent) entlädt, verkommt zur eindimensionalen Lachnummer.
Darüber hinaus geraten auch die zuvor angesprochenen grobe Spötteleien auf Behinderte (insbesondere der Junge mit Down-Syndrom, der sich bei jedem Manta-Rennen zu Rikkert ins Auto setzt und ihm versichert wie „cool“ die ganze Sache sei, sowie der Mechaniker im Rollstuhl mit einer Querschnittslähmung, der seine Aufgabe als Handlanger nicht erfüllen kann) als äußerst inflationär. Diese Running-Gags werden dem Zuschauer komplett aussagefrei und geistlos präsentiert. Wer "
Turbo“ kennt, wird in der hier gebotenen Fortsetzung lediglich Zeuge, mit welcher Unermüdlichkeit und Innovationslosigkeit die bereits ausgeschlachteten Geschmacklosigkeiten neu aufgegossen werden.
Die Neuerungen von „Nitro“ funktionieren leider auch nicht. Da ist zum einen dieses Story-Element von friesischen Zombies. Es erfüllt gar keine gesellschaftskritische Aussage oder dramaturgischen Sinn und steht komplett losgelöst vom bisherigen Handlungsverlauf. Die Motivation, Zombies einzusetzen lässt sich vielleicht durch den zeitgenössischen Zombiefilm-Trend erklären. Doch der Aufprall von Proleten mit Zombies läuft ziemlich unoriginell und routiniert ab. Zombies tauchen auf, infizieren auf ihrem schlürfenden Gang Dutzende Ahnungslose, ergötzen sich am Gelage von menschlichem Eingeweide und werden niedergemetzelt. Die Maskenabteilung hat jedoch zugegeben wirklich gute Arbeit geleistet hat.
Doch von all diesen nervlichen Komponenten von “Nitro“ ist der mit Abstand störendste der unerträgliche Pathosgehalt, mit dem die Konflikte und Sensationen angereichert werden.
Da ist zum einen zu nennen der sich schlagartig umschwenkende Konflikt von Richard und Dave, die sich von der ersten Begegnung an dauerhaft gegenseitig beschimpfen und einander die Köpfe einschlagen, bis die Nachricht von der vermissten Mutter eintrifft und sie plötzlich zu Mitstreitern werden.
Die Groteske der Begräbnisszene mit dem singenden Schlagerstar, der mit seinem trivialen Songinhalt bei den Trauerenden Seelenschmerz erzeugen soll, dann die in schwarzer Lederkampfkleidung erschienenen trauernden Kids, die zu dem über sie einbrechenden Regenschauer Rotz und Tränen weinen und als dann Richard in der parodistischen Werbeeinlage für Fast-Food seine Trauer in ein Grinsen verwandelt und das Werbemotto skandiert – all das wirkt von einem erdrückend schweren sentimentalen Ballast überladen und alles andere als lustig.
Zuletzt seien noch die Filmreferenzen erwähnt. Richard und Kuil lassen es sich nicht nehmen bei thematischen Ähnlichkeiten von "Nitro" zu anderen Filmen, diese mit aufs Korn zu nehmen. Erwähnt war schon der Verweis auf die Flodder-Komödie "
Die Flodders – Eine Familie zum Knutschen" (1986) mit der Ähnlichkeit von Richards Mutter. Die Zombies erinnern natürlich ebenfalls sehr an "
Dawn of the Dead" – dem wurde bei der Inszenierung mit den Kameraperspektiven und den genretypischen Schockelementen von plötzlich auftauchenden blutsabbernden Zombies Rechnung getragen.
Der Auszug der Kids gegen die friesischen Zombies in gepanzerten Autos und die Wahl eines apokalyptisch einsamen Ambientes erweist sich als Hommage an "
Mad Max". Das Schlachtfest, das die Kids gegen die Zombies bedient sich auch gerne bei Peter Jackson’s Massaker-Groteske "
Braindead". Während das Budget von mehr als 1,3 Millionen Euros wirklich viel Potential bereit hielt, wurde daraus leider zu wenig gemacht. Die Inszenierungen sind mehr Kopien als Neuinterpretationen.
Im Resümee ist über "New Kids Nitro" zu sagen, dass dieser Film als Fortsetzung auf ganzer Linie enttäuscht. Die Running Gags des gelungenen "Turbo" wurden lediglich bis zur Erschöpfung recyclet. Die Charaktere werden um keine neuen Facetten bereichert. Der gelungene, selbstironische Handlungsfaden des Erstlings mit seinen überraschenden Plotpoints (wie die großartige Idee, die vierte Wand aufzubrechen, und dem Publikum kurz vor dem Showdown mitzuteilen, dass das Budget ausgegangen sei) wird hier nicht fortgeführt. Auch den gesellschaftskritischen Ansatz sucht man vergebens.
Stattdessen dient die Story lediglich als jeglicher Pointe entbehrende Anreihung von Abschweifungen und letztendlich als Vorwand für die geschmacklos-unlustigen Sketche, die man in "Turbo" und in der Serie besser gesehen hat.
Zu dem verschwindend geringen Teil der gelungenen Sachen von "Nitro" kann man die schauspielerische Leistung von Huub Smit (Richard) zählen. Sein Körpereinsatz setzt neue Grenzen. Besonders die Szene als er nach Verschießen sämtlicher Munition seine Waffen wegwirft, die Kleidung vom Leib reißt und sich nackt unter die Zombies wirft, um mit bloßen Händen ein blutiges Massaker anzurichten, hat unstreitbar eine erinnerungswürdige, markante Eigennote. Leider gehen die schon spärlich gesäten gelungenen Szenen wie diese in den zahlreichen bekloppten Darstellungen und völlig unspannenden Ereignisverläufen komplett unter. Auch Flip van der Kuil (Barry) scheint beim Verchecken von Drogen, wilden Prüglereien mit der Rivalengang und beim Dezimieren der unzähligen Zombies viel Spaß zu haben. Ohne viele Worte zu verlieren, überträgt er allein mit seiner Mimik und zeitloser Lässigkeit diese Begeisterung auf den Zuschauer, so dass es viel Spaß macht, ihm zuzuschauen.
Schade, dass Kuils und Smits Talent in diesem einfallslosen, holprigen Geschmacklosigkeits-Potpourri kläglich untergehen.