Aus welchem Grund ist der freundliche Außerirdische aus Steven Spielbergs „E.T.“ braun?
Warum wird in Oliver Stones „
JFK - Tatort Dallas“ der Präsident von einem Unbekannten erschossen?
Und warum zum Geier waschen sich die Protagonisten in Tobe Hoopers „
Blutgericht in Texas“ nie zwischendurch mal die Hände, wie dies alle Menschen tun würden?
Die universelle Antwort auf all diese Fragen lautet: Es gibt keinen Grund.
Diese Feststellung stammt übrigens von dem Sheriff Chad (Stephen Spinella, „Milk“), der zu Beginn des neuen Spielfilms von Quentin „Mr. Oizo“ Dupieux aus dem Kofferraum eines Wagens steigt und sich mit einem Monolog über die allgegenwärtige Bedeutungslosigkeit direkt an das Publikum wendet.
Das folgende Werk sei eine Hommage. Eine Hommage an die Bedeutungslosigkeit der Dinge und gleichzeitig die Zelebrierung vom
Style.
Nun geht die Geschichte los (wer von „Rubber“ fälschlicherweise so etwas wie einen Horrorschocker mit überraschender Story erwartet, sollte aus
Spoiler-Gründen jetzt nicht mehr weiterlesen) und die Zuschauer, eine kleinere Population von Menschen mitten in der Wüste, bekommen von einem mysteriösen Buchhalter (Jack Plotnick, „Meine Frau, ihre Schwiegereltern und ich“) Ferngläser gereicht, um dieser folgen zu können.
„Wird der Film denn in Farbe sein?“, fragt eine Anwesende, die ganz offensichtlich etwas Wesentliches nicht mitbekommen hat.
Und während die angespannten Betrachter langsam ungeduldig auf etwas Spektakuläres warten und gelangweilt rummeckern, geschieht es:
Ein mit Sand bedeckter Autoreifen (Robert) regt sich und schafft es schließlich, nach einigen Anlaufschwierigkeiten, sich seinen Weg Richtung Strasse zu bahnen.
Dabei bemerkt dieser, dass er offensichtlich über besondere Fähigkeiten verfügt und Gegenstände sowie Lebewesen zum Platzen bringen kann.
Endlich an der Strasse angekommen, verliebt er sich Hals über Kopf in die hübsche, vorbeifahrende Sheila (Roxane Mesquida, „Kaboom“) und hinterlässt bei seinem Vorhaben, das Herz seiner Angebeteten zu erlangen, eine Spur von Tod und Verwüstung.
Während bei einem Motel ein Junge (Remy Thorne) den Reifen als Mörder eines Zimmermädchens identifiziert hat, versucht der ermittelnde Chad, dem ungeheuerlichen Blödsinn ein für alle mal ein Ende zu bereiten:
Er schickt den Buchhalter los, um den Zuschauern einen buchstäblichen
Turkey unterzujubeln.
Der Plan hätte auch fast funktioniert, wenn da nicht noch der alte, an einen Rollstuhl gefesselte, Film-Veteran (Wings Hauser, „Insider“) wäre, der sich von dem geschickten Manöver nicht ins Bockshorn hat jagen lassen.
„Tiere!“, sagt dieser noch, als sich die Meute gierig die vergiftete Gabe schmecken lässt und er ab jetzt allein hartnäckig das Geschehen beobachtet.
Ihm gefällt der offensichtlich wenig massentaugliche Film im Grunde nämlich.
Als Sheriff Chad schon jubelnd die verdutzten, übrigen Protagonisten heim schicken will und sich als Beweis, dass dies ja alles nur ein Film sei, von einigen Pistolenkugeln durchsieben lässt, teilt ihm der hektische Buchhalter mit, dass man doch noch nicht das Ende einläuten könne – es gibt ja noch einen Zuschauer.
Nachdem ein Blick auf eine Notiz preisgibt, dass mit dem Jungen doch nicht die Fantasie durchgegangen ist, sondern sich tatsächlich die ungeheuerlich unsinnige Idee bewahrheitet, ein Autoreifen sei der Täter, werden spannungssteigernde Maßnahmen ergriffen – der Reifen soll durch eine Gummipuppe, welche mit Sprengstoff und einem Empfänger bestückt ist, durch den die herbeigezogene Sheila spricht, in eine Falle gelockt werden.
Doch der Nervenkitzel zündet nicht, weshalb sich der übriggebliebene Zuschauer in das Szenario begibt, um kritisch anzumerken, dass es langsam doch an der Zeit für den
großen Bang sei.
Was dann im allerletzten Moment geschieht, damit hat selbst dieser nicht gerechnet.
Aber die Traumfabrik Hollywood darf bereits aus Angst vor einem sich anbahnenden Mainstream-Massaker mit den Knien zittern…
Die Leser werden es bereits gemerkt haben:
Der vorherige Text ist eine Inhaltsangabe und keine Rezension. Und das aus gutem Grund – Quentin Dupieux‘ Film funktioniert auf einer Metaebene und kommentiert sich durch seine „Zuschauer“ und die genervten Darsteller ohnehin permanent selbst.
„Rubber“ ist – wie schon durch seinen eigenen Monolog verdeutlicht – ein Angriff auf all diese sich selbst so wichtig nehmenden, riesigen Film-Produktionen.
Ein Werk voll herrlich-sinnloser und umsetzungstechnisch grandioser Einfälle (Multitalent Dupieux führte Regie, schrieb das Drehbuch, fungierte an der Kamera, schnitt das Material und komponierte zusammen mit Gaspard Augé die Musik), auf dessen Botschaft man sich entweder einlassen kann oder sich ständig fragt, was man sich da gerade für einen schrägen Müll anschaut.
Der Rezensent vergibt abschließend begeisterte fünf Sterne. Warum? Fernglas geschnappt und selbst sehen!