Roman Polanski scheint eine große Vorliebe für Mystik und Okkultes zu haben. Bereits in seiner Vampirpersiflage „Tanz der Vampire“ (1967), in welcher seine damalige Frau Sharon Tate die Hauptrolle der Sarah spielte, konnte er sein Faible für das Übernatürliche auf humorvolle Weise in einem erfolgreichen Kinofilm einfangen. 1969 schließlich gelang ihm mit „Rosemary’s Baby“, der zu einem Welterfolg wurde, und auch heute noch als einer der größten Gruselfilme des 20. Jahrhunderts angesehen wird, der internationale Durchbruch.
Es scheint wie ein böser Streich des Schicksals, dass kurze Zeit nach der Premiere des Films, der von einer Satanssekte handelt, die einer hochschwangeren Frau das Leben zur Hölle macht, Polanskis damalige Ehefrau, ebenfalls hochschwanger, vom Satansanbeter und Sektenführer Charles Manson in einem bestialischen Ritualmord regelrecht hingerichtet wurde, was den polnischen Regisseur in tiefe Schuldgefühle stürzte.
Deswegen darf es nicht verwundern, dass Polanski lange Zeit nichts mehr mit dem Thema Satanismus zu tun haben wollte. Vielmehr ist es erstaunlich, dass er mit „Die Neun Pforten“ überhaupt wieder einen Film drehte, der den Leibhaftigen bzw. dessen Hinterlassenschaft zum Kernstück seiner Story erhebt. Zudem spielt in seinem neuen Regiewerk abermals seine heutige Ehefrau Emmanuelle Seigner eine bedeutende Filmrolle.
Der satirische Mysterythriller selbst, der eine internationale Koproduktion (Spanien, Frankreich, USA) ist und von Filmkritikern sehr divergierend aufgenommen wurde, immerhin aber den Europäischen Filmpreis und weitere Auszeichnungen erhielt, basiert auf dem Roman „El Club Dumas“ von Arturo Pérez-Reverte und erzählt das Abenteuer des egomanischen, gewissenlosen und suchtgefährdeten Dean Corso, der seinen Lebensunterhalt als Buchdetektiv, d.h. mit dem Auffinden literarischer Raritäten und Schätze, bestreitet.
Da er Meister seines Fachs ist wird er vom skrupellosen Businessman Boris Balkan angeheuert, der ihm mit viel Geld lockend den Auftrag erteilt sich auf die Suche nach den anderen beiden Kopien des Buches „Die neun Pforten ins Reich der Schatten“ zu begeben. Doch das Buch ist mehr als die Summe seiner Teile: in ihm soll eine verschlüsselte Botschaft versteckt sein, mit deren Hilfe man den Belzebub heraufbeschwören könne. Damit nicht genug gieren auch noch andere Personen nach dem Liber Diabolus. Personen, die keine Skrupel kennen und über Leichen gehen, und so ist es nicht verwunderlich, dass schon bald die ersten Morde verübt werden.
Das Grauen kommt in „Die Neun Pforten“ nicht mit großen Effektsalben und lautem Trara herangestampft, sondern pirscht sich auf samtenen Fußballen an den Zuseher heran, und hat es sich erst einmal eingenistet will es trotz des manchmal etwas dahinplätschernden Drehbuches nicht mehr so schnell davon.
Denn Polanski scheint im Zeitalter von computeranimierten Werwölfen und Horrorfilmen, die ihr Augenmerk mehr auf SFX und tolle Masken denn auf Spannungsaufbau und Atmosphäre legen, pingelig darauf bedacht mit möglichst wenig Spezialeffekten und profanen Stilmitteln kontrovers zu arbeiten und vielmehr durch ein interessantes Script, eine superbe Cast und allerhöchstens durch wenige Stunts sowie beinahe durchgehend schummrige Beleuchtung atmosphärische und beklemmende Dichte und einen düsteren Tenor zu kreieren.
Die gut herausgearbeiteten Charaktere und feine Schauspieler tragen dazu bei „Die Neun Pforten“ zwar nicht zu einem Angstschweiß treibenden Horrorshocker aber doch zu einem soliden Gruselthriller werden zu lassen.
Über Johnny Depp braucht man nicht viele Worte zu verlieren. Er genießt seine Rolle sichtlich, wobei böse Zungen mutmaßen warum er immer jene Filmfiguren spielt, die auf Alkohol und Drogen abfahren. Als Dean Corso ist der wandlungsfähige Schauspieler irisch-deutscher Abstammung weder sympathische Bezugsperson noch liebenswerter Antiheld.
Frank Langella als Boris Balkan ist der besessene Bösewicht mit einer verrottenden Seele. Seine Einführung über die drei Bücher, welche Satan in persona geschrieben haben soll, jagt einem immer wieder zahlreiche Gänseschauer über den Rücken und lässt die feinen Härchen im Nacken sich ganz weit aufrichten.
Barbara Jefford spielt die kleine Nebenrolle der Baroness von Kessler. Einstmals war sie bei einem wilden Orgien feiernden Satanszirkel dabei, behauptet aber heute nichts mehr damit tun haben zu wollen, wie gesagt „scheint“, denn ein „guter Mensch“ ist sie nicht.
Kommen wir schließlich zur grünäugigen Mysteriösen (der Abspann nennt sie bloß „The Girl“), von der bereits oben angesprochenen Emmanuelle Seigner verkörpert. Wie ist diese nun einzuordnen? Ist sie ein Engel? Eine Abgesandte der Hölle? Oder gar der Teufel alias „LCF“ (mit „Lucifer“, Dt. „Der Lichtträger“ vermarktet es sich schlicht und einfach besser) höchstpersönlich? Zumindest letzteres würde durch die Illustration des satanischen Buches, welche eine Analogie zur biblischen Hure von Babylon zieht, am plausibelsten klingen.
Doch so einfach möchte es uns der gute alte Polanski nicht machen. Wir sollen schon selbst unsere grauen Zellen wieder in Schwung bringen, und daher lässt der vielseitige Regisseur sein Publikum mühsam die Antworten selbst suchen und dabei oft im Blinden tappen. Jedenfalls liegen Himmel und Hölle in seinem Film ganz dicht beieinander, vielleicht sind sie sogar ident. Immerhin hat Corsos Beischlaf mit „dem Mädchen“ einerseits eine sehr ästhetische Komponente, andererseits ist die diabolische Fratze des Succubus vor dem Hintergrund des Höllenfeuers geradezu Furcht einflößend.
Viele werden wohl mit dem langsamen und etwas zähen Erzählfluss, der nur selten richtig in Fahrt kommen will, wenig anfangen können. Zwar wechselt der Film ständig seine Schauplätze, das Tempo bleibt jedoch ganz bewusst sehr ruhig. Schließlich hatte ja auch „Rosemary’s Baby“ seine Längen, die es durchzuhalten galt, und ein Drehbuch, in dem nicht wirklich viel geschah.
Polanski will das offensichtlich so. Dafür wird man in diesem Meisterwerk, das sich als anspruchsloses Entertainment für zwischendurch keinesfalls eignet, mit vielen kleinen Details belohnt, welche „Die Neun Pforten“ zu einem Fall für sich machen, den man immer wieder ansehen kann, nur um ihn jedes Mal ganz anders zu erleben und interpretieren zu können und immer wieder Neues zu entdecken.
Ein interessanter Film eines interessanten und vom Leben gezeichneten Regisseurs.