Samuel Benchetrit („Janis et John“ [2003]) unterbreitet uns mit seiner Komödie
„CHEZ GINO“ ein Angebot, das man besser nicht ausschlagen sollte:
Der titelgebende Gino, verkörpert durch den grandiosen
José Garcia („Die Axt“ [2005]), führt seit vielen Jahren schon die erste Pizzeria Brüssels. Doch die Geschäfte laufen zunehmend schlechter, weshalb Gino sogar in Erwägung zieht, die Pizzeria für immer zu schließen. Erst die überraschende Nachricht vom nahenden Tod seines schwerreichen Onkels bewirkt ein Umdenken, positioniert zugleich aber auch gänzlich neue Probleme im Vordergrund. Denn Ginos kranker Onkel hat nicht nur sein gesamtes Vermögen zu vermachen, er ist zu allem Überfluss auch noch ein waschechter Mafia-Boss. Ein Patenonkel, wenn man so will. Und als solcher stellt er seinem potentiellen Erben eine Aufgabe: Nur dann, wenn sich Gino als wahres, echtes Mitglied der „Familie“ erweisen sollte, winkt auch das Geld. Der gutherzige Pizzabäcker, der noch keiner Fliege was zuleide tun konnte, die in Aussicht gestellte Finanzspritze jedoch mehr als dringend benötigt, fasst nach reiflicher Überlegung einen tollkühnen Entschluss: Eine Fake-Doku soll ihn, den vermeintlichen Pizza-Paten von Brüssel, bei seiner täglichen Arbeit filmen und den Anschein erwecken, dass er die Grundfesten der
Cosa Nostra bereits mit der Muttermilch aufgesogen hat. Doch einen Paten zu spielen, vor allem überzeugend,
ist letzten Endes gar nicht so leicht, wie man vielleicht immer dachte...
In jedem Fall ist es herrlich komisch für die Zuschauer. Hauptdarsteller José Garcia verstrickt seine Figur des Gino Roma durch eine wahrhaft entfesselte Darbietung in einem immer schneller drehenden Strudel unvorhergesehener Geschehnisse, welche in dem späteren Auftreten der wirklichen Mafia ihren unbestreitbaren Höhepunkt zeitigen. Denn wenn einer, der nur vorgibt, jemand ganz Bestimmtes zu sein, mit einer Person zusammentrifft, die zu allem Überfluss dem Kasperletheater auch noch wahrhaftig Glauben schenkt, dann ist amüsantes Chaos quasi vorprogrammiert. Vor allem, wenn der besagte Bösewicht vom „
Pans Labyrinth“-Scheusal
Sergi López verkörpert wird. Dieser gibt dem berühmten Affen nämlich mächtig Zucker, indem er, zuweilen durch seine schiere Präsenz, alle vorherrschenden Mafia-Klischees genüsslich durch die Kakaolache zieht, jedoch dabei niemals der Lächerlichkeit preisgibt. Diesen Tatbestand erledigt dann schon eher unser treudoofer Pizzabäcker, der mit einer weißen Katze auf dem Schoß nicht von ungefähr an James Bonds alten Widersacher Ernst Stavro Blofeld erinnert. Mit dem feinen Unterschied hingegen, dass sich dessen Katze noch bereitwillig hat streicheln lassen. Nun gut, wenn irgendwann in naher Zukunft mal gerade kein geeigneter Pferdekopf zur Hand sein sollte...
Dies alleine macht aus
„CHEZ GINO“ bis hierhin aber allenfalls eine nur sehr knapp überdurchschnittliche Krimikomödie, die man allzu leicht auf ihren Klamauk reduzieren könnte. Dass dem aktiv entgegengewirkt werden muss, erkannte wohl auch Regisseur und Co-Drehbuchautor Benchetrit, der sich daher einen ganz besonderen Kniff einfallen ließ: Er übernahm kurzerhand selbst die Rolle desjenigen Regisseurs, der von Gino angeheuert wird, dessen „falsches Leben“ auf Zelluloid zu bannen. Das zweigeteilte Agieren sowohl vor wie auch hinter der Kamera resultiert in einer gesunden Portion Selbstreferenzialität, die man in dieser Form bestimmt nicht erwartet hätte. Mit einem Mal ist der vordergründige Humor nur noch ein kleiner Lakai im Dienste eines weitaus größeren Protagonisten: dem Film als solchen.
„CHEZ GINO“ bedeutet plötzlich, zu Hause bei filmliebenden Freunden zu sein, um gemeinsam mit diesen der schönsten Sache der Welt beizuwohnen. Auch wenn es nur wieder eine der unzähligen Fake-Dokus ist. Heute mit Gino. Von Gino. Bei Gino. Es zählt schlicht und ergreifend der Gedanke. Und dieser ist im vorliegenden Fall der, dass sich mit Leidenschaft und Spaß an der Freude letztlich alle Probleme aus der Welt schaffen lassen. Zumindest in jenem filmischen Kosmos, in dem es ein kleiner Pizzabäcker zum vermeintlichen Pizza-Paten schafft. Alles andere ist wohl in der echten Welt, in der wir es uns nun bitte mit Pasta und einem schönen Glas Rotwein auf der Fernsehcouch gemütlich machen, besser aufgehoben. Eine Erkenntnis, die zwar nicht sehr neu ist, in Benchetrits
„CHEZ GINO“ aber weitaus leichtfüßiger als die gefürchteten Zementschuhe daherkommt.
Fazit: Witzig, schwarzhumorig, selbstreferenziell und durchweg sympathisch: Samuel Benchetrits Mafia-Geschichte der etwas anderen Art verneigt sich vor Klassikern wie „
Der Pate“ [1972], nur um sie im selben Atemzug gehörig durch den Kakao zu ziehen. Das gelingt zwar nicht immer tadellos und schießt in zumindest einer Szene etwas über das Ziel hinaus. Alles in allem evoziert die überaus amüsante Geschichte rund um einen treudoofen Möchtegern-Paten und die Liebe zum Film an sich aber einen mehr als zufriedenstellenden Gesamteindruck. Kurzum: Hauptdarsteller José Garcias unmittelbarer Nachfolger zum gelungenen „Le Mac“ [2010] ist ebenfalls beste französische Unterhaltung, wie sie immer sein sollte: originell, bunt und sehr, sehr eigen.