Der Anwalt Alan Cowan glaubt an den
Gott des Gemetzels.
Roman Polanskis Kinoversion des gleichnamigen, französischen Theaterstücks von Yasmina Reza ist kein großer oder gar spektakulärer Film. Und das ist auch genau richtig so.
Den langsam immer beklemmender wirkenden Raum eines bescheidenen New Yorker Apartments überlässt der inzwischen 78-jährige Altmeister ganz seinen vier fantastisch aufgelegten Darstellern.
Die aufwendige Trickserei der Filmwelt rückt in den Hintergrund, betrachtet wird das Set schließlich ähnlich nüchtern, wie dies der Theatergast wohl auch bei einer Bühne tut.
Mit dem Unterschied, dass in diesem Fall selbstverständlich die Kamera den Blickwinkel auf das Geschehen bestimmt.
Man darf sich nun möglicherweise zu Recht fragen, wozu eine Filmvariante des Stoffes überhaupt notwendig ist, wo doch das Theater in erster Linie aus einer spontanen, manchmal unberechenbaren Kraft schöpft.
Wirklich
notwendig ist der Film auch nicht – aber er ist charmant und clever, unterhält während seiner knapp 80-minütigen Spieldauer auf köstliche Weise und zwickt seine Zuschauer permanent schelmisch in die Seite.
„Der Gott des Gemetzels“ ist dabei nicht Polanskis erste Bühnenadaption.
Schon Shakespeares „Macbeth“ hat unter dessen Aufsicht 1971 eine blutrünstige und recht eigenwillige Umsetzung erfahren, die allerdings seinerzeit bei vielen Kritikern durchgefallen ist.
Diesmal hat sich der Regisseur mit der sehr stürmischen Lebensgeschichte wieder einem Lieblingshobby zugewandt:
Er beobachtet Menschen.
Und indem er diese vier Individuen so aufmerksam betrachtet (beziehungsweise: mit der Kamera einfangen lässt), spiegelt er uns in deren vertraut seltsamem Verhalten.
Da stecken wir doch selbst drin, diese Wohnung könnte unsere eigene sein. Diese verzwickte Situation aus unserer eigenen Vergangenheit (oder Zukunft) stammen.
Der Auftakt zum Gemetzel findet in einem Park statt.
Eine Gruppe von Kindern findet sich zusammen. Sie streiten sich offensichtlich mit einem weiteren Jungen.
Mit anhören können wir leider nicht, was das Thema der Auseinandersetzung nun gewesen ist.
Der einzelne Junge hält einen Stock und schlägt sein Gegenüber plötzlich mit diesem brutal ins Gesicht.
Daraufhin entfernt er sich wütend von dem Auflauf.
Wie wir dann erfahren, ist der Gewalttäter der Sohn von Nancy (Kate Winslet, „
Der Vorleser“) und Alan Cowan (Christoph Waltz, „
Inglourious Basterds“), die sich kurz darauf bei den Eltern des Verletzten, Penelope (Jodie Foster, „
Das Schweigen der Lämmer“) und Michael Longstreet (John C. Reilly, „
Magnolia“), einfinden, um den Vorfall zu analysieren und die Wogen auf friedliche Weise zu glätten.
Dass Menschen jedoch dazu neigen, aus Mücken einen Elefanten zu machen und in angespannten Situationen manchen beiläufigen Kommentaren einen völlig falschen Sinn beizumessen, sollten wir alle aus eigener Erfahrung wissen.
Und so führt bei diesem gemütlich-ungemütlichen Eltern-Sit-in schließlich ein Wort zum anderen.
Dass der Sohnemann den Stock lediglich
gehalten hat, und nicht etwa, wie in der schriftlichen Stellungnahme der Longstreets beschrieben, mit diesem
bewaffnet gewesen ist, will Alan richtiggestellt wissen.
Diesem Einspruch wird demokratisch stattgegeben – es sollen weitere folgen.
Und nicht nur die Anschauungen der zwei Paare untereinander, sondern die der vier Individuen, entfernen sich im Verlauf langsam voneinander. Bis irgendwann sogar der offene Geschlechterkrieg entfacht ist.
Besonders schön dargestellt wird in „Der Gott des Gemetzels“ die anfängliche, verkrampfte Zurückhaltung der ehrlichen, eigenen Meinung.
Diese Menschen verhalten sich schon von der ersten Sekunde an auf eine solch vermeintlich freundschaftliche Art falsch zueinander, dass die folgende, explosive Konfrontation unvermeintlich scheint.
Sie würgen, ähnlich wie ihren Kuchen, der ja eigentlich ein Pie ist, die Ausführungen des Gegenübers herunter, bis der große Moment schließlich da ist:
Nancy übergibt sich mitten auf den Wohnzimmertisch. Und mit dem Erbrochenen kommt der
Gott des Gemetzels in seiner vollen, hässlichen Pracht zum Vorschein.
Die Unterschiedlichkeit der Charaktere kristallisiert sich nach und nach immer stärker heraus.
Lediglich der von Christoph Waltz so unverschämt charismatisch verkörperte Anwalt, dessen Leben sich in seinem Mobiltelefon abzuspielen scheint, wirkt schon zu Beginn wie ein gepanzerter Kontrollfreak ohne moralische Skrupel, dem niemand wirklich etwas anhaben kann.
Doch auch er wird am Ende leiden, was uns ein großer Spass ist.
Schließlich sind wir alle doch Voyeure, wir wollen das sehen. Dabei zuschauen, wie sich drei Oscar-Preisträger plus John C. Reilly an die Gurgel gehen.
Natürlich aus unserer Distanz, vom Kinosessel - persönlich involviert wollen wir in die Probleme von deren Figuren eigentlich nicht sein.
Dabei sind wir das alle schon gewesen, wir kennen zumindest ähnliche Situationen.
Und deshalb trifft dieses verbale Blutbad bei uns auch so ins Schwarze.
Roman Polanski hat während seiner Karriere Meisterwerke, gute und auch weniger gute Filme inszeniert.
„Der Gott des Gemetzels“ ist ein unangestrengtes, mit spürbar viel Freude inszeniertes Projekt dieses Mannes, der Zuschauern und Kritikern eigentlich nichts mehr beweisen müsste, aber dies auf sympathisch-zurückhaltende Weise trotzdem tut.
Polanski versteht, dass ein guter Kinofilm manchmal nicht mehr benötigt, als den vollen Einsatz seiner Darsteller.
So here we are. Schauspielkunst par excellence. Durch die Bank.
Die Leinwand darf halt auch gern einfach mal eine Bühne sein und uns ganz unverfälscht etwas präsentieren, das uns erneut unser eigenes, manchmal abscheuliches, Wesen schlagartig vor Augen führt.
Es müssen ja nicht immer Außerirdische oder Roboter sein.
Oder...?