von Asokan Nirmalarajah
Vielleicht nicht die schwerwiegendste, aber doch augenfälligste Fehlentscheidung von Ridley Scotts Krimi-Epos
American Gangster (2007) ist sein unverhältnismäßig großspuriger Titel, der unfreiwillig mehr verspricht als er zu halten vermag. Erwart man bei einem derartig einprägsamen Titel doch eine gehaltvolle und mitreißende Milieustudie, die sich souverän in die Tradition des amerikanischen Gangsterfilms einschreibt, und sie durch frische Impulse fortschreibt. Natürlich könnte man fragen, ob eine wirklich signifikante Bereicherung des oft totgesagten Genres nach ihrer einschneidenden Redefinition durch die fabelhafte TV-Serie
The Sopranos (HBO, 1999-2007) noch möglich ist. Aber selbst wenn man bekannte Motive und Themen wiedererwärmt, wie es vor kurzem Martin Scorsese mit seinem überschätzten, aber kompetenten Oscar-Triumph
The Departed (2006) zeigte, hat das Genre doch noch genug Potential zur soliden Unterhaltung und genug symbolische Kraft, um durch die Perspektive der kriminellen Subkultur des Gangsters die perfiden Mechanismen der Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu hinterfragen.
American Gangster ist jedoch keine Hommage an seine generischen Vorbilder, noch legt der Film wert darauf, dem Gangsterfilm originelle Aspekte abzugewinnen. Nein, Scotts behäbiges, langweil
iges, charakterloses und regelrecht überflüssiges Werk ist eines jener schillernden, aber hohlen Prestigefilme, die speziell für die leicht zu beeindruckende Oscar-Jury gemacht sind: ein angesehener Regisseur, der immer noch auf seinen ersten Regiepreis wartet, zwei bereits ausgezeichnete Schauspielgiganten in den Hauptrollen, und ein gewiefter, erfolgreicher Produzent, der klug genug war, die Rechte an einer wahren Geschichte für sich zu sichern, um dem Film damit die historisch-soziokulturelle Dichte und Relevanz zu garantieren. Doch
American Gangster ist einzige große Enttäuschung, voll verschwendeten Potentials.
Brian Grazer, der schon 2001 mit
A Beautiful Mind den Oscar für den besten Film des Jahres gewann, indem er die komplexe Lebensgeschichte des Mathematikers John Nash in ein harmloses, oberflächliches, verkitschtes Liebesmelodrama um einen Geisteskranken verpackte, hat sich nun dem Werdegang von Frank Lucas zugewandt, und erneut recht großzügig mit den Fakten hantiert, um die recht reizvolle Chronik seines Aufstiegs zum erfolgreichen Gangsterboß und seiner Verhaftung durch den Polizisten Richie Roberts zu erzählen. Und statt sich mit den Besonderheiten des Milieus und der Ära, oder gar mit der Psyche seiner zwei widersprüchlichen Antagonisten zu beschäftigen, beschränkt sich Ridley Scott lieber darauf, eine Fülle an Klischees und bekannten Mustern verschiedener Filme zusammenzunähen mit ein paar großspurigen, wenig authentischen Momenten für den dynamischen Werbetrailer und als etwaige Ausschnitte für den erhofften Oscar-Abend.
Doch Scott ist immer nur so gut wie sein Drehbuch. Konnte er zu Anfang seiner Karriere noch mittels atemberaubender Bilderwelten über narrative und charakterliche Mängel hinwegtäuschen, so mutet der pseudo-dokumentarische Pragmatismus seines jüngsten Films eher überholt an. Damit paßt er sich aber wunderbar der Handlung des Films an, die sich ohne jede Spur von Originalität von einem Copfilm-Klischee zum nächsten Gangsterfilm-Klischee hangelt. Im Wechsel zwischen der kriminellen Laufbahn von Frank Lucas (Denzel Washington) und der polizeilichen Karriere von Richie Roberts (Russell Crowe) wird hier die nicht eingehend erörterte, aber als konstitutiv angesehene materalistisch-kapitalistische Ausrichtung Amerikas von zwei konträren Seiten beleuchtet. Denn während der aufstrebende Kriminelle Lucas den Tod seines Chefs Bumpy Johnson zum Anlaß nimmt, um das Drogengeschäft an sich zu reißen, indem er pures Heroin direkt aus Vietnam importieren läßt, wird Roberts zum gemiedenen Außenseiter in der eigenen Behörde, weil er sich der allgegenwärtigen Korruption in den eigenen Reihen verweigert. Und während sich der ordnungswütige Geschäftsmann Lucas eine wohlhabende Familie aufbaut, wird dem notorischen Frauenhelden Roberts das Sorgerecht für seinen Sohn von seiner Frau streitig gemacht. Die Geldgier des Erfolgsmenschen wird folglich mit der Unbestechlichkeit des Verlierers kontrastiert. Und das war’s auch. Zu mehr Gehalt findet der Film trotz einer Fülle von Nebenfiguren und angedeuteten Nebenhandlungen nicht. Der eigentliche, ethnisch interessante Aspekt dieser Geschichte geht verloren in plakativen, pseudo-provokativen Bildern: eine schwarze Familie nimmt ein weißes, helles (Plantagen-)Haus für sich ein und diniert darin, während andere Schwarze dafür bezahlen, indem sie den Drogentod neben ihren heulenden Kindern in dunklen Räumen sterben.
American Gangster ist nämlich bestenfalls ein schales Potpourri aus Klassikern des Copfilms und Gangsterfilms: Charaktermerkmale und Handlungsmuster des Films hat man so schon oft gesehen. Nicht umsonst sieht Roberts’ Partner aus wie
Serpico (1973) und erinnert hier die Drogenpolizei an
The French Connection (1971). Ebenso evoziert die Familienbande um Lucas den
Paten (1972) und die Präsenz schwarzer Gangster in den spät-60er/früh-70er Jahre-Outfits an das hippe Blaxploitation-Genre. Nur sind das keine Intertexte, die Scotts Films bewußt herstellt, oder in einem Tarantino’schen Zitierverfahren erfrischend verarbeitet. Es zeigt uns nur aus welchem Fundus an Klischees sich die Macher hier bedienen, um eine Geschichte ohne jeglichen Spannungsmoment oder Substanz zu erzählen. Allein die Präsenz der wie gewohnt souverän auftretenden Ausnahmemimen Denzel Washington und Russell Crowe erweckt eine Aufmerksamkeit und suggeriert eine Tiefe, die nie ganz greifbar wird, angesichts eines schrecklich oberflächlichen, spärlich aufschlußreichen Drehbuchs von Steven Zaillian, der eine sensationelle Besetzung starker Mimen in blassen Rollen sträflich versauern läßt. Und der hier sonderbar zurückhaltende Bildervirtuose Scott darf erst in der packend aufgebauten und virtuos gefilmten Szene einer Polizeirazzia seine handwerkliche und dramaturgische Expertise unter Beweis stellen.
Diese starke Szene fällt aber in die letzten zwanzig Minuten des unnötig überlangen Films, und folgt damit mehr als zwei Stunden klischeehafter Milieu- und seichter Charakterstudie. Und die finale Konfrontation zwischen den charismatischen Hauptdarstellern Washington und Crowe, die interessanterweise schon in dem leidlich bekannten, albernen, aber im Vergleich unterhaltsamen Cyberthriller
Virtuosity (1995) um die Laufzeit stritten, gereicht schließlich nicht mal mehr zu einer Antiklimax, sondern nur zu einer weiteren banalen Szene, die nicht das Übel bei dem hier bedenklich glorifizierten Lucas verortet, sondern im amerikanischen System selbst, und somit bei dessen korrupter Polizeibehörde. Also darf sich Lucas, der vorher wahllos Menschen erschießt, seine Mama knuddelt oder sich wieder mal als Robin Hood der Nachbarschaft verkauft, zum Schluß gar als rechtschaffener Held rehabilitieren, der nach seiner Entlassung das Relikt einer verklärten Ära darstellen soll.
Als der einstige, nun obsolete „Production Code“, die Selbstzensurbehörde der Hollywood-Studios, die ersten bedeutenden Gangsterfilme –
The Public Enemy (1931),
Little Caesar (1931) und
Scarface (1931) – fälschlicherweise der zu wenig differenzierten Verherrlichung von exzessiver Gewalt und der Lobpreisung des bacchantischen Gangsterlebenswandels bezichtigte, hatte er wohl einen Film vor Augen wie ihn
American Gangster in seinem allzu simplifizierenden Oberflächenglanz und in seiner inhaltlichen Leere heute verkörpert.