Im Theater ist die Katastrophe immer nur einen Herzschlag weit entfernt: Eine falsche oder vergessene Zeile, eine deplazierte Requisite, ein verfrühter oder verspäteter Auftritt – und schon kann das fragile Illusionsgebilde zusammenbrechen. Das Adrenalin, das aus dem Wissen produziert wird, daß etwas schiefgehen könnte, sorgt dementsprechend für die Spannung, die jeder Live-Performance unterliegt: Schauspieler wie Publikum wissen, wie präzise die Abläufe eingehalten werden müssen, und sobald die Show läuft, kann sie nicht mehr pausiert oder korrigiert werden. Die meisten Theaterschauspieler haben daher immer ein kleines Repertoire an Möglichkeiten, etwaige Probleme und Hänger zu kaschieren – teilweise so, daß es das Publikum gar nicht mitbekommt. NOISES OFF erzählt von einer kleinen Theatergruppe und einer Produktion, bei der das Chaos die Darbietung nach und nach soweit zersetzt, daß vom Stück kaum mehr etwas übrigbleibt.
Die Geschichte war ursprünglich selbst ein Theaterstück, das Anfang der Achtziger vom britischen Bühnenautor Michael Frayn verfaßt wurde (der später als Autor des John-Cleese-Vehikels CLOCKWISE erneut ganz strenge Abläufe mit Wonne zerfallen ließ) und nach hunderten von vielgelobten Aufführungen 1984 für einen Tony Award nominiert wurde. Im Stück folgen wir einer Theatergruppe, die eine alberne Komödie namens "No
thing On" zur Aufführung bringt: Eine typische britische Farce, bei der zahlreiche Personen in einem Haus umherirren und sich bei ihren Auftritten und Abgängen in die verschiedenen Zimmer stets ganz knapp verpassen und somit lange Zeit im Glauben bleiben, daß sie alleine im Haus sind. Natürlich gibt es Mißverständnisse, Gegenstände verschwinden plötzlich und tauchen wieder auf (weil sie eine andere Figur mitgenommen oder bewegt hat, während jemand z.B. im Schlafzimmer war), und weil die wenigsten der Charaktere eigentlich im Haus sein dürften, müssen sie sich auch stets vor den anderen verstecken oder ihnen etwas vorlügen – wie beispielsweise Gary, der eine schöne Blonde auf ein Schäferstündchen ins Haus geschleppt hat und sie nun wechselweise in den Schrank, ins Badezimmer oder ins Arbeitszimmer schubsen muß, damit die Haushälterin nichts merkt. So banal die Handlung einer solchen Farce ist, so komplex sind die Abläufe: Das Timing, wer wann wo herein- oder herauskommen muß und welche Gegenstände wohin mitnimmt, ist immens ausgetüftelt und bedarf langer Proben und viel Konzentration, um zu funktionieren.
NOISES OFF wird in drei Akten erzählt: Im ersten sehen wir die Theatergruppe bei ihrer Generalprobe, völlig übermüdet, aber nur wenige Stunden vor der Premiere. Wir lernen das Stück selbst kennen, bekommen die Schwierigkeiten der Abläufe vermittelt - vor allem ein Teller mit Sardinen, der in steter Abfolge herein- und herausgetragen werden muß, stellt einen schweren Stolperstein dar - und bekommen nebenher die Eigenheiten der Figuren präsentiert, die natürlich allesamt plakative Abziehfiguren darstellen: Der unsichere Schauspieler, der selbst beim Heraustragen einer Einkaufstüte nach seiner Motivation fragt; die schlichte Blondine, die die meiste Zeit in ihrer Unterwäsche spielen muß und andauernd ihre Kontaktlinsen verliert; der schwerhörige, senile alte Schauspielveteran, der gerne zuviel über den Durst trinkt; der frustrierte Regisseur, der seine Darsteller mit beißendem Sarkasmus überschüttet. Die Zeichnung der Charaktere ist recht und billig: Die Farce begegnet der Farce.
Im zweiten Akt befinden wir uns während einer Aufführung hinter der Bühne. In die Schauspieltruppe haben sich Eifersüchteleien und Streitigkeiten geschlichen, weshalb die Darsteller beständig damit beschäftigt sind, das Chaos so weit im Zaum zu halten, daß das Stück - das aus unserer jetzigen Perspektive nur im Off zu hören ist - mit all seinen Abläufen weiterlaufen kann. Da binden sich die Schauspieler gegenseitig die Schnürsenkel zusammen, verstecken Requisiten, nutzen ihre fünf Sekunden, die sie nicht auf der Bühne stehen, um jemand anderem kurz eins auszuwischen, bevor sie wieder raus müssen. Der alte Schauspieler ist beständig hinter einer Flasche Whiskey her, den die Kollegen vor ihm verstecken müssen; diverse Blumensträuße sorgen prompt jedesmal für ein Mißverständnis und steigern wiederum die Eifersucht - die Komplexität der Albernheiten im Stück wurde schon längst von denen im Backstage-Bereich überholt. Der dritte Akt spielt dann konsequenterweise wieder vor der Bühne, bei einer Aufführung nach diversen Monaten des Streits: Das Stück zerfällt völlig in seine Bestandteile, weil die Abläufe schon völlig ruiniert wurden.
Die Energie, die NOISES OFF im Theater besitzt, kann sich natürlich nicht auf die Leinwand übertragen: Während es bei der Live-Aufführung spannend bleibt, ob die Darsteller diese immense inszenatorische Rube-Goldberg-Maschine unbeschadet überstehen, wissen wir ja beim Film, daß es einen zweiten Versuch gibt. Regisseur Bogdanovich versucht, große Teile der Szenen in langen, ungeschnittenen Einstellungen einzufangen, um zumindest das Gefühl zu erzeugen, daß man echten Abläufen beiwohnt und die Schauspieler zumindest blockweise das Stück - im wahrsten Sinne des Wortes: - beherrschen. Aber trotzdem arbeitet das Medium Film zunächst gegen den Effekt des Stückes: Bei der Filmaufführung eines Trapezakts haben wir ja ebenso viel weniger Sorge, daß dem Künstler ein Fehler unterlaufen kann.
Aber natürlich liegt doch ein reizvoller Witz in Bogdanovichs Inszenierung, der schon alleine dadurch erzeugt wird, daß da einer, der ansonsten auf weitem Raum Bilder bis zum Horizont malt, auf das Engste mit seiner Geschichte eingesperrt wird; daß einer, der so oft Großartiges aus seinen Schauspielern herausholen kann, hier mit figurgewordenen Marotten arbeitet; und zuguterletzt auch dadurch, daß einer, der gerne mit der Diskrepanz zwischen Erscheinungsbild und tatsächlicher Person arbeitet, hier den Blick hinter ein Zahnwerk an Abläufen wirft und dahinter nicht nur das Chaos findet, sondern selbiges gleichermaßen mit höchster Kontrolle freiläßt.
Stück und Inszenierung erreichen im zweiten Akt eine fast hysterische Geschwindigkeit und Intensität, und Bogdanovich ist gleichzeitig der Richtige und der Falsche für den Part: Richtig, weil er die Sequenz fast als pures Kino im Geiste alter Slapstick-Vorlagen inszeniert, immer visuell orientiert und mit ganz reduzierter Dialogebene (immerhin läuft ja gerade das Stück ab und die Darsteller dürfen hinter der Bühne nicht reden!) - und falsch, weil die Farce hier mit ihren flachen Figuren so effektiv und perfekt abläuft, daß es eine fast maschineske Kälte ausstrahlt. Es ist ein Triumph der Inszenierung über die Spontanität - aber glücklicherweise gibt der Regisseur dem Stück im dritten Akt, der diese Abläufe so rigoros untergräbt, daß die Darsteller irgendwann ihre Ratlosigkeit zum Teil des Stückes werden lassen, wieder ein menschlicheres Gesicht: Man ist unwillkürlich geneigt, an ALEXIS ZORBAS zu denken und wie Anthony Quinn darin zu fragen - "Hast du jemals etwas so bildschön zusammenkrachen sehen?" (Wie fein Bogdanovich beobachtet, zeigt sich darin, daß das Publikum selbst im dritten Akt Zuseher beinhaltet, die das Chaos für gewollte Inszenierung halten und immer noch nervöse Lacher zu hören sind - kein alberner Beifallssturm und auch keine aufgesetzte Empörung, nur der gelegentliche Lacher als Versuch, dem trostlosen Geschehen auf der Bühne gegenüber guten Willen zu zeigen.)
Und weil NOISES OFF - der Titel bezieht sich übrigens auf eine Regieanweisung für Geräusche hinter der Bühne - eigentlich so unnachgiebig von der Ästhetik des Scheiterns erzählt, ist es umso enttäuschender, daß - ganz im Gegensatz zur Bühnenversion - eine Art Happy End drangeklebt werden mußte, in dem das Stück am Broadway ankommt und der bangende Regisseur verblüfft feststellen muß, daß auf einmal alles wie am Schnürchen läuft. Es wird als Verbeugung vor dem Geist des Theaters verkauft - die Show geht weiter! - aber es untergräbt völlig den Reiz, einer völligen Destruktion zuzusehen: Als würde jemand im Actionfilm zum Schluß die ganzen zu Schrott gefahrenen Autos wieder ausbeulen und neu herrichten.