Seit nun schon fast einhundert Jahren scheint eine Geschichte immer noch kultig genug zu sein, um ihr in Form eines halbnackten Johnny Weißmüller, eines Buches von 1912 oder eben eines Disneyfilms immer wieder zu begegnen. „Tarzan“ ist die Legende eines kleinen Jungen, dem auferlegt wurde, mit seinen Eltern in einem winzigen Dschungelhäuschen aufzuwachsen, und die Erzählung eines muskelbepackten Hünen mit Sinn für Gerechtigkeit, der von Gorillas großgezogen wurde, da seine Eltern dann doch dem Bösewicht des Urwalds zum Opfer fielen.
Diese Geschichte ist sicherlich jedem gut bekannt und auch Disneys „Tarzan“ bietet da wenig Neues – gut so, denn die Story ist toll wie sie Edgar Rice Burroughs erfunden hat. Natürlich ist der Plot des Disneyfilms stark verkürzt und vereinfacht, das wesentliche Thema aber ist enthalten: So fremd sich zwei Lebewesen auch sein mögen, sie können bei näherem Hinsehen immer eine Verbindung zueinander finden, woraus sogar Liebe entstehen kann.
Disneys „Tarzan“ ist sehr aufwändig gestaltet und somit ein Leckerbissen fürs Auge. So werden beispielsweise die Schatten, die die Urwaldbäume werfen, immer auf den Körpern der Tiere und Menschen dargestellt. Die Figur Tarzans ist sehr gut entwickelt und gezeichnet, entspricht der Affenmensch doch nicht dem typischen Bild von Disneys Trickfilmprinzen mit niedlichen Stupsnasen und lang bewimperten Augen. Obwohl Tarzan die Hauptfigur ist und am Ende den m
ännlichen Part des entstandenen Traumpaares bildet, hat er eher grobe und ernste Gesichtszüge, dreadlockähnliche Haare und eine eher ruppig erscheinende Figur und Körperhaltung. Kurzum: Tarzan entspricht sicherlich nicht dem Bubi-Image, auf das kleine Mädchen stehen, sondern eben einem von Affen aufgezogenen Kraftprotz, der niemals Kontakt zur Zivilisation hatte.
Was Disneyfilme zum Leben erweckt und ihren besonderen Charme ausmacht, ist in jedem Fall auch die Musik, hier komponiert und interpretiert von Phil Collins, der es sich auch nicht nehmen lies, in allen Sprachen, in die der Film übertragen wurde, selbst zu singen. So lässt sich natürlich ein gewisser amerikanisch-englischer Akzent bei den Songs heraushören – macht aber nichts, denn es gibt der Musik ihr i-Tüpfelchen. Eine weitere Stärke in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Disneyfiguren nicht dazu hinreißen lassen, auf einmal in die Rolle von Musicalstars zu schlüpfen, sondern Phil Collins als Stimme aus dem Off singen lassen.
Dass der Humor in diesem Film nicht zu kurz kommt, beweist dem Zuschauer die Figur des Elefanten Tantor, den man zunächst als Kind, das sich Sorgen um potentiell keimhaltiges Wasser macht, zu sehen bekommt. Gegensätze bringen also hier die Lacher: Als Tantor groß ist, hat er nichts von seiner Ängstlichkeit abgelegt. Weiterhin lernt man Janes Vater als einen etwas trotteligen, naiven Opi kennen – Eigenschaften, die sich mit seinem Bildungsstand als Professor beißen.
Als Manko könnte Liebhabern des Originalbuches erscheinen, dass der Film natürlich stark von seiner Vorlage abweicht, obwohl sich das wiederum in einigen Details als positiv herausstellt. So wird beispielsweise dem kindlichen Zuschauer nicht fälschlicherweise beigebracht, es gäbe Löwen in einem dicht bewachsenen, tropischen Regenwald. Diesen kleinen Fehler Burroughs’ bügelt der Film gekonnt aus, indem die Rolle des Bösewichts von einem Leoparden, der durchaus im Dschungel beheimatet ist, übernommen wird.
Um wieder zurück zum Originalbuch zu kommen, ist sicherlich auch zu erkennen, dass etwas von der ursprünglichen Vielschichtigkeit im Film flöten ging. Natürlich war die Entwicklung einer Beziehung zwischen Jane und Tarzan nicht so einfach, wie es im Film dargestellt wird, wo Jane kurzerhand beschließt, bei Tarzan im Dschungel zu bleiben (was übrigens der markanteste Gegensatz zum Buch zu sein scheint, wo sich - nach langem Hin und Her - der Herr der Affen zum Stadtmenschen mausert, um mit Jane zusammen sein zu können, die wiederum in der Wildnis natürlich nicht überlebt hätte). Dennoch muss man aber beachten, das es sich bei „Tarzan“ in erster Linie um einen Kinderfilm handelt, der eine gewisse Länge nicht überschreiten darf. Am wichtigsten ist doch, dass die Geschichte trotz ihrer Kürze nichts an ihrer Romantik verliert.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich „Tarzan“ auf eine Stufe mit anderen Disney-Klassikern wie „Die Schöne und das Biest“ und „Der König der Löwen“ stellen lässt. Sicherlich mag auch „Tarzan“ einigen Kritikern als „zu politisch korrekt“, „zu moralisch einwandfrei“, „zu platt und zu simpel“ erscheinen; man muss dabei aber beachten, dass „Tarzan“ zuallererst ein Kinderfilm ist, der seinen Zauber nicht daraus gewinnt, dass er besonders vielschichtig oder aber gesellschaftskritisch ist.
Was man erkennen kann, ist, dass „Tarzan“ einfach liebevoll und aufwändig gemacht ist, eine für Kinder verständliche Botschaft enthält und von mitreißender Musik und romantischem Zauber getragen wird.