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von Richard Stanley




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Haus der 1000 Leichen

Haus der 1000 Leichen

Ein Film von Rob Zombie

Durch die postmoderne Zersplitterung ganzheitlicher Werte bleibt nur noch ein bunter Scherbenhaufen von konkurrierenden Lebensmodellen. Nichts ist wahr, alles ist erlaubt. Eine unüberschaubar komplexe Welt voller Widersprüche, die durch ein Bombardement medialer Sinnbilder aufgefüllt wird. Realität und Fiktion verbinden sich in der entleerten Informationsgesellschaft zu einer undurchsichtigen Masse. Der Mensch hat sich aufgelöst. Das Leben wird zum Filmzitat. Und die Postmoderne ist am Ende. Gott ist tot. Das Kino ist tot. Und wir haben beide getötet. Der Zustand heisst: Apokalypse Now. Willkommen im Haus der 1000 Leichen.

„Indem das Kino alle Dinge aus ihrem Chaos heraushebt, bevor es sie wieder ins Chaos der Seele eintaucht, erzeugt es in dieser große Wellen.“ Michel Dard

Einen Tag vor Halloween befinden sich zwei befreundete Pärchen noch auf einer Reise durch Amerika, um nach ausgefallenen Attraktionen entlang des Highways zu suchen und diese in einem Buch zu veröffentlichen. Zufälligerweise landen sie bei Captain Spauldings „Museum of Monsters and Madmen“, wo sie von dem Psychopathen Dr. Satan erfahren, der einst nicht weit entfernt erhängt wurde. Neugierig begeben sie sich auf die Suche nach diesem historischen Ort und nehmen auf dem Weg dorthin eine hübsche blonde Anhalterin mit, als plötzlich jemand in ihren Autoreifen schießt.
Das blonde Mädchen bietet ihre Hilfe an und schon bald befinden sich alle i
m Haus der Familie Firefly, deren einzelne Mitglieder äußerst verstörend wirken und im Obergeschoss bereits eine vermisste Cheerleader-Gruppe bestialisch misshandeln. Während der kaputte Autoreifen gewechselt wird, genießt man die Gastfreundlichkeit der Familie mit merklich gedrückter Stimmung. Nach dem Abendessen eskaliert plötzlich eine kleine Meinungsverschiedenheit zwischen beiden Parteien und ohne zu zögern treten die beiden Pärchen panisch den Fluchtweg an. Aber gegen dieses ungehobelte Verhalten hat die verschworene Familie entschieden etwas einzuwenden...
Am nächsten Tag erwachen die vier in einem krankhaft bodenlosen Albtraum: am Tag von Halloween beginnt für sie eine unvorstellbar grausame Folter in der Gefangenschaft der sichtlich amüsierten Familie, was die ersten bald qualvoll mit dem Leben bezahlen müssen. Ein zarter Hoffnungsschimmer wächst, als ein umsorgter Vater die örtliche Polizei einschaltet. Doch während diese ermittelt, dürfen die geschundenen Überlebenden mit dem scheinbar noch sehr lebendigen Dr. Satan Bekanntschaft machen...

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Selten dürfte ein Horrorfilm in den letzten Jahren solch kontroverse Meinungen hervorgerufen haben, wie Rob Zombies Debütfilm aus dem Jahre 2002. Während das vieldiskutierte Werk schnell eine begeisterte Fangemeinde etablierte und auch von der modernen Filmwissenschaft anerkennend aufgenommen wurde, zerrissen ihn einige Kritiker als perverses Ekelpaket eines hoffnungslos unbegabten Regisseurs. Selbst Verleiher Universal wollte mit dem fertigen Film nichts mehr zu tun haben, und nachdem sich auch bald MGM verabschiedete, landete der Streifen bei dem kleinen Label Lions Gate Films. Dort ermöglichte man ihm drei Jahre später auch das Sequel The Devil`s Rejects. Dass sich Rob Zombie durch seine zwei Schocker um die blutrünstige Familie Firefly im Horrorgenre alsbald einen wohlverdienten Namen machte, zeigte bereits die spätere Erlaubnis zum Remake des zeitlosen Klassikers Halloween.

Zombie zeigt uns die blutigen Muskeln und verschleimten Sehnen, die sich unter der kosmetisch hochpolierten Haut eines kultivierten Amerikas verstecken. Er zieht „Gods own country“ gleich zu Beginn des Films sprichwörtlich die Haut ab, wenn er einen Lastwagen mit der Aufschrift „God is dead“ durch das nächtliche Bild streifen lässt. Amerikas glänzende Identität wird auf den Kopf gestellt, bis dem irritierten Zuschauer das warme Blut unerträglich ins pulsierende Gehirn schießt. In Zombies verdrehter Welt tritt der psychophatische Dr. Satan an die heilige Stelle Gottes und bastelt tief unter der Erdoberfläche an seiner eigenen deformierten Menschenrasse, während er seinen grotesk verzerrten Sohn Otis als rebellischen Heiland auf die Welt loslässt. Otis: der bestialisch stinkende Abschaum Amerikas, auf dessem dreckigen T-Shirt die Landesflagge mit dem Schriftzug „burn this flag“ konterkariert wird. Ein abgemagerter Freak mit blasser Haut und fettigen Haaren. Ein Christus-Phantom. Ein Rasiermesser. Ein Erlöser. „Menschen kommen, Menschen gehen. Doch wieviele bleiben wirklich stehen, um sich den Unterleib der Bestie anzuschauen? Ich bring' sie zum stehen bleiben! Ich bring' sie zum hinschauen! Ich hoffe euch gefällt, was ihr da seht!“

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Damit wird der amerikanische Traum zum grenzenlosen Albtraum verfremdet. Das vormals heimische Familienhaus einer Bilderbuch-Erziehung wird zur unheimlichen Folterkammer der Familie Firefly. Bereits Sigmund Freud sprach in seinem Aufsatz „Das Unheimliche“ über die Angst vor dem stillschweigend Verdrängten: wenn sich scheinbar überwundene Überzeugungen aus früheren primitiven Auffassungen wieder ins zensierte Bewusstsein drängen, dann tritt ein peinlich ertapptes Gefühl der wohlvertrauten Un-Heimlichkeit ein. Oder wie Freud es selbst formuliert: „Dies Unheimliche ist nichts Neues oder Fremdes, sondern etwas dem Seelenleben von altersher vertrautes, das ihm nur durch den Prozeß der Verdrängung entfremdet worden ist.“
Zombies schockierendes Machwerk tritt nun deutlich in eine Tradition, die stark an die Filmtheorie Sigfried Kracauers erinnert: Die Errettung der physischen Realität. Kracauer war der Überzeugung, dass wir die tatsächlichen Greuel dieser Welt weder wirklich sehen können, noch aushalten würden, sie uns aber mittels der Kunst immer wieder ins Gedächtnis rufen müssen, um uns das wahre Angesicht der Dinge einzuprägen: „Erlösen wir das Grauenhafte aus seiner Unsichtbarkeit hinter den Schleiern von Panik und Phantasie. Diese Erfahrung ist befreiend insofern, als sie eines der mächtigsten Tabus beseitigt.“

„Wenn die Sinne einen Einfluss auf unser geistiges Leben ausüben, dann wird das Kino dadurch, dass es die Zahl und Qualität unserer Sinneswahrnehmungen vermehrt, zu einem mächtigen Ferment der Spiritualität.“ Charles Dekeukeleire

Zombies Inszenierungsmethode basiert auf dem klassisch postmodernen Verfahren, das man ja bereits von Jean-Luc Godard oder Quentin Tarantino kennt. Er zitiert die Filmgeschichte zusammen mit ihren traditionellen amerikanischen Identifikationsfiguren und stellt sie zu einer systematisch doppelcodierten Collage zusammen. Immer wieder durchbricht er damit die lineare Handlung mit clipartig eingeworfenen Filmausschnitten und eingestreuten Querverweisen: so existieren in seinem Filmkosmos das Texas Chainsaw Massacre, „Ilsa – She Wolf of the SS“ und „Der Nachtportier“ neben Mickey Mouse, Marylin Monroe und John Wayne. Dabei spielt Zombie mit mehreren Ebenen der Darstellung, wenn er z.B. die Szenen in verschiedenen Filmformaten auflöst. Das Dargestellte spiegelt sich permanent in sich selbst und erschafft sich als Film-im-Film-im-Film. Damit kreiert es sich zu einer hermetisch abgeriegelten Welt, die sich ständig selbst beäugt und kommentiert. Das Kino wird zum pulsierenden Zentrum der realen Welt. Außerhalb des Kinos scheint der Mensch nicht mehr zu existieren. Das Leben wird zum Halloween-Kostüm.

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Doch Zombie zelebriert die Filmgeschichte und all ihre etablierten Ikonografien nicht einfach nur. Er führt sie schlicht und ergreifend zu ihrem tragischen Ende. Er überwindet sie eindeutig, indem er ihre sinnstiftende Identität als leer gewordene Hüllen ausstellt. Die Postmoderne und all ihre schimmernde Vielfalt ist zu einem eingebildeten Kampf gegen vakuumverpackte Windmühlen geworden. Sie dreht sich als nicht enden wollendes Perpetuum mobile permanent um sich selbst. Sein streitbarer Film skizziert dagegen den ambitionierten Versuch einer brutalen Schocktherapie, die sich gegen die emotionale Taubheit einer vollkommen abgestumpften Herrscherkultur auflehnt. Ein missverstandener Aufschrei, der zum Hinschauen zwingt.

Dabei tritt der Film zur unerträglich brutalen Performativät der gezeigten Gewalt ganz klar in ironische Distanz. Zombie selbst erklärte, dass er sich in seiner Grundidee am tragischen Humor der Marx Brothers orientierte. Niemand, der den Film gesehen hat, wird jemals die grotesk komische Figur des Clowns Captain Spaulding vergessen, dem man durch seinen bitteren Humor selbst die grausamste Tat verzeiht. Und wenn die geschundenen Körper der noch lebenden Kids in flauschige Hasenkostüme mit lächerlichen Riesenohren gesteckt werden, bevor sie ihrem tödlichen Ende entgegenstreben, dann weiß man als Zuschauer nicht, ob man lachen oder heulen soll. Genau das macht in „Haus der 1000 Leichen“ den faszinierend morbiden Reiz am Geschehen aus: das zynische Zusammenspiel von ironischem Humor und nackter Angst. Und genau das macht dieses schocktherapeutische Filmtrauma zu einer unerträglich atemlosen Achterbahn der Gefühle. Man dreht sich solange im Kreis bis einen der Schwindel auf den verstaubten Boden der flimmernden Realität drückt. Man will schreien. Man will kotzen. Man will sich an irgendetwas klammern. Doch man liegt in einem leeren Raum.


Chill-Skills:

Kult-Faktor: 10 (einfach derbes Kino)
Psycho-Faktor: 9 (echt kranke Scheiße)
Splatter-Faktor: 10 (echt brutale Scheiße)
Aus-dem-Kino-gehen-Faktor: 7 (da ist „Irreversible“ definitv schlimmer)
Humor-Faktor: 5 (Captain Spaulding ist einfach eine unvergesslich komische Figur)

Eine Rezension von Martin S.
(26. Oktober 2009)
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Daten zum Film
Haus der 1000 Leichen USA 2002
(House of 1000 Corpses)
Regie Rob Zombie Drehbuch Rob Zombie
Produktion Andy Gould Kamera Tom Richmond
Darsteller Bill Moseley, Sid Haig, Sheri Moon Zombie, Karen Black
Länge 89 min FSK 18
Filmmusik Rob Zombie
Kommentare zu dieser Kritik
Samara sagte am 16.07.2011 um 06:27 Uhr

meine erste (nur gedachte ;)) rezension, als ich den film sah, war weitaus weniger ausführlich und auch nicht ganz so elegant formuliert: "boah, wat ne kranke scheiße, ey!" :D

in der tat muss man dieses werk erstmal sacken lassen, um sich klar darüber zu werden, ob man sich überhaupt tiefergehend damit auseinandersetzen will, oder ob man dies für pure zeitverschwendung hält.

wenn ich mir den makrokosmus um mich herum so anschaue, scheinen die fireflys ziemlich viel reale verwandtschaft zu haben. das beschränkt sich nicht bloß auf die usa (worauf der film aber eindeutig abzielt).

wenn man genauer überlegt, kommt man zu dem schluss, dass unsere reale welt (falls man davon überhaupt noch reden kann) eigentlich nicht viel "gesünder" ist als die der Fireflys. es ist nur so, dass rob zombie eben da bis zum erbrechen die kamera draufhält, was die medien schön übertünchen und manipulieren.

klar wurde genau diese thematik auch schon vielfach belletristisch und filmisch umgesetzt, aber rob zombie sprengt da wirklich alle grenzen.

den film zu bewerten, fällt mir sehr schwer, daher lasse ich es vorerst. ;)

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