von Asokan Nirmalarajah
Blutrache (2004) ist einer dieser seltenen Fälle, bei dem man genau das bekommt, was auf dem Produkt steht. Im Gegensatz zum etwas mysteriösen englischen Originaltitel
Dead Man’s Shoes summiert der deutsche Verleihtitel perfekt den Reiz, die Handlung und die narrative Begrenztheit von Shane Meadows düsterer Milieustudie aus den kargen, unfreundlichen Midlands Großbritanniens. In der britischen Presse mitunter als einer der besten Filme der letzten Jahre gefeiert und sogar mit diversen Auszeichnungen und Nominierungen bei nationalen Preisverleihungen und Publikumspreisen geadelt, erreicht uns das fälschlicherweise als Thriller verkaufte Drama über den kompromisslosen Rachefeldzug eines britischen Ex-Soldaten in seiner alten Nachbarschaft mit einiger Verspätung als DVD-Premiere. Das ist allerdings durchaus zu verschmerzen, da diese Independent-Produktion in ihrem Anspruch, kein gewöhnliches Rachedrama zu sein und wiederholt die Frage nach Schuld und Sühne und der moralischen Pervertierung des Rächers zu stellen, kläglich scheitert und somit nur ein weiteres, unscheinbares und halbgares britisches Psychodrama über hässliche Kleinganoven zurückbleibt, wie man sie schon dutzendweise in den Regalen finden kann. Einzig die provinzielle Lokalität und die lange Zeit nicht ganz ersichtliche Mo
tivation des Protagonisten lässt
Blutrache etwas herausstechen, zusammen mit Shane Meadows’ bewährtem Gespür für die mal komische, mal tragische Interaktion sozialer Randfiguren und die erschreckend authentische Milieuzeichnung seiner heimischen Gefilden.
Im Zentrum der Geschichte stehen zwei Brüder, der in sein Heimatdorf zurückkehrende Elitesoldat Richard (Paddy Considine, der auch mit Meadows zusammen das Drehbuch schrieb) und sein geistig behinderter jüngerer Bruder Anthony (Toby Kebbell). Zu Anfang des Films streifen Sie durch die grüne Einöde der Midlands und durch das heruntergekommene Matlock und lassen sich in einem verlassenen Bauernhof im Umkreis des Dorfes nieder. In grobkörnigen schwarzweißen Rückblenden, die sich auch durch den restlichen Film hindurch ziehen, wird erzählt, wie der naive Anthony eines Tages von einer lokalen Gang im Drogenrausch ausgebeutet und gepeinigt wurde. Was genau die chaotische, unfreiwillig komische Bande um den aggressiven Sonny (Gary Stretch) mit dem sichtlich gestörten und verängstigten Anthony angestellt haben, erschließt sich erst nach und nach. Die Racheintention von Richard allerdings ist von vornherein absolut klar, auch seinen Widersachern, denen er schon früh ein baldiges Ende ankündigt. Nach einigen psychologischen Spielereien mit seinen Opfern, die zusehends nervöser werden und sich mit Schusswaffen ausstatten oder aus Matlock zu fliehen versuchen, setzt Richard zum finalen Schlag an…
Interessant ist die schnörkellose und größtenteils berechenbare
Blutrache weniger aufgrund ihrer positiven Aspekte (authentisch wirkende Milieustudie, schauspielerisch durchweg solide, mit besonders intensiven Leistungen von Considine und Kebbell) als wegen ihrer Schwächen. Von klassischen Rachedramen ist man es gewohnt, dass am Anfang der Geschichte häufig das unverzeihliche Vergehen gegen den Protagonisten oder die Protagonistin selbst oder einer ihm oder ihr wichtigen Person steht, und das kartharsische „Vergnügen“ des Zuschauers in der Teilhabe an der Vergeltung liegt, deren Radikalität dann moralisch im Verhältnis zur ersten Tat gewertet werden kann.
Blutrache schneidet zwischen dem Rachefeldzug und dem früheren Verbrechen der jetzigen Opfer hin und zurück, um die Frage nach der Legitimation der Rache zu stellen, an deren Ende Richard ein psychisches Wrack ist, der nur noch um seinen eigenen Tod betteln kann. Das Problem besteht allerdings darin, dass der Zuschauer zu lange im Dunkeln gehalten wird, was eigentlich Anthony angetan wurde, um das extreme Vorgehen Richards zu gerechtfertigen. Dabei hilft es auch nicht, dass sämtliche Opfer Richards unsympathische Verlierer sind, die eher drollig und hilflos daherkommen, und Richard selbst als Figur ein großes Fragezeichen bleibt. So zieht sich die erste Stunde des Films damit hin, dass wir bruchstückhaft von der Vergangenheit erfahren und darauf warten, dass Richard endlich kurzen Prozess mit seinen Opfern macht, die von vornherein kein sonderlich interessantes Leben führen (arbeitslos und ständig unter den Drogen, die sie selbst vertreiben). Die letzte halbe Stunde wartet dann mit diversen narrativen Wendungen auf, die die erste Stunde kritisch hinterfragen, aber nicht viel mehr zur Debatte zu bringen vermag als weitere Gräueltaten gegen spärlich gezeichnete Figuren. Am Ende sind entweder alle Beteiligten tot oder nachhaltig gestört und der Zuschauer desinteressiert und gelangweilt.
So ist
Blutrache ein löblicher Versuch mit der Racheformel zu spielen, erzählt aber nichts sonderlich Neues oder Aufregendes. Immerhin bringt Ascot Elite mit ihrer DVD eine sehr solide Edition heraus, mit reichlich Bonusmaterial. Der amüsante Audiokommentar von Meadows und Considine ist unterhaltsamer als der Film über den sie reden, während die herausgeschnittenen und ungekürzten Szenen nicht viel mehr zum dröge dahinplätschernden Film hätten beitragen können. Auch das alternative Ende ist lediglich etwas intensiver, mag aber auch nicht überzeugen als das im Film zu findende Ende. Einige Trailer zu weiteren Filmen über die Unterwelt Englands runden das Paket ab. Eine absolute Kaufempfehlung für Fans des Films.