Warum "Master and Commander" in den Kinos ein Flop war und sich erst auf DVD langsam erholte, bleibt beim Ansehen ein Rätsel. Ist er doch die Quintessenz von epischem Kino. Selbst im Fernseher wirkt er mächtig, wie muss das in Groß ausgesehen haben?
Natürlich sind knappe 150 Millionen Produktionskosten nicht so schnell eingespielt, aber mit Peter Weir am Regiestuhl und Russell Crowe als Star, die uns eine große, klassische Abenteuergeschichte erzählen, noch dazu beruhend auf einer sehr erfolgreichen Romanserie? Vielleicht war es dann doch der Fokus auf Zeitdarstellung und Charaktere, der die Leute 2003 lieber in
Matrix Reloaded gehen ließ.
Erzählt wird die Geschichte des englischen Kriegsschiffs "Surprise". Im Jahre 1805 hat Napoleon Europa überrannt und schickt sich an den Krieg aufs Meer und damit in die Kolonien zu tragen. Nur England stellt sich dem kleinen Korporal noch entgegen. Die Surprise schippert gerade vor Brasilien und hat den Auftrag, das ungleich größere und stärkere französische Schiff "Acheron" abzufangen und somit zu verhindern, dass die Franzosen beginnen einen Weltkrieg zu führen.
Wir sehen also den Krieg gegen Napoleon reduziert auf zwei Schiffe, oder besser, auf ein Schiff. Denn bis auf den Showdown und ein paar Shots in der Mitte des Films verlassen wir nie die Surprise. Und auch der Kampf an sich ist Weir nicht so wichtig, es geht ihm um die Menschen in dieser Situation, "eingesperrt auf einem hölzernen Gefängnis", weit weg von zuhause, dem Wetter ausgeliefert und gezwungen, Europa am Kap Horn zu verteidigen.
Wir sehen einen überforderten, jungen Leutnant, der sich als Opfer des Lagerkollers für die Mannschaft opfert und an dem sich erstmals das wiederkehrende Thema von Autorität und Führung entzündet. Wir sehen auch, wie damals üblich, 13-jährige Offiziersanwärter, die Matrosen, die ihre Väter sein könnten, im Kampf befehligen und dabei selbst den Arm verlieren. Der Film lässt sich außerdem viel Zeit, um uns das Schiff zu zeigen und verzichtet dabei völlig auf Computereffekte. Alle Requisiten sind echt, die Surprise selbst wurde komplett nachgebaut. Es sind wie immer diese Details, die das Ganze echter wirken lassen und den Zuschauer umso mehr in die Geschichte hinein ziehen.
Zwei klaustrophobische, hektische und unübersichtliche (und wohl sehr realistische) Kampfsequenzen, zu Beginn und am Ende, sowie eine beeindruckende Verfolgungsjagd im Wirbelsturm in der Mitte stehen in krassem Gegensatz zu den sonst weiten und ruhigen Shots, die uns die Weite des Meers zeigen, in der Freiheit und Schönheit nicht weit entfernt sind von Verlorenheit und Ausgeliefertsein. Wenn das französische Segel am Horizont auftaucht und rundherum nur Wasser ist, wo soll man sich dann verstecken?
Zentrum der Geschichte sind jedoch die Figuren, allen voran die Freundschaft zwischen Kapitän Jack Aubrey (Russel Crowe) und dem Schiffsarzt Stephen Maturin (Paul Bettany). Die beiden treffen sich allabendlich zum Musizieren und regelmäßig entwickelt sich eine philosophische Diskussion aus ihren gegensätzlichen Positionen.
Aubrey ist ein Pragmatiker, ein Mann des Krieges und der Tat, der seine Männer mit Stärke und Autorität aber auch mit Mitgefühl und Verantwortung führt und daran glaubt, dass Menschen diese Führung brauchen. Maturin dagegen ist Arzt und Wissenschaftler, interessiert an Biologie und wohl in erster Linie an Bord, weil er so an Orte kommt, deren Flora und Fauna der Wissenschaft noch unbekannt sind (Darwin dürfte als Vorbild funktioniert haben). Maturin ist ein Intellektueller und Humanist, fühlt sich dem aufklärerischen Denken verpflichtet und ist so im Gegensatz zum konservativen Aubrey ein Progressiver. Ihre großartig gespielten Streitgespräche über die menschliche Natur und die Notwendigkeit diese einzuschränken um "diese kleine schwimmende Welt" am Laufen zu halten sind, in Kombination mit dem was wir sehen, allgemeingültige Aussagen zu diesen Themen.
Freiheit und Selbstbestimmung des Einzelnen einerseits und Autorität andererseits interessieren Peter Weir offensichtlich, hat er sie doch in anderen Filmen ebenfalls abgehandelt, wenn auch auf ganz andere Weise. Hier endet die Geschichte weder tragisch wie in
Der Club der toten Dichter noch hoffnungsvoll wie in Die Truman Show, sondern auf den ersten Blick beinahe leichtfüßig. Nachdem der Kampf geschlagen ist bekommt Maturin von Aubrey das Versprechen, auf den Galapagos Inseln zu halten, um dort Funde sammeln zu können. Doch dann erreicht den Kapitän eine neue Nachricht und man muss wieder in den Kampf ziehen. "Was immer der Dienst erfordert ist Befehl." lächelt Maturin resignierend. Der Pragmatismus hat über den Idealismus gesiegt und die Menschen müssen sich, einer unausgesprochenen Logik folgend, zuerst den Schädel einschlagen, bevor sie sich um Bildung und geistige Weiterentwicklung kümmern können.