Früh um sechs stehen sie auf – jeden Morgen. Dann gibt es Frühstück und nebenbei liest eine von ihnen aus der Bibel vor. Danach die Arbeit – acht bis zehn Stunden ohne jeglichen Lohn. Abends ziehen sie ihre Nachthemden über das Arbeitskleid und schälen sich dann umständlich aus ihrer Tagesgarderobe. Das Licht wird gelöscht und sie schlafen, bis am nächstes Tag alles von vorn beginnt.
„I'd commit any sin, mortal or otherwise, to get the hell out of here!”
Um ehemaligen Prostituierten eine Zuflucht und ein Zuhause zu geben, wurden im 19. Jahrhundert Magdalenen-Heime in Irland errichtet, die nach der biblischen Figur Maria Magdalena, die als frühere Prostituierte ihre Sünden vor Jesus bereute, benannt wurden. Als die Heime im 20. Jahrhundert von der katholischen Kirche übernommen wurden, herrschte ein strenges, von Nonnen geführtes Regiment, dem sich „gefallene Mädchen“ zu fügen hatten. Wer sich also als junge Frau des „Verbrechens“ schuldig machte, vergewaltigt zu werden, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen oder einfach nur hübsch und aufreizend zu sein, konnte in ein solchen Heim gegeben werden, damit das gesellschaftliche Ansehen der Familie gewahrt blieb. Durch harte Arbeit, Gebete und körperliche Züchtigung sollten die Mädchen Buße tun und sich von ihren Sünden rein waschen.
„Die unbarmherzigen Schwestern“ erzählt die Geschichte von drei Mädchen - Margarete, Bernadette und Ros
e -, die in den 1960er Jahren in ein Magdalenen-Heim geschickt werden und dort fortan wie Gefangene leben. Tag für Tag müssen sie in dem hauseigenen Wäschereibetrieb arbeiten, dürfen sich kaum unterhalten und keinen Kontakt zur Außenwelt haben. Sind sie einmal ungehalten und verstoßen gegen die Regeln des Heims, werden sie von den Nonnen verprügelt und kahl geschoren. Doch das Schlimmste ist, dass es für die Mädchen keine Hoffnung gibt, denn niemand weiß, ob und wann sie wieder in die Freiheit entlassen werden.
Der schottische Regisseur Peter Mullan war fasziniert von der absoluten Herrschaft, die die katholische Kirche über die irische Gesellschaft hatte, und verarbeitet in seinem Film die erschreckende Erkenntnis, dass die Religion und die Reputation vielen Familien sogar wichtiger wurden als ihre eigenen Kinder. Somit wird in „Die unbarmherzigen Schwestern“ nicht nur die Seite der Opfer, sondern auch die ihrer Peiniger näher beleuchtet. Margarete wird aufgrund einer Vergewaltigung durch ihren eigenen Cousin ins Magdalenen-Heim geschickt. Es erscheint dem Zuschauer völlig unklar, warum der junge Mann seiner Cousine so etwas antut, und man kann nur vermuten, dass seine durch gesellschaftlichen Zwänge jahrelang unterdrückten sexuellen Gefühle sich völlig unvermittelt in einem perversen, brutalen Akt entladen, da es keinen anderen Weg gab, diese auszuleben. Ein anderes Mädchen wiederum flieht aus dem Heim und wird anschließend von ihrem Vater (gespielt von Regisseur Mullan selbst) in die katholische Einrichtung zurück geprügelt. Er macht ihr klar, dass sie fortan keine Eltern mehr hat und nie mehr nach Hause kommen darf. Nicht nur die Mädchen, sondern auch ihre Peiniger sind Gefangene eines Systems, in dem Verbrechen im Namen des allmächtigen Herrn, des sogenannten, begangen werden müssen, um in die Gesellschaft zu passen und dort anerkannt zu werden.
Die Nonnen selbst sehen ihre Arbeit als gottgefällig und notwendig an. Beispielhaft hierfür ist die Szene, in der eine der Schwestern die Mädchen nackt vor sich aufstellen lässt, um sich über die Größe ihres Busens und ihre Schambehaarung lustig zu machen. Sie selbst sieht das als Spiel und versteht selbst dann nicht, als eines der Mädchen völlig aufgelöst in Tränen ausbricht, wie menschenverachtend und schrecklich ihre Handlungen sind. Laut Regisseur Mullan ist genau das „die Banalität des Bösen“.
Jede Geschichte der drei Mädchen findet ihren emotionalen Höhepunkt, als Margarete, Bernadette und Rose versuchen, auf ihre Art in eine andere Welt zu flüchten. Es ist bewegend, mitanzusehen, wie sie ihren Körper verkaufen, sich bei den Nonnen anbiedern oder greifbare Chancen einfach nicht wahrnehmen, und somit immer wieder scheitern. Bis kurz vor Ende des Films hat man als Zuschauer keine Ahnung, wie es für die drei Protagonistinnen ausgehen wird und ist gespannt, ob es trotz der Ausweglosigkeit doch noch eine Möglichkeit für die durch pure Ungerechtigkeit bestraften Mädchen gibt, ihr Schicksal in die Hand zu nehmen.
Der Film „Die unbarmherzigen Schwestern“ erzählt schnörkellos von dem Überlebenskampf der Menschlichkeit, die selbst unter furchtbarsten Bedingungen bestehen bleibt und gibt einen realistischen Einblick in das Leben hinter den Mauern der Magdalenen-Heime, auch wenn es laut einer ehemaligen Insassin alles noch viel schlimmer war als eigentlich gezeigt wird. Kaum zu glauben also, dass Schätzungen zufolge ca. 30.000 Frauen in den Heimen gelebt haben, von denen das letzte erst 1996(!) geschlossen wurde. Weder ein großer Meilenstein in der Filmgeschichte, noch mittelmäßig oder gar schlecht, ist das Drama in erster Linie interessant und erschreckend. Beinahe wie eine Dokumentation und ohne große Effekte und Spannungsspitzen verfolgt man als Zuschauer ungläubig eine Geschichte, die aufgrund ihrer Ehrlichkeit so fesselnd und undenkbar zugleich ist. Mullans Werk ist eine Aufforderung an die Gesellschaft, sich die Ungerechtigkeiten, die sie verübt werden, nicht nur anzusehen, sondern auch dafür zu sorgen, dass sie nie wieder geschehen.