(USA, 2008)
Start: 28.02.2008
8 Blickwinkel. Der Titel, den sich der deutsche Filmverleih ausgedacht hat, ist im Grunde Beschiss. Wer einen Blickwinkel auf den Untertitel des Filmplakates wirft, ist eher im Bilde: „8 Fremde, 8 Sichtweisen, 1 Wahrheit.“ Und diese eine Wahrheit ist amerikanisch. In Pete Travis´ Film geht es nicht um Konstruktivismus, der um Diplomatie bemüht ist, sondern um erkenntnistheoretische Rechthaberei. Als Vexierspiel getarntes Actionkino, hinter dem leider nichts Besonderes oder Bemerkenswertes steckt.
Dabei versprechen die ersten Minuten einiges. Travis versammelt die wichtigsten Nationen der Welt auf einem fiktiven Weltwirtschaftsgipfel in Spanien. Der US-Präsident (William Hurt) ist natürlich dabei. Wir sehen den schon etwas ergrauten Bodyguard Thomas Barnes (Dennis Quaid). Die raubeinige Fernsehjournalistin Rex Brooks (Sigourney Weaver), die Herrscherin des Ü-Wagens, die das Ereignis in die USA überträgt. Den netten Touristen mit Handkamera Howard (Forest Whitaker), den jungen Bodyguard Kent (Matthew Fox). Und das Drehbuch wird immer mehr wichtige Figuren ausspucken, die alle im Koordinatensystem der Handlung untergebracht sein wollen.
Der Präsident spricht. Nach einigen Minuten wird Barnes unruhig. Ein flatternder Vorhang im Haus gegenüber. Erste aufgeregte Wortwechsel über Funk. Dann Schüsse, der Präsident stürzt zu Boden. Hysterisches Pu
blikum. In der Ferne eine Explosion, noch mehr Hysterie. Dann fliegt, rumsbums, das Podium in die Luft.
Wie gesagt, die ersten Minuten sind gut. Eine beklemmende Atmosphäre, auf den Punkt genau verdichtete Spannung; nicht außergewöhnlich, aber gediegen. Das Problem ist, dass sich Travis auf ein dramaturgisches Abenteuer einlässt, das irgendwie fatal an Harold Ramis´
Und täglich grüßt das Murmeltier (1993) erinnert. Nach der großen Explosion drückt der Regisseur die Rewind-Taste und man befindet sich wieder am Ausgangspunkt der Geschichte. Die Handlung beginnt erneut, nur von einem anderen Blickwinkel eines anderen Protagonisten aus gesehen. Acht Mal hintereinander. Und jedes Mal landet der Timer am Schluss wieder auf 12 Uhr Mittag. Gong! High Noon!
Bei diesem „Rate-mal-was-passiert-ist“-Spiel erfährt der Zuschauer mitnichten jedes Mal Erhellendes oder Überraschendes. Man erlebt immer einen Wirklichkeitsausschnitt, in dem bereits eine Lücke klafft. So groß wie ein weißes Formularfeld mit der Anweisung ‚bitte Ausfüllen’. Dabei wiederholt sich Travis andererseits so oft, dass man sich fragt, ob der Film nicht besser
6 Blickwinkel, wenn überhaupt, 5 reichen auch heißen würde.
Die anfängliche Wohlgesonnenheit weicht schnell einer unentspannten Erwartungshaltung. Man weiß ja, dass die ganze Perspektivenspielerei zu irgendetwas gut sein soll. Und sei es nur wegen des Knalleffektes zum Schluss. Beim Oscar prämierten
L. A. Crash von Paul Haggis (2004) oder Greg Marcks´
11:14 (2003) sind es gänzlich unterschiedliche Geschichten, die kaleidoskopartig konfiguriert werden und zum Finale auf überraschende Weise zusammenfinden. Travis hingegen inszeniert und erzählt von Anfang an minimalistisch und nebulös, und jede neue Perspektive bringt lediglich einen neuen Informationszuwachs im Häppchenformat. Man weiß von Anfang an, wohin die Reise geht. Doch mit dieser fragmentierten Art des Erzählens macht der Regisseur sein Publikum eher fuchsteufelswild. Es ist ein bisschen wie mit dem kleinen Jungen, dem man Stück für Stück aus der Nase ziehen muss, warum das Wohnzimmer unter Wasser steht.
Und am Ende geht es gar nicht um Perspektiven im konstruktivistischen Sinn, also um Wirklichkeitsinterpretationen. Denn das würde ja die höchst interessante Frage aufwerfen, ob mehrere Sichtweisen auch mehrere subjektive Wahrheiten implizieren. Nein, hier gibt es nur eine Wahrheit. Und die befasst sich ausschließlich mit der Frage, wer dem Präsidenten an den Kragen will.
Zum Schluss jagt Dennis Quaid die Attentäter (über deren politische Motive man nichts erfährt) durch die Stadt und produziert dabei viel kaputtes Autoblech. Erstaunlich wie Travis es schafft, aus einem anfänglich vielversprechenden Thriller eine platte Rambo-Nummer zu basteln. Armer Dennis Quaid.
Auch William Hurt hat etwas Pech, er verkörpert ein Abstraktum. Seine Figur hat mit dem real existierenden US-Präsidenten nichts gemeinsam. Er ist einfach „Mr. President“, der wichtigste und beschützenswerteste Mensch der Welt. Und Dennis Quaid nimmt seinen Job, verdammt noch mal, sehr ernst. Zum Schluss, nach vollbrachten Heldentaten (Präsident gerettet, Terroristen kalt gemacht, Frisur sitzt), kommt ihm nur ein trockenes „No problem, Sir!“ über die Lippen, den Blick wie eine Marmorstatue gen Horizont gerichtet. Gott sei Dank hat er kein Pferd, mit dem er in den Sonnenuntergang reiten kann.
Wobei: vielleicht hätte gerade das so einiges gerettet.