von Asokan Nirmalarajah
Die große Symphonie hat schon begonnen bevor irgendein Musikinstrument zu hören ist. Der Wind pfeift durch die heruntergekommene Bahnstation irgendwo in der westlichen Prärie Amerikas. Die Türen quietschen unentwegt. Die Bretter am Boden knarren unter den schweren Schritten der drei mundfaulen Männer, die sich geruhsam in Position bringen. Eine Fliege hört nicht auf zu Surren, selbst im Lauf eines Revolvers. Wasser tropft auf einen kahlen Kopf, dann in einen Hut. Schließlich reißt die donnernde Einfahrt einer Eisenbahn diese feine Geräuschkulisse ein und hinterläßt einen Mann, der in Gedanken verloren auf seiner Mundharmonika spielt, bevor er die fast lautlose Spannung zwischen sich und den wartenden Männern durch einige gezielte Schüsse auflöst. Dies ist der Beginn einer nunmehr legendären, leicht überschätzten Western-Symphonie, die als vermeintliche Krönung des Italo-Westerns in die Filmgeschichte einging.
Spiel mir das Lied vom Tod (1968) ist eine große Oper, mit langem Atem und mit arg stilisierten, hochmelodramatischen Szenen erzählt, und untermalt, wenn nicht sogar bestimmt durch die alles durchdringende Musik Ennio Morricones, der es gar fertig bringt, jeder Hauptfigur des Films eine smarte Erkennungsmelodie zu geben, die den Charakter unterstreicht.
Aber
C’era una volta il West – so der italienische Originaltitel dieser italo-amerikanischen Co-Produktion – ist auch ein Märchen. Denn nicht umsonst deutet auch der amerikanische Titel des episch langen Films,
Once Upon a Time in the West, darauf hin, daß es sich hier um einen romantisierten Blick in die Vergangenheit handelt, in der noch mythisch überhöhte Archetypen durch ein unzivilisiertes, wildes Amerika ritten, das mit dem modernen, industriellen Einbruch durch die Eisenbahn verstarb. An diesem Wendepunkt zwischen der alten und neuen Welt des (einst wilden) Westens verortet, versteht sich der Film als wehmütiger Abgesang auf eine verlorene Welt, aber auch auf ein scheinbar totes Genre. Doch die Exzesse des Films – in seiner Dramatik, die Raum und Zeit ins schier Unendliche zu dehnen scheint, in seiner Atmosphäre, die zum Schneiden dick ist, in seiner Geräuschkulisse, die fast nie zu ruhen scheint – machen
Spiel mir das Lied vom Tod nicht unbedingt zu einem guten, aber passablen Film mit ganz großen Momenten.
Erzählt wird eine unnötig umständliche Geschichte über den Bau einer Eisenbahnlinie durch den Westen. Ein korrupter Geschäftsmann bezahlt den Auftragskiller Frank (Henry Fonda, dessen stahlblaue Augen nie kühler und boshafter blinzelten), den Besitzer einer Farm, die im Weg steht, und dessen Familie zu töten. Als dessen neue Ehefrau Jill (Claudia Cardinale als einzige zentrale Frauenfigur wunderschön, doch auch schwer überfordert) eintrifft und die Leichen ihrer neuen Familie vorfindet, weigert sie sich vehement, das Anwesen zu verlassen. Indes bieten sich in Form des bedächtigen Gesetzlosen Cheyenne (Jason Robards in einer wunderbar kauzig-verschrobenen Glanzleistung) und des sonderlichen namenlosen Mundharmonikaspielers (der charismatische Charles Bronson in einer Rolle, die Clint Eastwood vorab perfektioniert hatte) zwei Männer als Gehilfen an, die ihre eigenen Motive in diesem verzwickten Kräfteringen zwischen Jill und Frank verfolgen...
Sicherlich liegt hier ein Meisterwerk vor, insofern als mit Regisseur Sergio Leone hier ein filmästhetischer Meister am Werk ist, der seinen einzigartigen, überhöhten Stil durch seine
Dollars-Trilogie hindurch perfektioniert hat. Und auch handelt es sich hier um einen Film, den man sich trotz grandioser Bilder auch bloß anhören kann, um sich der traumhaften Welt gewahr zu sein, die er fast allein mit einer ausgekügelten Geräuschpalette erzeugt. Doch bei
Once Upon a Time in the West ist das Ganze eher weniger interessant als die Summe seiner famosen Elemente. Dies liegt vor allem an der spärlichen Handlung des Films, die man mit all ihren Details getrost in einer Stunde hätte erzählen können, aber hier auf satte zweieinhalb Stunden ausgedehnt hat, indem man kleinen Momenten sehr viel Zeit widmet, in der Hoffnung, mehr Relevanz aus ihnen zu schöpfen. Das gelingt sicherlich häufig, da Leone die Kunst der temporalen und räumlichen Spannungssteigerung beherrscht wie wohl kaum ein anderer: seine Filme zeigen zumeist das angespannte Warten auf eine Entladung unterdrückter menschlicher Konflikte, die sich oft in Gewalt, manchmal auch in Sex entladen – was bei ihm nicht selten dasselbe ist, wie man in
Once Upon a Time in America (1984) sieht. Doch manchmal ist es auch nur langweilig lange in das so makellose Gesicht Claudia Cardinales zu blicken, in der Hoffnung ihren Charakter besser verstehen zu können. Ihrem Gesicht fehlt die Tiefe, den der penetrierende Blick der Kamera den verschwitzten, verdreckten, endlos faszinierenden Visagen der übrigen, rein männlichen Darsteller entlockt. Diese wissen, daß sie ob der Eindimensionalität ihrer Figuren nur durch ihre grandiose Leinwandpräsenz punkten können und liebäugeln mit der Nahaufnahme der Kamera, die ihren Gesichter die Komplexität von Landschaften verleiht.
Handlung und Figuren sind hier geradezu irrelevant, da beide zusammengesetzt sind aus dem großen Fundus narrativer und charakterlicher Versatzstücke des Westerngenres. Lange bevor Quentin Tarantino auf die Idee kam, in seinen Filmen nur andere Filme zu zitieren, und nicht realitätsnahe Charaktere zu betrachten, spielte Leone schon mit den Standardsituationen und Topoi des Westerngenres herum, um diese dramatisch zu überzeichnen und gleichzeitig weit „authentischer“ zu zeigen: der Wilde Westen war nie so dreckig und wirkte selten so plastisch greifbar wie bei Leone. Das Maß der Abstraktion dabei ist aber leider oft dermaßen groß, daß das brutale Schicksal der Figuren einen nicht unbedingt bewegt, da viele der Szenen, speziell in der schleppenden Mitte des Films keine narrative Dramatik entwickeln. Dieses Problem ist nicht neu für Leone, der schon in der
Dollars-Trilogie versuchte den schwierigen Grad zwischen Stilisierung und narrativer und charakterlicher Substanz zu finden: während
Für eine Handvoll Dollar (1964) eine sehr stringente, kompakte Handlung mit einigen fulminanten Pistolenduell-Choreographien verknüpfte, und
Zwei glorreiche Halunken (1965) drei faszinierende Protagonisten in einer konfusen Handlung mitsamt unnötigem Historienballast strandete, aber mit einem schier famosen Finale aufwartete, vermochte bloß
Für ein paar Dollar mehr (1964) die Symbiose aus ansprechenden Figuren, spannender Handlung und dienlicher Actionchoreographie perfekt zu verbinden.
Spiel mir das Lied vom Tod ist vielmehr eine wunderbare Symphonie aus Western-Motiven, -Bildern, Figuren, -Tönen, die eine leidlich interessante Geschichte mit allzu viel Leerlauf erzählt, dabei aber immer wieder mit ganz großen Momenten zu entschädigen weiß, die auch aus dem Kontext gerissen zu begeistern wissen.