"Mommy was very bad."
James Bond, der berühmteste Geheimagent der Welt, feiert runden Geburtstag. Seit filmhistorisch gesehen nunmehr genau 50 Jahren befindet sich der smarte Brite mit dem kühlen Charme in den Diensten Ihrer Majestät, um in Ihrem Auftrag den Übeltätern dieser Welt das Leben schwer zu machen. Und von Altersmüdigkeit kann bisher noch nicht geredet werden, auch wenn die langlebigste Filmreihe der Kinogeschichte bisher einen Verschleiß von 5 Bond-Darstellern aufzuweisen hat und sich mit dem vielbeachteten „
Casino Royale“ [2006] sogar für einen radikalen Neustart entschied. Härter und realistischer geriet er, dieser neue alte Bond, der durch den kantigen Mimen
Daniel Craig („
Verblendung“ [2011]) plötzlich gar nicht mehr so perfekt und aalglatt wirkte wie sein schneidiger Vorgänger Pierce Brosnan. Vielmehr zeigte Bond Schwäche unter der rauen Schale, bewies, dass auch er nur ein Mensch aus Fleisch und Blut ist, den Gefühle willenlos machen und bis zum Äußersten treiben können. „
Ein Quantum Trost“ [2008] war die zwar logische, aber im Ergebnis zwiespältig aufgenommene Konsequenz dieser Entwicklung. Marc Forster ließ den Bond-Vulkan hier in einer kurzweiligen, jedoch auch äußerst hektischen Acti
on-Vendetta explodieren, die die Hauptfigur laut unserem Kritiker zum bloßen Haudrauf degradierte. Erfolgreich war das 22. Abenteuer an den Kinokassen dennoch, doch die Frage, ob man den Bogen eventuell ein wenig überspannt haben könnte, blieb wie ein Damokles-Schwert über den Verantwortlichen hängen. Und die Antwort folgte automatisch auf dem Fuße: Das 50-jährige Jubiläum im Jahr 2012, passenderweise zelebriert mit dem 23. Bond-Abenteuer, müsste sich in jedem Fall wieder zurück zu den Ursprüngen bewegen, ohne jedoch die neuerliche Charakterentwicklung außer Acht zu lassen. Ein tollkühnes Vorhaben, keine Frage. Doch soviel sei bereits jetzt verraten:
„SKYFALL“ ist – nach „Casino Royale“ – der beste Bond seit langer, langer Zeit. Und ein klassischer noch dazu.
James Bonds (Daniel Craig) letzte Mission nahm tragischerweise ein äußerst unerfreuliches Ende. Bond verschwindet kurzzeitig spurlos, und eine Reihe von verdeckt arbeitenden Agenten auf der gesamten Welt wird enttarnt. Als wenn das noch nicht genug wäre, wird kurz darauf auch noch ein terroristischer Anschlag auf das Londoner MI6-Gebäude verübt, der den gesamten Geheimdienst zum Umzug zwingt. Mallory (Ralph Fiennes), der neue Vorsitzende des Kommitees für Spionage- und Sicherheitsangelegenheiten, untergräbt in der Folge M's (Judi Dench) Autorität und zwingt sie indirekt zum Rücktritt. Doch die resolute M denkt nicht daran, das Feld kampflos zu räumen und schickt Bond, ihren besten Mann, auf die verhängnisvolle Suche nach den Hintermännern des Komplotts. Sehr bald schon muss M zu ihrem Leidwesen erkennen, dass der Schlüssel zu allem in ihrer eigenen Vergangenheit verborgen liegt. Und vor dieser kann man nicht davonlaufen...
BRAVE NEW WORLD. Die Zeit für unbesiegbare Helden, so scheint es zu Beginn des Films, ist vorbei, die Realität des Menschen größter Feind. Deutlicher kann man es fast nicht machen. So gerät auch der smarte Bond in seinem neuesten Abenteuer mehr als jemals zuvor an seine Grenzen, als die moderne Gegenwart des 21. Jahrhunderts ihre Klauen ausfährt und Platz für Probleme schafft, die noch vor einiger Zeit undenkbar waren. Weltweite Vernetzung, Cyber-Terrorismus – mit einem Mal genügt ein simpler Klick mit der Maus, und alles verändert sich. Neue Wege müssen beschritten, neue Gedanken gefasst werden, um mit den sich immer schneller entwickelnden Gegebenheiten überhaupt Schritt halten zu können.
„SKYFALL“ befasst sich demgemäß mit der unangenehmsten aller Fragen und lässt die Antwort darauf erst einmal auf sich warten: Was kann Alt gegen Neu ausrichten? Was zählt eine einst gute Ideologie, wenn sie vermeintlich veralteten Strukturen erwächst? Stellvertretend für diese Frage werden von Regisseur
Sam Mendes („
Road to Perdition“ [2002]) zwei einsame Streiter auf das erbarmungslose Spielbrett der Gegenwart gesetzt: M und Bond, zwei nach außen hin Verbündete, die jedoch im Innern von den Dämonen ihrer eigenen Vergangenheit allmählich zermürbt werden, suchen beide nach Antworten und finden doch erstmal nur Leere vor. M, der sonst so Resoluten, wird plötzlich ihr Vertrauen abgesprochen, während der berühmte Geheimagent an einen Punkt gelangt, der sich ziemlich nahe am Boden der harten Tatsachen einpendelt. Als der Druck von innen und außen gar zu groß wird, begeben sich beide Charaktere, mittlerweile vollends gebrochen von der Wirklichkeit, auf eine schicksalhafte Odyssee, die einem echten Himmelfahrtskommando gleichkommt. So ernsthaft war ein Bond zuvor nur selten.
Sam Mendes begeht jedoch nicht den Fehler, seinen tragischen Helden vollständig zu dekonstruieren, sondern nutzt die Gunst der Stunde, um langsam, aber stetig eine vormals standhafte Konstante wieder zu stabilisieren. Sein zweieinhalbstündiger
"SKYFALL" ist gewissermaßen die Wiederauferstehung Bonds und damit einhergehend der längst überfällige Beweis, dass sich klassische Unterhaltung und moderne Sichtweisen auf das 21. Jahrhundert nicht ausschließen, sondern im Gegenteil sinnvoll ergänzen können. Nicht ohne Ironie, immer am Zahn der Zeit, zeichnet Mendes mit leichter Hand das Bild eines Helden, der sich todesmutig seiner Vergangenheit stellt, nur um nachher erwachsener aus dieser Konfrontation hervorzugehen. Er benötigt keine explodierenden Kugelschreiber oder unsichtbare Autos mehr, Gadgets aus längst vergangenen Zeiten. Seine Waffe im Kampf gegen den psychopathischen und an alte Glanzzeiten erinnernden Bösewicht Raoul Silva, dem
Javier Bardem („
No Country for Old Men“ [2007]) hervorragend Leben einverleibt, ist die schlichte Walther PPK und ein kleiner Funksender. Denn weniger ist manchmal mehr. Was keineswegs heißt, dass Bond in seinem 23. Auftrag nicht doch ein klein wenig protzen darf: Quasi als selbstbereitetes Geburtstagsgeschenk setzt sich 007 gen Ende noch einmal in den legendären Aston Martin, um zu seiner Spritztour aufzubrechen, die schließlich die Erklärung liefert, was es mit dem ominösen Filmtitel nun auf sich hat. Mehr sei an dieser Stelle freilich noch nicht verraten.
Stellen wir also den Zeiger der Zeit irgendwo zwischen klassische Vergangenheit und moderne Gegenwart, während imposante Kameraeinstellungen des neunfach oscarnominierten
Roger Deakins („
Die Verurteilten“ [1994]) das gute alte Actionkino wieder heraufbeschwören, ohne Dynamik vermissen zu lassen. Die wenigen, aber dafür konsequent durchchoreographierten Sequenzen machen die unübersichtliche Schnittorgie des Vorgängers fast vergessen, zeigen vielmehr, dass Rückbesinnung – ganz im Sinne des Film-Grundtenors – manchmal den einzig richtigen Weg darstellt. Und so dürfen Bond selbstverständlich auch zum Jubiläum wieder etliche „alte“ Weggefährten zur Seite stehen, wovon die verjüngte Q-Version in Gestalt von
Ben Wishaw („
Das Parfum - Die Geschichte eines Mörders“ [2006]) noch die memorabelsten Momente für sich verbuchen kann. Dieser Q ist modern und technikaffin, ohne jedoch die klassisch-genialen Spielereien seiner „Vorgänger“ zu negieren. Sie sind irgendwie immer noch Bestandteil des Systems, müssen aber angesichts aktueller Bedrohungen notgedrungen ein Schattendasein fristen. Die Welt hat sich verändert, und James Bond, die berühmteste Doppelnull der Welt, ist nunmehr erwachsen geworden. Er hat sich mit den neuen Gegebenheiten arrangiert, und frönt am Ende dann doch dem altbekannten klassischen Bondismus, wenn böse Buben und schöne Frauen seinen Weg kreuzen. Bei aller Neugestaltung bleibt unser Geheimagent sich also treu, sowohl nach außen als auch innerlich. Denn Altbewährtes hält nun einmal doch am Längsten.
Fazit: „SKYFALL“ bietet alles, was das Bond-Herz begehrt: rasante Action, exotische Schauplätze, einen tollen Bösewicht und einen charismatischen Darsteller, der sich mit nötigem Ernst und gesunder Härte zu den Wurzeln des Fleming-Helden bekennt. So entstand ein klassisches Bond-Abenteuer im modernen Zeitgewand, das den Mythos Bond in neue Bahnen lenkt, ohne dabei zu vergessen, dass es sich immer noch vorrangig um einen Unterhaltungsfilm handelt. Diese Gratwanderung meistert Sam Mendes mit gespielter Leichtigkeit, während er nebenbei die körperlichen wie auch psychischen Grenzen des titelgebenden Helden aufs Äußerste auslotet. Großes Kino, das den Zuschauer gegen Ende nicht nur fasziniert zurücklassen, sondern ihm auch ein Gefühl entlocken dürfte, das man vielleicht nicht vermutet hätte: Rührung, gänzlich ungeschüttelt.