Kriminalromane haben sich mittlerweile zum Teil von ihrem Image gelöst, lediglich stumpf einem Schema vorgefertigter Stereotypen zu folgen, und sind zu einer anerkannten Literaturgattung gereift. Doch das war nicht immer so. Traditionell oft als Trivialschund deklassiert, dauerte es etliche Zeit, bis vermehrt der Versuch unternommen wurde, nicht nur die bloße Aufklärung eines Verbrechens, sondern etwa auch die ihm zugrundeliegenden psychologischen Motive des Täters stärker in den Vordergrund zu rücken. So entstanden unter der Federführung bekannter Schriftsteller (z.B. Friedrich Dürrenmatt) anspruchsvolle Kleinode der Kriminalliteratur, die gekonnt der ansonsten gerne getätigten Verortung in der Trivialecke entgegenwirkten. Doch wer meint, dass hiermit am Ende eine längst überfällige literarische Kehrtwende vollzogen wurde, irrt: der obligatorische Gärtner, der seine Gartenutensilien gerne auch mal für andere Tätigkeiten zweckentfremdet, ist nicht etwa altersschwach, sondern hier und da noch äußerst effektiv bei der Arbeit.
„EINE LEICHE ZUM DESSERT“ (
„Murder by Death“) könnte, so man wollte, als
der Film zum Phänomen der altbekannten Tricks und Kniffe in Kriminalromanen gelten. Ein Werk nach einer Idee von
Neil Simon („
Jagt den Fuchs“ [1966]), das fünf bekannte Kriminalromanhelden nebst ihren Macken an den Pranger stellt, der Läche
rlichkeit preisgibt und im Ganzen kein gutes Blatt an dem Genre lässt, in dem sie sich bis vor kurzem noch heimisch fühlten. Soviel kann vorab verraten werden: mordlustige Gärtner sucht man in dieser Groteske genauso vergebens wie manch anderes.
Der exzentrische Millionär Lionel Twain (Truman Capote) lädt die fünf größten Detektive aus aller Welt nebst Anhang zu einem ganz besonderen Zweck in sein Schloss ein. Die aus China, England, Belgien und den USA Einreisenden sollen einen Mord aufklären, der noch gar nicht stattgefunden hat, sondern sich laut Twain um Punkt Mitternacht in den Gemäuern des imposanten Anwesens ereignen wird. Prämie: eine Million US-Dollar. Um ihrem jeweiligen Ruf gerecht zu werden, reisen sie nun alle an: Inspektor Sidney Wang (Peter Sellers) aus Catalina, Dick und Dora Charleston (David Niven und Maggie Smith) aus New York, Milo Perrier (James Coco) aus Brüssel, Sam Diamond (Peter Falk) nebst Sekretärin (Eileen Brennan) aus San Francisco und last, but not least Jessica Marbles (Elsa Lanchester) aus Sussex. Ein turbulentes Wochenende steht bevor, denn bereits das vom blinden (!) Butler Jamesir Bensonmum (gewohnt souverän: Sir Alec Guinness) und der taubstummen (!!) Köchin Yetta (Nancy Walker) in „Gemeinschaftsarbeit“ hergerichtete Abendessen erweist sich als mittlere Katastrophe…
Findige Spürnasen werden es im weiteren Verlauf dieser Krimiposse allmählich merken: man sollte erst gar nicht den Versuch unternehmen, das Gesehene zu verstehen, denn einen wirklichen Sinn sollte der Hobbydetektiv weder vermuten noch in der Lage sein, überhaupt auszumachen – es gibt schlicht keinen. Dies im Hinterkopf gespeichert wartet eine der besten und intelligentesten Parodien überhaupt darauf, begutachtet zu werden. Das etwas andere „Familientreffen“ führt zusammen, was zusammen gehört, nur um es bereits nach kurzer Zeit wenig sanft zu sezieren. So geben sich die Charaktere schon recht schnell als überzeichnete Ebenbilder jener Kriminalhelden zu erkennen, die sie zu sein glauben: ein nicht nur sprachlicher Irrsinn. In der Realität, die uns
Robert Moore präsentiert, sieht das dann auch dementsprechend aus: Die bestens aufgelegten Schauspieler
Peter Sellers („
Inspektor Clouseau“ [1976]),
David Niven („Lady L“ [1965]) und
Maggie Smith („
Harry Potter“ [2001]),
James Coco („The Wild Party“ [1975]),
Peter Falk („Unterwelt“ [1960]) und
Elsa Lanchester („
Mary Poppins“ [1964]) verkörpern Kriminalhelden, die ermitteln, kombinieren, Schlüsse ziehen – und am Ende doch nur ihre eigenen Macken und Eigenheiten ans Tageslicht bringen.
Die Suche nach dem besten Kriminalisten, die Gastgeber
Truman Capote (seines Zeichens Autor eines der besten Krimis überhaupt) auslobt, führt letztlich in Wahrheit die gesamte illustre Runde auf amüsante, teils alberne, aber stets treffsichere Weise vor, wenn sie die Involvierten (und damit uns mit) immer wieder von Neuem aufs Glatteis geleitet. Wie man es auch dreht und wendet: seltsame Wendungen, Fehler in der Logik und völlig abstruse Vermutungen, die in dem bewusst unsinnigen Ende gipfeln, lassen schon recht schnell den roten Faden in der zugrundeliegenden Geschichte vermissen und die Frage aufkommen, ob in Neil Simons Drehbuch überhaupt ein solcher vorgesehen war. Ausnahmsweise darf diese absolut zurecht verneint werden, versteht sich
„MURDER BY DEATH“ (etwa sinngemäß:
Mord durch Tod) doch als persiflierende Kritik auf Krimiautoren, -helden und -leser, die bewusst überzeichnet und damit keine der Parteien in einem guten Licht erstrahlen lässt. Die üblichen Verdächtigen stehen Schlange, jeder mögliche Schluss wird zur Sicherung des status quo irgendwie aus den Fingern gesogen und der Betrachter nimmt es hin, weil er es nicht anders kennt. Einfältigkeit vorgehalten zu bekommen, ist niemals eine angenehme Angelegenheit, jedoch war sie selten zuvor so unterhaltend.
„EINE LEICHE ZUM DESSERT“ macht Spaß, nicht im Mindesten Sinn, frecherweise gar keinen Hehl daraus – und damit alles richtig. Amüsant wird ein komplettes Genre auseinandergenommen, bis am Ende niemand mehr weiß, was vormals wo hingehörte. Die Frage nach dem Mörder und ob
überhaupt ein Verbrechen begangen wurde verkommt zu einem unbedeutenden Partikel eines unermesslich großen, angehäuften Scherbenhaufens, der sinnbildlich für die langen Gesichter unser Krimihelden steht. Lange Gesichter, die von einem getöteten Wochenende herrühren. Freizeitgestaltung kann manchmal so
trivial sein...