Liebe Leser, stellen Sie sich doch bitte einmal Folgendes vor:
Sie erhalten eines Tages Besuch von einem mysteriösen, schick gekleideten Mann, der Ihnen eine hölzerne Box mit einem großen, roten Knopf darauf überreicht.
Er bietet Ihnen eine Millionen Dollar an, wenn Sie es fertig bringen, den Knopf zu betätigen – vorher setzt er Sie allerdings in Kenntnis, dass die Sache auch einen ethisch gar nicht einwandfreien Haken besitzt. Denn Sie erhalten nicht nur das Geld in bar, sondern sind außerdem auch verantwortlich für das Versterben irgendeines Menschen, den Sie nie zuvor in Ihrem Leben getroffen haben.
Was würden Sie also tun, wie würden Sie handeln?
Mit der zuvor genannten Situation sieht sich das junge Ehepaar Norma (Cameron Diaz, „
Verrückt nach Mary“) und Arthur Lewis (James Marsden, „
Superman Returns“) in Richard Kellys neuem Mystery-Thriller „The Box“ Ende der siebziger Jahre konfrontiert.
Die Beiden führen zusammen mit ihrem gemeinsamen Sohn Walter (Sam Oz Stone) ein unscheinbares aber glückliches Leben in einem dieser typischen, amerikanischen Vororte.
Während Norma einem Job als Highschool-Lehrerin nachgeht, wartet ihr Ehemann, der als Techniker für die NASA tätig ist, auf die Auswertung seiner Astronauten-Prüfung. Als Arthur schließlich die Mitteilung erhält, dass er aufgrund der Ergebnisse seines psychologischen Tests den Einsatz nicht antreten dürfe und sich die Rechnungen im Haus langsam türmen, gerät die finanzielle Lage der Familie immer akuter ins Wanken.
Handelt es sich nun also um eine Fügung des Schicksals, als plötzlich ein Fremder (Frank Langella, „
Frost/Nixon“), der sich als Arlington Steward vorstellt, vor Norma auf der Fußmatte steht, und ihr das unmoralische Geschäft mit der Box vorstellt?
Zunächst sitzt das Paar noch zögernd vor dem schlicht gestalteten Objekt und ist sich nicht sicher, ob es sich hier nicht einfach um einen besonders schlechten Scherz handelt. Nach einem kurzen Öffnen des Gehäuses stellt sich außerdem heraus, dass sich darunter kein raffinierter Mechanismus verbirgt – was kann also überhaupt passieren? Wie aus einem Reflex heraus, betätigt Norma trotz der bekannten Konsequenz schließlich den Knopf.
Und tatsächlich taucht kurz darauf der zwielichtige Steward auf. Er übergibt den Lewis‘ das Geld und reicht die Box weiter. An eine Person, „die die Beiden nicht kennen“…
Nach dem an den US-Kinokassen gefloppten und von Fans eher zwiespältig aufgenommenen, sperrigen Science-Fiction-Opus „
Southland Tales“ (2006) hat sich der einst für seinen zum Kultfilm avanchierten Erstling „
Donnie Darko“ (2001) gefeierte Regisseur Richard Kelly die Kurzgeschichte „Button, Button“ des „Ich bin Legende“-Autoren Richard Matheson, welche bereits in den Achtzigern zu einer „Twilight Zone“-Episode umgewandelt worden ist, als Vorlage zu seinem neuesten Streich „The Box“ vorgenommen.
Im Vergleich zu seinen Vorgängern hat das junge Talent diesmal eine fast schon konventionelle Gesellschafts-Parabel abgeliefert. Allerdings ist das Wort „fast“ im vorangegangenen Satz nicht nur verwendet worden, um mit diesem die Rezension mehr zu füllen, sondern soll schon darauf hinweisen, dass Kelly gerade in der zweiten Hälfte des Films über die moralischen Aspekte der Geschichte noch hinausgeht und sich mit den nun mehr häufenden, oft sehr skurrilen
Science-Fiction,
Mystery und
Horror-Elementen nicht unbedingt Freunde unter den „normalen Kinogängern“ machen wird. Da sich der Querdenker, wie bereits seine vorherigen Werke zeigen, beim Ausarbeiten eines neuen Stoffes nicht gerade am Massengeschmack orientiert, dürfte ihn dieser Umstand allerdings nicht sonderlich stören.
Trotz der übersinnlichen Versatzstücke, stellt die titelgebende Box in erster Linie ein sehr einfaches Instrument dar, welches die rücksichtslose und gierige Natur der Menschen entlarvt und an den verbotenen Apfel im Garten Eden als Symbol des Sündenfalls erinnert. Wie auch Adam und Eva wussten Arthur und Norma von der Konsequenz ihrer Tat und dennoch waren sie von der Versuchung – in diesem Fall: des schnellen Geldes – geblendet.
Dass die Box laut Steward eine unbekannte Person tötet, führt in dem Film zu weiteren interessanten Fragen: Denn wie gut kennen sich z.B. auch verheiratete Paare
wirklich – im Inneren? Könnte dann nicht ein Knopfdruck wohlmöglich sogar unwissentlich den Liebsten auslöschen? Und wenn die Box nach Gebrauch an eine andere, unbekannte Person weitergereicht wird – könnte es einen dann nicht wieder selbst erwischen? Wie reagiert der Nächste auf den hölzernen Kasten, wird er es wagen, auf den Knopf zu drücken? Wem kann man noch trauen, wenn man selbst Blut an den Fingern kleben hat?
Tatsächlich hätte man mit diesen Aspekten auch auf packende Weise den ganzen Film ausfüllen können, Anhänger von zwischenmenschlichen oder philosophischen Stoffen werden sich deshalb vermutlich über die folgende, „wissenschaftliche“ Orientierung der Geschichte ärgern. Nun tendiert Richard Kelly aber ohnehin gern zu Werken mit komplexen bis kryptischen Themen, die von vielen Zuschauern gerne als auf logischer Ebene unverständliche
„mind-fucks“ bezeichnet werden.
Stellenweise verhält sich deshalb „The Box“, der übrigens zuerst unter der Regie von Eli Roth entstehen sollte, wie der wilde Trip eines eigenwilligen Regisseurs durch eine vergangene Zeit in einer anderen Dimension. Alles ist erlaubt, solange das Grundgerüst relativ solide im bunten Ideen-Garten steht. Dass dabei einige Dinge eingeführt werden und letztendlich im leeren Raum stehenbleiben, kennt man ja bereits von „
Donnie Darko“ oder „
Southland Tales“. Vielleicht hat auch nur Kelly die Antworten auf einige ungeklärte Fragen parat, wer weiss?
Zumindest erklärt der von Oscar-Nominee Frank Langella souverän verkörperte Steward recht eindrucksvoll und sehr zynisch, warum als totbringendes Werkzeug gerade eine Box dient:
“Your home is a box. Your car is a box on wheels. You drive to work in it. You drive home in it. You sit in your home, staring into a box. It erodes your soul, while the box that is your body inevitably withers... then dies. Where upon it is placed in the ultimate box, to slowly decompose.”
Trotz mancher loser Ansätze macht „The Box“ – nicht zuletzt wegen der tollen Inszenierung, dem
70’s-Retro-Flair und dem ungewöhnlichen Soundtrack von Mitgliedern der Rockband
Arcade Fire sowie den soliden Schauspielerleistungen - Spass…zumindest, wenn man bereit ist, sich von der Ausgangssituation zu einer fantastischen Reise aufzumachen.
Wer allerdings schon mit den vorrangegangenen Projekten des innovativen Regisseurs seine Probleme hatte, wird sich wohl auch mit seinem aktuellen Output schwer tun. Fans können - und
sollten - dagegen bedenkenlos zugreifen!
Ganz grandios bitter und ungewohnt konsequent ist übrigens das Ende des Films ausgefallen – mehr soll an dieser Stelle allerdings nicht verraten werden…