Cast und Crew bersten in gelben Lettern über die Leinwand, in Ennio Morricones Streichern dräut die sich anbandelnde Gefahr, während eine Jesusfigur, die den Schnee wie Lasten auf den Schultern trägt, im ewigen Weiß langsam zu verschwinden droht. Und mittendrin eine Kutsche, die sich mühevoll ihren Weg durch die Schneemassen zu bahnen versucht, bevor sie wirklich die Muskeln spielen lassen, die einschüchternden Witterungsverhältnisse, die das zerstreute Amerika des 19. Jahrhundert hier heimgesucht haben. Schon die ersten Minuten von „The Hateful Eight“ sind beeindruckend, weil Quentin Tarantino („
Django Unchained“) es wieder einmal verstanden hat, wie signifikant es sein kann, Bilder und Symbole für sich allein sprechen zu lassen, um ein Gefühl präzise zu vermitteln. Tatsächlich, und darin liegt ein Großteil des Genies, mit dem Quentin Tarantino „The Hateful Eight“ angegangen ist, werden die süffisant ausgekosteten Dialogsequenzen der visuellen Ebene im weiteren Verlauf der Handlung keinesfalls den Mund verbieten, sie gehen vielmehr eine vor Cinephilie gar brodelnde Allianz ein.
„The Hateful Eight“ nimmt den Zuschauer mit in das Herz eines Landes, welches nach wie vor mit den Verheerungen des Sezessionskrieges zu ringen hat. Und das ist der Punkt, an dem man dem Glauben anheim fallen könnte, Quentin Tarantino hätte erneut eine historische Projektionsfläche gewäh
lt, um seinen Gewaltphantasien ein stattliches Ablassventil zu überreichen. So viel sei gesagt: Mit Sicherheit zählt „The Hateful Eight“ zu den brutalsten (rein vom viszeralen Einschlag) Filmen, die Quentin Tarantino bisher unter seine Ägide genommen. Gerade im letzten Drittel werden Gliedmaßen vom Torso gehackt, Blut schwallartig aus den Kehlen befördert und auch Köpfe dürfen ein ums andere Mal orgiastisch explodieren, damit der rote Lebenssaft die Wände endgültig neu bestrichen hat. Die Tarantinoesken Exzesse sind durchaus vorhanden, allerdings erleben wir in „The Hateful Eight“ kein infantiles Spielkind, welches sich an sinnlosen Kaskaden der Brutalität ergötzt; keinen geifernden Voyeur, der sich zum Ziel gesetzt hat, möglichst viele Menschen möglichst garstig ins Jenseits zu befördern. Tarantino operiert hier auf politischer Ebene.
Natürlich baut der Mann bewusst auf offenkundig Dissonanzen in der Tonalität, in der Essenz, neben all seinen spielerischen Zugeständnissen an Genre-Eigenheiten, ist „The Hateful Eight“ ein Film, der das Post-Civil-War-America beschreibt und damit einen Kampf der Ideale in einer urigen Hütte austragen lässt, der zwar zwangsläufig in einem Blutbaden enden muss, aber keinesfalls einem reservierten Nihilismus einwilligt, sondern - und jetzt wird es für Tarantino Verhältnisse ungewöhnlich sanftmütig – an die Hoffnung appelliert. In dieser Hütte auf einem Gebirgspass, in der acht verschiedene Persönlichkeiten nach und nach aufeinandertreffen, um einem Schneesturm, der sich bereits über der Bergkette im Umkreis in Formation gebracht hat, zu entwischen, findet sich der Norden als auch der Süden wieder. Ein Panoptikum der Selbstdarsteller, möchte man meinen, dieses achtköpfige Gespann bildet eine grelle Ansammlung aus Falschspielern, Scharlatanen und Nutznießern. Allerdings vollbringt Quentin Tarantino es, die Beteiligten in diesem Kammerspiel nicht zu bloßen, zweckdienlichen Karikaturen verkommen zu lassen.
Er geht tiefer, jedenfalls in Bezug auf Major Marquis Warren (Samuel L. Jackson) und Chris Mannix (Walton Goggins), die zu Beginn noch ideologische Konflikte auszutragen haben, nach und nach aber zu einer Gemeinschaft heranwachsen, die nicht nur für den Moment Freundschaft möglich macht, sondern die Nord- und Südparteien auch für die Zukunft in der Herstellung respektive Erhaltung von Gerechtigkeit (gerade, weil sich Justitia als flüchtige Schattengestalt präsentiert) zusammenschweißt. Wie Quentin Tarantino diesen Hoffnungsschimmer herausstellt, ist natürlich von einem charakteristischen Zynismus begleitet, doch es steht außer Zweifel, dass Tarantino weit darüber hinaus gegangen ist, mit Figuren aufzuwarten, die einzig über das schiere Schlagwortbedienen funktionalisiert wurden. Man hat sich also nach „Django Unchainend“ durchaus weiterentwickelt und verstanden, welch immensen Wert man einer dreidimensionalen Prägnanz innerhalb der Charakterbeschreibung beimisst, gerade bei einem solch komprimierten Setting. Da passt es natürlich auch wieder einmal wunderbar ins Bild, dass sich das gesamte Ensemble herrlich spielfreudig (ein Samuel L. Jackson sogar awardwürdig) präsentiert.
Neben seiner Lust am Parlieren, die Tarantinos rhetorische Finesse überdeutlich zur Geltung bringt, birgt „The Hateful Eight“ auch ein herrliches Vexierspiel um Realität und Fiktion in sich, wenn er nicht nur den geschichtlichen Kontext nutzt, um eine fiktive Geschichte zu erzählen, sondern auch mit Charakteren aufwartet, die sich ihrer verschmitzten Janusköpfigkeit schlicht nicht verschließen können und damit den Diskurs über Wahrheit und Lüge vom Subtext geradewegs in den Primärtext transferieren. Es ist die erneute Meditation über die mannigfachen Möglichkeiten der Narration und die einzelnen Plateaus innerhalb der Erzählmethodik, die allesamt einen neuen Blickwinkel offenbaren. Ohne Frage, es macht Spaß, diesem Film zu folgen, weil er nicht nur die üblichen Tarantino-Manierismen voller dialogisch-ästhetischem Schwung auf die Leinwand knallt, sondern auch, weil er den Zuschauer durch sein formidables Handwerk ohne Anlaufschwierigkeit in die Leinwand zieht. Weit über 20 Jahre dürfen wir nun Zeuge davon werden, wir sich Tarantino quer durch die Popkultur fräst und paraphrasiert, und sein Hunger scheint noch lange nicht gestillt. Zum Glück, möchte man angesichts „The Hateful Eight“ meinen.
Cover & Szenenbilder: © 2015 The Weinstein Company