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von Pascal Chaumeil




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Ein Film von Sarah Polley

I don't like to disturb her. Just like to see her, that's all. Make sure she's doing well, you know. I suppose I must seem rather pathetic.

Es geht um Alzheimer. Seit dem Jahr 2001 (Iris von Richard Eyre) gab es fast jedes Jahr einen Film, der sich mit dieser so außergewöhnlich beängstigenden Krankheit befasste. Nach und nach fällt ihr alles zum Opfer, was einen Menschen ausmacht. Vielleicht war es unter anderem genau diese monströse Vorstellung, diese sonderbare Zugänglichkeit dessen, was Alzheimer anrichtet, die nach Eyre, Bille August (A Song for Martin, 2002), Nick Cassavetes (The Notebook, 2004) und Erik van Looy (Memory of a Killer, 2005) auch Sarah Polley dazu brachte, nicht nur Regie zu führen, sondern auch das Drehbuch zu schreiben (nach der Kurzgeschichte "The Bear came over the Mountain" von Alice Munro).

Als potentieller Zuschauer mag man fragen, ob nach dieser relativen Ballung thematisch ähnlicher Filme An ihrer Seite überhaupt noch nötig ist, ob man sich diesen Film auch dann ansehen sollte, wenn man die anderen allesamt schon kennt. Diese Frage kann hier nicht beantwortet werden, und das soll sie auch nicht. Ein so eigenständiger, persönlicher Film verdient immer, für sich genommen zu werden. Was also kann man zu diesem Film jenseits von Vergleichen und Relativierungen sagen?
Man könnte erzählen, was für ein Feiertag es jedes Mal ist, auf einen Film zu stoßen
, der sich, seine Figuren und sein Publikum gleichermaßen ernst nimmt und diesem Ernst gerecht wird, wenn man eigentlich ein weiteres Rührstück erwartet.
Man könnte erwähnen, wie natürlich gewachsen sowohl die Ehe von Grant und Fiona Anderson (Gordon Pinsent und Julie Christie) als auch ihre Beziehungen zu den Nebenfiguren, der Pflegerin, den Patienten und ihren Verwandten, wirken.
Man könnte sagen, dass der Film durch pure Aufrichtigkeit all die so einladenden, so verführerischen, so nahe liegenden Fehler vermeidet und es nie übertreibt. Wie er einen gleich in den Krankheitsverlauf wirft und die Person, die Fiona wird und die, die sie war, nie klar voneinander trennt, sondern die Vergangenheit durch ihre Erinnerungen belebt und ihrer Gegenwart so schmerzhaft viele klare Momente zugesteht, so viele, in denen sie vielleicht weiß, dass sie etwas nicht mehr weiß und in denen ihr Mann Grant sich fragt, ob sie noch weiß, was sie nicht mehr zu wissen scheint, weil es alles auch wieder auftauchen kann, so unangekündigt, wie es verschwindet. Man könnte erwähnen, wie viel Reife und Zurückhaltung es erfordert, das Bewusstsein ihrer beider Situation so leise und so alles durchdringend zu schildern. Man könnte bemerken, wie Recht Grant hat, wenn er sagt, dass Menschen vor allem dann einsam werden, wenn sie die, um die sie sich sorgen, nicht sehen können und wie sehr der Film auch davon handelt.
Man könnte auch beschreiben, welche Gedanken der Film ganz sanft anregt, darüber, wie umfassend Akzeptanz wirklich ist und wie sehr sie degradiert werden muss, um zu einem gerne verwendeten Synonym von Gleichgültigkeit zu werden.

An ihrer SeiteAn ihrer SeiteAn ihrer Seite
Auch könnte man gestehen, dass man glaubt, nie eine leuchtendere, schönere Frau als Julie Christie gesehen zu haben, "Direct and vague. Sweet and ironic". Oder man könnte beleuchten, wie im besten Sinne literarisch dieser Film ist, als wäre es die beste Verfilmung eines noch unveröffentlichten Spätwerkes von Philip Roth, mit Pinsent als wunderbarem Vorleser, mit literarischer Sensibilität für die Nebenfiguren wie für Ondaatje, W.H. Auden, Bach, sogar für Neil Young. Sarah Polley könnte man loben, die hier mit 28 Jahren Regie führte "like an old pro, like John Ford" (Julie Christie) und die in ihrer Karriere bisher eine fast unwirkliche Integrität beweist. Man könnte Kleinigkeiten akzentuieren, wie etwa die melancholische Verwunderung, mit der Grant in wenigen Sätzen die frühere, junge Verliebtheit, mit der man es im Kino so viel häufiger zu tun hat, als so viel oberflächlicher und so weniger lohnend beschreibt als die in vierzig Jahren gewachsene Vertrautheit zu seiner Frau. Man könnte sogar noch bekennen, wie großartig der im Grunde alte Trick des kauzigen comic relief - Irren funktioniert, der hier, während er am niedergeschmetterten Grant vorbeigeht - ganz joviale, lächerliche Ernsthaftigkeit des Sportkommentators, der er immer noch zu sein glaubt - kommentiert: "As we're going down the hall, there's a man with a broken heart, broken in a thousand pieces".

Und am Schluss kann man erleichtert anerkennen, wie wohltuend, wie schlicht schön dieser Moment am Ende ist, wie er das nie auszuschließende, immer lauernde, hingerotzte Happy Ending souverän umspielt und diesen Film dann voller Dankbarkeit und Wehmut und Akzeptanz des Unvermeidlichen enden lässt - in dem den Film beherrschenden Weiß, das hier, so meint man vielleicht, zum ersten Mal nicht nur für das Verschwinden zu stehen scheint, sondern auch für dessen Schönheit.

Ein wunderbarer Film, der einem ganz leise und voller Respekt das Herz bricht und über den man eigentlich nicht viele Worte verlieren muss.

Eine Rezension von Paul Hellermann
(13. November 2008)
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Daten zum Film
An ihrer Seite Kanada 2006
(Away from her)
Regie Sarah Polley Drehbuch Sarah Polley, Alice Munro (Kurzgeschichte)
Produktion Atom Egoyan, Victoria Hirst, Daniel Iron, Doug Mankoff, Simone Urdl, Jennifer Weiss Kamera Luc Montpellier
Darsteller Gordon Pinsent, Julie Christie, Olympia Dukakis, Deanna Dezmari
Länge 110 FSK
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