Barbara Covett ist eine einsame und verhärmte alte Frau, die an einer englischen Schule unterrichtet und voll Bitterkeit und Pessimismus auf ihre Außenwelt blickt. Außer ihrer Katze hat sie niemanden, der ihrem deprimierenden Leben einen Sinn geben könnte. Seit geraumer Zeit schon hat sie sich mit ihrem sinnleeren und frustrierenden Leben abgefunden, als ihr die junge und attraktive Kunstlehrerin Sheba Hart, welche durch ihr dynamisches Auftreten sofort sämtliche Lehrer und Schüler für sich gewinnen kann, begegnet.
Barbara betrachtet die anziehende Frau zunächst mit Neid und Faszination, möchte die junge Familienmutter näher kennen lernen und macht erste Annäherungsversuche. Doch Sheba hütet ein Geheimnis: die hübsche Lehrerin hat eine leidenschaftliche sexuelle Affäre mit einem gut aussehenden und frühreifen Schüler, der gerade einmal 15 Lenze zählt. Dieses Verhältnis könnte Sheba Kopf und Kragen kosten und sie hinter Gitter bringen.
Barbara setzt Sheba nun unter großen Druck. Über die Drohung das unmoralische und illegale Geheimnis auszupacken möchte sie sich in ihrer Einsamkeit die Zuneigung und Freundschaft der hinreißenden Frau erzwingen. Infolgedessen entwickelt sich ein immer größeres Verhältnis emotionaler Abhängigkeit. Als Barbaras geliebte Katze stirbt, und Sheba, weil sie die Schulaufführung ihres am Down-Syndrom leidenden Sohnes besuchen will, nicht für die Trauernde da sein kann, sinnt die verbitterte alte Jungfer auf R
ache und bringt damit den Stein ins Rollen. Die Situation eskaliert!
Basierend auf dem 2003 erschienenen Roman Zoë Hellers „What Was She Thinking: Notes on a Scandal“, der zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Man Booker Prize für englische Literatur erhielt, erzählt die in London und Umgebung gedrehte Literaturverfilmung das tiefe Abhängigkeitsverhältnis und die Hassliebe zweier Frauen, die einander völlig ausgeliefert sind, und thematisiert damit die komplizierten und ambivalenten Verhältnisse, die für so viele zwischenmenschliche Beziehungen (welcher Form auch immer) kennzeichnend sind und unser aller Leben so schwer machen können.
Es ist nicht nur Sheba, die auf Barbaras Gunst angewiesen ist, Barbara selbst ist beinahe noch abhängiger von der Beziehung zu der Kunstlehrerin, als diese von ihr.
Judi Dench, die für diese Rolle eine Oscar Nominierung in der Kategorie „Beste Hauptdarstellerin“ erhielt, weiß die tragische Filmfigur überzeugend zu mimen. Wie Sheba wird auch der Zuseher Barbara sowohl für ihre boshafte Berechnung und Manipulation hassen, als auch für ihre Angst vor dem Verlassen-Sein und der sozialen Isolation bedauern, ja sogar Verständnis für manche ihrer Verhaltensweisen aufbringen.
Denn Barbara, die Sheba in ihrem Tagebuch verachtend als ein „Es“ beschreibt und sie dennoch liebt, ist kein schlechter Mensch. Vielmehr haben sich ihre hohen Lebenserwartungen nicht erfüllt und sie neigt dazu ihre Mitmenschen vollkommen und ganz besitzen und vereinnahmen zu wollen, weshalb sie keine Freunde hat und völlig auf sich alleingestellt dahinvegetiert. Obwohl in einer Szene - Barbara möchte Sheba sinnlich streicheln und blickt ihr in den Ausschnitt - unterdrückte homoerotische Neigungen angedeutet werden, steckt der alte, kurz vor der Pensionierung stehende Schülerschreck vielmehr im tiefen Dilemma des krampfhaften Bedürfnisses nach emotionaler Nähe und möchte um jeden Preis geliebt werden. In ihrem Wahn bildet Barbara sich sogar ein, dass alles zu Shebas Bestem geschehe, und dass sie die junge Frau von ihrem schrecklichen Ehemann und ihren widerlichen Kindern befreien und retten müsse.
Cate Blanchett, als beste Nebendarstellerin ebenfalls für den Oscar vorgeschlagen, spielt wieder einmal überragend. Mit viel Talent und Einfühlvermögen stellt die Aktrice die sensible Sheba dar und lässt uns mit ihr in dieser teuflischen Situation mitfühlen und mitleiden. Denn es ist für den Zuseher nachvollziehbar, dass sie mit dem adretten und schmeichelhaften Minderjährigen, gespielt von Newcomer Andrew Simpson, ein Verhältnis eingeht, welches sie so schnell nicht mehr lösen kann und das sie zerstören wird.
Der Theaterregisseurs Richard Eyre, der in „Iris“ (2001) und „Stage Beauty“ (2004) bereits seine filmischen Qualitäten unter Beweis stellen konnte, erweist sich in dieser britischen Filmproduktion als eine gute Wahl. Zusammen mit Drehbuchautor Patrick Marber macht er dem Publikum ohne zu moralisieren und über die Akteure zu urteilen Handlungsweisen, Konflikte und Fehlverhalten der Charaktere glaubhaft. „Tagebuch eines Skandals“ wirkt trotz seines schwarzen britischen Humors und Barbaras zynisch-bösen Kommentaren und Tagebuchauszügen, die das Kinopublikum immer wieder zum schmunzeln bringen, authentisch, die Charaktere nie überzeichnet und die Dramaturgie sehr realitätsnah.
Die hochwertige Literaturverfilmung ist ein satirisches Thriller-Drama, das seine vier Oscarnominierungen, neben Haupt- und Nebendarstellerin auch für das beste adaptierte Drehbuch und die Filmmusik von Philp Glass’, der u.a. durch seine Minimal Music und zahlreiche Scores zu Filmen wie „Candymans Fluch“ (1992), „Kundun“ (1998), „The Hours“ (2002) und „Das geheime Fenster“(2004) zu einem der großen postmodernen Komponisten unserer Zeit zählt, redlich verdient.