Bereits vor geraumer Zeit hat sich der Rezensent ein Bild von „A Serbian Film“, dem mit Sicherheit kontroversesten Werk der vergangenen Dekade, machen können.
Die Antwort auf die Frage, warum dieser dann nicht schon längst einen entsprechenden Kritiktext auf dieser Seite veröffentlicht hat, ist einfach:
Er ist sich keineswegs sicher gewesen, ob er überhaupt Stellung zu dieser zutiefst unangenehmen und streckenweise schlicht abartigen filmischen Gewalteruption nehmen möchte.
Da nun aber
mannbeisstfilm.de stets auch eine Plattform für extreme, schwere Kost jenseits des Mainstreams gewesen ist, soll schließlich doch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Stoff geschehen, welchem vermutlich nicht wenige Zuschauer bereits im Vorfeld aus dem Weg gehen werden.
Ein durchaus verständliches Verhalten, denn „A Serbian Film“ mutet seinem Publikum neben seiner nicht abstreitbaren Effektivität Momente zu, die dieses ganz bestimmt nicht einfach herunterschlucken kann, will und sollte.
Ein Kollege, mit welchem der Schreiber das Werk damals zusammen begutachtet hat, hat während einer wirklich widerwärtigen Sequenz zu seiner Fernbedienung gegriffen:
„Mann, das geht echt nicht klar! Ich mach das jetzt aus!“, hat er noch gesagt.
Der Film lief trotzdem weiter - irgendetwas hat ihn doch davon abgehalten, die Vorstellung vorzeitig abzubrechen.
„A Serbian Film“,
Ein serbischer Film – allein der Titel suggeriert bereits, dass die hier erzählte Geschichte auch unmittelbar mit der Geschichte des Herstellungslandes verknüpft ist.
„Wir haben unser ganzes Leben in Serbien verbracht und die letzten zwanzig Jahre miterlebt, welche sehr turbulent gewesen sind.“, gibt Drehbuchautor Aleksandar Radivojevic erklärend in einem Interview zu Protokoll.
Die Zeiten dort seien depremierend und beängstigend gewesen, die Unterdrückung durch die Regierung und Behörden stets präsent.
Der Film, welchen Radivojevic nun mit seinem Regisseur Srdjan Spasojevic vorlegt, ist ein wütender, nachhallender Aufschrei – ein ungebremster Sturm, der erbarmungslos neben filmischen auch moralische Grenzen einreisst und genau dort über sein Ziel hinausschießt.
„Grenzen sind nur dafür da, um gebrochen zu werden!“, werden nun vielleicht manche Leser ohne vorherige Kenntnis des Werkes hastig anmerken.
Nun gibt es aber zweifellos auch Grenzen, die ihre dringende Daseinsberechtigung in der heutigen Gesellschaft haben und zum Beispiel dem Schutz der Menschenwürde dienen.
Hier trampelt „A Serbian Film“ grausam durch ein Beet, welches wohl selbst Fans von Extremst-Splatter lieber unberührt gesehen hätten.
Die Erklärung für die überaus radikale Inszenierung begründet Aleksandar Radivojevic damit, dass die Verantwortlichen eine Art Katharsis durch eine bewusst subversive, künstlerische Darstellung erreichen wollten.
Vor allem das einheimische Publikum sollte nach den realen, harten Schreckensbildern des Krieges im Zuge einer starken Geschichte wieder resensibilisiert werden.
Allerdings darf man das ambitionierte Vorhaben des Autoren vielleicht wohl eher als frommen Wunsch abtun:
Wer selbst Menschen kennt, die das Leid in dem betreffenden Land am eigenen Leib erfahren haben, vermutet, dass diese ihr Trauma kaum durch das Betrachten eines solchen Films aufarbeiten können. Selbst wenn sich dieser als so überaus provokant und effektiv erweist...
Ein Spiel mit Metaphern steht bei der Geschichte von „A Serbian Film“ im Mittelpunkt.
„Wir verwandeln unsere Metaphern in Fleisch, so wie David Cronenberg“, verrät Radivojevic weiterhin und nennt mit dem kanadischen Regisseur eine überraschende Inspirationsquelle für das Werk.
Um nun über den direkten Inhalt des Films zu berichten, lässt sich eine vulgäre Ausdrucksweise nicht recht umschiffen:
Auf den einfachsten Punkt gebracht, geht es hier schlicht darum, wer wen
fickt – und wer am Ende selbst
gefickt wird. Der Penis des Protagonisten stellt ein blankes Kapital dar und entpuppt sich zugleich (wie eine späte Szene bildlich vorführt) als überaus mächtige Waffe.
Miloš (Srdjan Todorović) ist Familienvater und ehemaliger Pornostar – eine inzwischen in Geldnot geratene Ikone der Erwachsenenunterhaltung, deren besondere Fähigkeit in der schier endlosen Aufrechterhaltung der Erektion bestanden hat.
Durch einen glücklichen Zufall wird Miloš von einer Kollegin an den mysteriösen Avantgarde-Filmer Vukmir (Sergej Trifunović) vermittelt, welcher diesem ein attraktives Angebot für eine Hauptrolle unterbreitet, durch welche die finanziellen Sorgen mit einem Schlag vom Tisch wären.
Natürlich hat die Sache einen Haken:
Der Inhalt des Streifens bleibt für den Darsteller ungewiss – dieser ahnt anfangs noch gar nicht, auf was für ein wahrlich schmutziges Geschäft er sich da letztlich eingelassen hat...
Bereits die Figurenkonstellation, die die Macher den Zuschauern präsentiert, greift die zuvor genannte Thematik um die Manipulation und Unterdrückung der Bürger durch eine scheinbar omnipräsente, unausweichliche Macht erneut auf.
Da ist einerseits der abgewrackte, aber dennoch sympathische Miloš, dessen Motiv, bei dem zwielichtigen Auftrag seine Teilnahme zu versichern, für das Publikum nachvollziehbar ist:
Miloš hat kein Geld, aber eine Familie zu versorgen – wer würde da nicht zunächst naiv die Augenbinde anlegen?!
Auf der anderen Seite steht der schillernde Vukmir – eine Person, die schon bei ihrem ersten Auftreten eine unangenehm diabolisches Aura ausstrahlt.
Dass diese mächtige, einflussreiche Gestalt eine unmoralische Agenda verfolgt, steht eigentlich von Beginn an ausser Frage.
Vukmir benutzt Miloš für einen finsteren Zweck, welcher an dieser Stelle selbstverständlich nicht genannt werden soll.
Er personifiziert in „A Serbian Film“ die Ursache für jenes Ohnmachtsgefühl, welches die Filmemacher in der Realität durch die serbische Staatsgewalt erfahren mussten.
Was einem Regisseur Spasojevic und Autor Radivojevic dann im weiteren Verlauf in Sachen Gewalt – sowohl physischer als auch psychischer Natur – zumuten, ist, wie bereits zuvor angedeutet, enorm.
Ähnlich wie Ruggero Deodatos schockierender „
Cannibal Holocaust“ (1980), welcher berechtigterweise aufgrund seiner kaum erträglichen Tiersnuff-Szenen in Verruf geraten ist, beschreitet auch „A Serbian Film“ ein Territorium, das ihm bereits in verschiedenen Ländern Probleme mit der Zensur, Vermarktung oder gar Justiz eingebracht hat.
Auch wenn sich die in diesem Film angeprangerten Szenen als definitiv
gestellt herauskristallisiert haben, ändert dies nichts an der Tatsache, dass nicht wenige Zuschauer (der Rezensent eingeschlossen) persönliche Probleme mit ihrer (teils unnötigen) radikalen Darstellung haben und haben werden.
Zugegeben ergibt der Klimax im Kontext eines permanent negativ gezeichneten Weltbildes auf traurige Weise Sinn und lässt „A Serbian Film“ mit einer zutiefst bitteren Abschlusspointe ausklingen.
Im Gegensatz zum ebenfalls heiß diskutierten Genre-Meisterstück „
Martyrs“ (2008) gibt es hier keinen – wenn auch bloß esoterischen - Lichtpunkt am pechschwarzen Himmel.
Die Verantwortlichen lassen von Anfang an keinen Zweifel an der gnadenlosen Konsequenz des gesellschaftskritischen Inhalts aufkommen – ihr Werk ist ein destruktives.
Obwohl Srdjan Spasojevic aussagt, dass die Intention des Films nicht vor allem in der Schockwirkung begründet liegt und es keinesfalls sein Vorhaben gewesen sei, irgendwelche Provokations-Rekorde zu brechen, möchte man ihm dennoch unterstellen, dass er sich der verstörenden Wirkung des Materials auf sein Publikum garantiert schon während der Dreharbeiten bewusst gewesen ist und für die Umsetzung eines berührenden Dramas auch einen anderen, subtileren Weg hätte beschreiten können.
„A Serbian Film“ besitzt ohne Zweifel einen gewissen inhaltlichen wie inszenatorischen Anspruch.
Der im Grunde intelligente Ansatz endet an diversen, empfindlichen Stellen allerdings ebenso in einem exploitativen Spektakel, das man nicht bedenkenlos Filmfreunden empfehlen kann.
Mit einem Platz irgendwo zwischen
Gut und
Böse fällt es dem Rezensenten schwer, eine endgültige Wertung vorzunehmen. Die Mitte bietet sich deshalb als Kompromiss an.
Wer sich übrigens bereits von den Filmen Gaspar Noés abgeschreckt zeigt, sollte sich diese frontale Grenzerfahrung wahrlich sparen!