LIEBLING, ICH HABE DEN HELDEN GESCHRUMPFT!
Das Ende ist nah. Doch bevor hier irgendwelche voreiligen Weltuntergangsassoziationen gezogen werden, sei darauf hingewiesen, dass natürlich das Ende von Phase 2 des
Marvel Cinematic Universe gemeint ist, das 2012 mit „
Iron Man 3“ begann und zuletzt für die
Avengers das „
Age of Ultron“ [2015] ausrief. Während Letzteres die hohen Erwartungen, die auf ihm ruhten, nicht gänzlich erfüllen konnte und stattdessen zu einer dann zwar bombastischen, aber auch allmählich ermüdenden Materialschlacht geriet, liegt es ironischerweise nun ausgerechnet an
Marvels kleinstem Superhelden, wahre Größe zu beweisen. Klingt unmöglich? Ja, ist aber unterm Strich die gelungenste und lustigste
Marvel-Comicverfilmung seit Jon Favreaus „
Iron Man“ [2007] und James Gunns fulminantem „
Guardians of the Galaxy“ [2014].
War es ein Rauswurf, oder ging dem plötzlichen Ausscheiden des eigentlich als Regisseur vorgesehenen
Edgar Wright doch etwas Anderes voraus? Die Spekulationen nahmen und nehmen nicht ab. Fakt ist jedoch: Der Mann hinter der schrullig-kauzigen Zomödie „
Shaun of the Dead“ [2004] verließ sein Herzensprojekt
„ANT-MAN“ noch vor der Fertigstellung, so dass „Girls United“-Regisseur
Peyton Reed kurzfristig einspringen musste, um die Multimillionen-Dollar-Produktion zu retten (Wright tauchte in der Folge nur noch als Story-Lieferant und Co-Drehbuchautor in den Credits auf). Ob sich dieser Wechsel auf dem Regiestuhl letzten Endes bemerkbar machen würde? Die Fans des verschrobenen Wright-Humors gerieten jedenfalls in helle Aufregung, sahen sie doch mit einem Mal alle Chancen auf einen unterhaltsamen
Marvel-Blockbuster schwinden. Und auch nach Sichtung des fertigen Films können wir nur erahnen, wie viele seiner Ideen nun wirklich hinübergerettet werden konnten. Klar ist, dass trotz der Querelen und etwaigen Streitigkeiten im Hintergrund ein so unterhaltsamer wie ehrlicher Film entstanden ist, der keinen Hehl aus seiner trashigen Prämisse macht, diese im Gegenteil selbstironisch auf die Schippe nimmt und nebenbei noch beweist, dass man manches Projekt nicht schon im Vorfeld zum Scheitern verurteilen sollte. Denn
„ANT-MAN“ ist ohne Zweifel der beste Ameisen-Heist-Film, der bisher gedreht wurde, und wahrscheinlich der kleinste große Blockbuster der jüngsten Zeit.
Dies ist vielfältigen Gründen geschuldet. Zunächst einmal fühlt sich der Film nach den zuletzt vermehrt im Kino auftauchenden CGI-Materialschlachten fast schon wie eine Rückbesinnung auf alte Tugenden an, wo eine gute Geschichte noch weitaus wichtiger als tösendes Überwältigungs-Spektakel war. In
„ANT-MAN“ wird nämlich endlich einmal keine Stadt mehr in tricktechnischer Perfektion dem Erdboden gleichgemacht oder gleich eine komplette Großstadt vom Himmel fallengelassen, um die Erde zurück in die Steinzeit zu versetzen – Peyton Reeds amüsante Diebestour backt im besten Sinne des Wortes kleinere Brötchen und macht sich sichtlich einen Spaß daraus, immer wieder in ironischer Weise auf seine(n) direkten, bombastifizierten Vorgänger anzuspielen (
„I think we should just call the Avengers!“) – letztendlich zieht er dann doch sein eigenes irres Ding durch. Denn das nach den Geschehnissen in „
Captain America 2“ [2014] quasi unumgängliche neue
Avengers-Hauptquartier ist hier nicht viel mehr als ein Nebenschauplatz, wenngleich auch dieser den wenig rühmlichen Gastauftritt eines Neu-
Avengers beherbergt –
„Do not tell Cap!“.
„ANT-MAN“ kann als temporeiche Superheld-im-Ameisenkostüm-Heist-Action-Komödie, die zufällig im
Marvel-Universum angesiedelt ist, somit ganz wunderbar für sich selbst stehen. Und auch wenn gen Ende hin schon allzu überdeutlich die Brücke zu einer weiteren Helden-Zusammenkunft geschlagen wird (im Abspann warten übrigens gleich zwei zusätzliche Szenen auf Sitzfleisch beweisende Kinogänger), so ist dies zunächst nur der Film des charismatischen Ameisenmannes, der im großen Stil ganz klein rauskommt.
Es ist natürlich zunächst verwunderlich, nach den regelrechten CGI-Orgien der letzten Zeit nun einen Film dieser Größenlage abzuliefern, noch dazu als Abschluss einer an Kollateralschäden sicherlich nicht armen Phase 2 des
MCU. Doch wer in Biologie aufgepasst hat, weiß ja, dass die unscheinbaren Ameisen im Verhältnis zu ihrer Größe bekanntlich schiere Kraftprotze sind, weshalb es nicht von ungefähr kommt, dass dieser Blockbuster im Schrumpfmodus gerade während Selbigem gehörig aufzutrumpfen weiß. Wer also erstmal genug hat von Explosionen und einstürzenden Bauten, von sich überschlagenden Autos und abstürzenden Ufos, der darf sich nunmehr an den womöglich irrsten Actionsequenzen in diesem Jahr sattsehen. Hier verwandelt sich ein herkömmliches Wannenbad für den geschrumpften Helden plötzlich in eine Wildwasser-Fahrt, und der Plattenteller eines DJs wird zur unfreiwilligen Surfunterlage. Hinzu kommen hunderte Ameisen, die bei einem Einbruch helfen, als würden sie den ganzen Tag nichts anderes tun, eine rasante Verfolgungsjagd auf einer Spielzeugeisenbahn, und, und, und. Die Liste ließe sich noch beliebig verlängern, und doch würde sie wahrscheinlich nicht alle optisch perfekt in Szene getricksten Sequenzen adäquat erfassen:
„ANT-MAN“ ist trotz oder gerade aufgrund seiner überschaubaren Größe und dem damit einhergehenden Spielraum für die Tricktechniker, die wirklich überraschend-pfiffige Bilder kreieren, ein absolutes Muss, das auf einer möglichst großen Leinwand bewundert werden sollte (gern auch in 3D, da die visuell raffinierte Ameisenperspektive einen nicht zu leugnenden Mehrwert bietet).
Neben der technischen Finesse, die der Film zweifellos auffährt, wird auch auf menschlicher Seite Überzeugendes geboten. Der 46-jährige
Paul Rudd als geläuterter Dieb und nun Superheld im Dienste des Guten verleiht dem urig kostümierten Charakter auch abseits der Action-Szenen ein Profil, das über das übliche „Erst schlecht, nun gut“-Muster hinausgeht. Sein
Ant-Man ist in seinem Gebaren weder so selbstverliebt-abgehoben wie Lebemann Tony Stark a.k.a.
Iron-Man, noch verfügt er über eine besondere Physis wie Hammer-Gott
Thor oder das geglückte Kriegs-Experiment
Captain America – im Grunde ist Scott Lang ein stinknormaler Familienvater mit besonderen Problemen, die er nun, da er im wahrsten Sinne des Wortes ein anderer Mensch geworden ist, aus der Welt zu schaffen versucht. Doch keine Maske oder Superkraft ist es, die ihn schließlich verändert, sondern die Liebe zu seiner Tochter, die in ihm seit jeher einen waschechten Helden gesehen kann. Kindermund tut Wahrheit kund. So wird der zwischen unserer freundlichen Ameise aus der Nachbarschaft und dem Bossgegner
Yellowjacket stattfindende Endkampf, welcher genüsslich mit den unterschiedlichen Größenverhältnissen kokettiert, auch gleich vor den Augen der Kleinen im heimischen Privatdomizil ausgetragen und dem bekannten Zank im Kinderzimmer, der sich hier am Ende irgendwo zwischen kleinformatiger Bombast-Action und psychedelischer Lebenserfahrung mit Botschaft verortet, eine gänzlich neue Bedeutung gegeben. Da kann dann selbst ein Hochkaräter wie der großartige
Michael Douglas als Scotts Mentor und Ur-
Ant-Man nur noch baff staunen.
„ANT-MAN“ hat schlichtweg das, was vielen Comic-Verfilmungen in letzter Zeit fehlt: Herz. Schon die zuerst belächelten
Guardians of the Galaxy zeigten zuletzt, dass es keine bedeutungsschwangeren Superhelden-Dramen mit vermeintlichem Tiefgang braucht, um die Massen zu begeistern. Im Gegenteil sind Themen wie Liebe und Freundschaft heutzutage weitaus wichtiger als kalt-emotionslose Leinwandspektakel, die sich mit jedem neuen Teil noch übertreffen müssen. Dass dieses Unterfangen nämlich irgendwann einmal das Ende der Fahnenstange erreichen wird, steht außer Frage. Somit ist es umso schöner, dass aus demselben Hause, das teure Comic-Verfilmungen im Grunde erst salonfähig gemacht hat, auch gleich die Rückbesinnung auf das geliefert wird, was wirklich im Leben zählt: die kleinen Dinge, die aus Ameisensicht teils überlebensgroß erscheinen können. Und plötzlich sind scheinbare Unzulänglichkeiten wie ein etwas blasser Bösewicht und die ein oder andere Drehbuchschwäche mit einem Mal gar nicht mehr sonderlich bedeutend...
Fazit: Klein, aber oho:
„ANT-MAN“ ist groß- respektive
kleinartiges Kinovergnügen, das trotz seiner trashigen Prämisse bestens zu unterhalten weiß.
Cover & Szenenbilder: © Marvel 2014, Photo Credit: Zade Rosenthal (Bilder 1-3) / © Marvel 2015, Photo Credit: Film Frame (Bilder 4-6)