Auch interessant |
Meist gelesen¹ |
¹ gilt für den aktuellen Monat
|
|
There Will Be Blood |
RSS 1.0 |
|
|
There Will Be Blood
Ein Film von Paul Thomas Anderson
Ich trinke das Blut Jesu Christi von Bandys Land!
New Mexico, 1898: Ein dreckbeschmierter Mann steht in einem finsteren, feuchten Loch und schlägt mit einer Spitzhacke immer wieder auf die Felswand vor sich ein. Das einzige Licht ist ein fahler Schein von weit oben und die sprühenden Funken, die bei jedem Aufprall des Metalls auf dem Stein entstehen. Wie besessen bearbeitet der Mann die Wand, bis er einen Schimmer entdeckt: Silber! Gierig entzündet er eine Ladung Dynamit. Hastig klettert er auf in den Fels gehauenene Stiegen nach oben und möchte sein Arbeitsgerät nach sich ziehen, doch: zu schwer. Es wird in der folgenden Explosion zerstört, aber der Mann hat ohnehin nur Gedanken an das glänzende Metall, das ihn jetzt dort unten in der Tiefe erwarten muss. Eiligst klettert er nach unten, als sich eine Sprosse löst und er die restlichen Meter fällt, hart aufkommt und sich ein Bein bricht - alles für eine Handvoll Silber. Der Mann wird für immer hinken, doch hat es sich nicht gelohnt? Schließlich stößt er bei seinen Sprengungen bald auf viel mehr als nur Silber - das schwarze Gold wartet auf ihn!
In dieser ersten Szene des neuen Films vom gefeierten Writer/Director Paul Thomas Anderson, die gut 10 Minuten lang ohne jedes gesprochene Wort auskommt, wird bereits zusammengefasst, was sich in den folgenden langen, aber doch niemals langweiligen 2 1/2 Stunden auf epischer Breite abspielen wird: Menschliche Gier, die, sobald sie auch nur kaum befriedigt ist, nach immer mehr verlangt, und dabei keinerlei Rücksicht nimmt auf das Wohl aller Beteiligten - seien es Mitarbeiter, der eigene Sohn oder der Protagonist persönlich, der selbst ernannte "Ölmann" Daniel Plainview. Er ist stets allein, egal ob er versucht, naive kalifornische Siedler zum billigen Verkauf ihres ölträchtigen Lands zu überreden, mit seinem Vorarbeiter und Gefährten neue Pläne bespricht oder sich bemüht, menschlichen Kontakt zu seinem schweigsamen Sohn herzustellen, den er hauptsächlich als Werbeinstrument benutzt und von dem man nie mehr als seine Initialien H.W. erfährt. Plainview ist ein Misanthrop, ein rücksichtsloses Arschloch, ein larger-than-life Erfolgsmann, aber in seiner menschlichen Unzulänglichkeit, seiner ruppigen Pragmatik, Einsamkeit und Verzweiflung auch seltsam sympathisch.
Zu verdanken ist diese Tatsache neben dem exzellenten Drehbuch von Anderson vor allem Daniel Day-Lewis, der mit Plainview mehr als nur den Vornamen teilt. So abgenutzt die folgende Floskel auch klingt: Day-Lewis ist Plainview. Nie entgleitet ihm seine Rolle, sei es auch nur für einen kurzen Moment, stets ist er voll und ganz der schrullig-brutale Verrückte; sein Gang, seine Haltung, seine einfache, geschickte und doch auch ein wenig unbeholfen wirkende Sprache, seine Gesichtszüge und nicht zuletzt sein durchdringender, wölfischer Blick mit diesem grimmig-belustigten Funkeln bilden eine Person, die sich zwar an bekannte Charakterzeichnungen anlehnt, aber dank feiner Nuancierungen doch stets ihre Eigenständigkeit bewahren kann und nie billig wirkt. Diese vibrierend-lebendige, kantige Gestalt reißt die Aufmerksamkeit und das Interesse des Zuschauer jederzeit an sich und lässt die Spieldauer somit wie im Fluge vergehen.
Von den anderen Charakteren sticht hauptsächlich der Gegenspieler Plainviews, der junge Religionsfanatiker Eli Sunday hervor. Der naiv und unerfahren wirkende junge Mann macht seine Schwächen größtenteils wieder mit einer begeisterten Empathie wett, die ihn schließlich zum Führer einer christlichen Sekte aufsteigen lässt, die Macht und Einfluss gewinnt - und Plainview selbstverständlich ein Dorn im Auge ist. Schließlich kann er andere Menschen, die Erfolg haben, nicht dulden, zumal der Mensch, der ihm häufiger in die Quere kommt, auch noch ein weichlicher Jungsound ist. Man spürt die Verachtung, die Plainview für Eli übrig hat, doch versteckt sich hinter dieser großspurigen Selbstsicherheit eine tiefe Angst vor dem so emotionalen und menschenfreundlich wirkenden Menschen, der erst ganz anders zu sein scheint als Daniel, aber natürlich viel mehr mit ihm teilt, als diesem lieb wäre (dass der so oft angerufene Gott beim Wettlauf der beiden Kontrahenten auf der Strecke bliebt, versteht sich von selbst). Aber anstatt den üblichen Storyweg zu gehen und Daniel und Eli als ungleiche, aber doch stets Kopf an Kopf liegende Konkurrenten darzustellen, hält man sich an den Realismus; so gefährlich Eli auch in einigen Szene aufblitzt und immer wieder drohend im Hintergrund wirkt, fehlt ihm doch der letzte, brutale Killerinstinkt, der Plainview zu dem Erfolgsmonster macht, das er ist. Paul Dano ( Little Miss Sunshine) spielt seine Rolle mit viel Enthusiasmus und kann durchweg überzeugen (gerade in seinen Szenen als geisteraustreibender Wunderheiler), wobei Day-Lewis ihn klar überstrahlt (was allerdings auch dem Gewicht der Charaktere im Film entspricht). Ursprünglich war für diese Rolle Kel O'Neill vorgesehen, der aber unerwartet ausstieg und dann kurzfristig von Dano, der ursprünglich nur den Bruder Elis, Paul, spielen sollte, übernommen wurde, weshalb dann aus den beiden kurzerhand Zwillingsbrüder wurden (was die irrige Vermutung nährt, dass Dano hier zwei multiple Persönlichkeiten spiele).
Die Krönung des Films und das, was in besonderem Maße zu seiner Wirkung beiträgt, ist die Musik von Jonny Greenwood, dem Radiohead-Gitarristen. Greenwood komponierte auf der Grundlage seines Orchesterwerks Popcorn Superhet Receiver, das Anderson sehr gefallen hatte, sowie Stücken von Arvo Pärt und Johannes Brahms (weshalb ihm die verdiente Oscarnominierung für die Originalfilmmusik leider verwehrt blieb) einen zurückhaltenden, aber ungemein intensiven Score, teils aus verzerrten, wabernden elektronischen Klängen, teils aus pulsierender Orchesterkraft. Er bildet einen steilen Kontrast zu den eigentlich so typischen, staubigen Wild-West-Bildern, wodurch diese plötzlich eine beunruhigende, bedrohliche Wirkung gewinnen. Die unheilschwangere Filmmusik verfolgt den Zuschauer und -hörer auf Schritt und Tritt, lässt ihm nie seine Ruhe und hallt teilweise noch minutenlang in die nächste Szene nach.
Anderson ist mit diesem zurecht 8-fach oscarnominierten (und zu Unrecht mit gerade einmal 2 der Awards abgespeisten) Film ein großer Wurf gelungen. Seine intensiven, aber doch meist zurückhaltenden Szenen, die ein mythenumwehtes Kapitel der US-amerikanischen Geschichte Stück für Stück zerlegen, entladen sich schließlich in einem ungewohnt grotesken und grausam konsequenten Finale, das mit seiner Wucht den Zuschauer förmlich erschlägt - prägnanter hätte man das Ende kaum wählen können.
Mit Daniel Plainview hat dieser Film einen derart lebendigen, eindrucksvollen und zeitlosen Charakter in seinen Mittelpunkt gestellt, dass There Will Be Blood dereinst ohne weiteres als Klassiker gehandelt werden könnte.
Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen
|
Kommentare zu dieser Kritik
|
Bastian TEAM sagte am 26.02.2008 um 15:49 Uhr
Jawoll, ein Meisterwerk ist "There Will Be Blood" geworden. In jeder Hinsicht: Story, Dialoge, Schauspieler, Kamera, Musik...Der Oscar für Daniel Day-Lewis war dann auch so gut wie sicher, ebenso der für die beste Kameraführung. Allerdings halte ich den Gewinner als besten Film, "No Country For Old Men", für einen ebenbürtigen Gegner, der dann auch letztlich das Rennen gemacht hat. Ich würde das aber als knappen Vorsprung über die Siegerlinie bezeichnen - ich wäre mit beiden Filmen mehr als zufrieden gewesen!
Was ich an "Blood" noch hervorheben möchte, sind seine Referenzen an die Stummfilm-Ära - da wäre zunächst die Schrift der Titel, die eben denen jener Zeit entsprechen, die erste Viertelstunde ohne Sprechen (obwohl Geräusche allerdings vorhanden sind) und auch die Musik bzw. als was man das an manchen Stellen bezeichnen würde.
Und die vielen Szenen, in welchen Day-Lewis mit seiner Präsenz selbst über die perfekte Inszenierung strahlt, kann man nur als grosses Theater in Cinemascope bezeichnen!
Grandios - und auch für Leute, denen vielleicht eine Geschichte über einen "Öl-Mann" zunächst nicht zusagt;-) |
Zombie-mower TEAM sagte am 13.03.2008 um 13:52 Uhr
Hab gestern nun endlich die Geschichte vom "Öl-Mann" gesehen - danke übrigens für die Anspielung, so kann ich dann auch gleich meinen Kommentar in weichem Übergang anschließen.
Also Thorsten ist die Zusammenfassung des Films in prägnanten Sätzen vorzüglich gelungen und ich gebe allen Punkten recht.
"There Will Be Blood" ist ein sehr intensiver Film, der durch seine virtuose Machart sehr wohl zeitdokumentarische Authentitzität durchscheinen lässt. Besonders toll haben mir die Soundeffecte gefallen, die sich die meiste Screentime im Hintergrund halten, dann zwischen den Szenen wieder eine bedrohliche Stimmung heraufbeschwören und genauso wieder sich verflüchitgen. In dieser Hinsicht kommt Andersons Film sogar Jim Jarmusch's Meisterwerk "Dead Man" (mit dem einmaligen Score von Neil Young) stilistisch sehr nahe.
Was mir dann doch gefehlt hat, war die Gegenbalance zu dem Charakter Plainview. Plainview ist das Vorzeigeobjekt, der Prototyp eines Opportunisten (wie das für die Ölbranche damals und synchron für das Aktiengeschäft heute sehr üblich war, bzw ist), sehr selbstüberzeugt, zielstrebig-versessen, voller verdrängter, unverarbeiteter Ängste und ein Misanthrop (ein unübertrefflicher Menschenhasser). Was er in seiner grenzenlosen Energie nun den Film über tut, ist sich nicht nur damit zufrieden zu geben, die Würde und den Ruf seiner Feinde zu zertreten, sondern sie komplett auszulöschen, deren Existenzen auszuradieren (in diesem Aspekt watet der Film in unglaublicher Konsequenz und schwer verdaulicher psychischer Brutalität auf). In dieser Hinsicht kommt Daniel-Day Lewis Glanzleistung stellenweise sogar der Brillanz eines Orson Welles (wie z.B. in "Citizen Kane") ziemlich nahe.
Doch was Lewis in seinen lichten Momenten gelingt, das schafft Anderson leider nur zu oft nicht. Nämlich einen narrativ dichten Film mit durchwegs gespanntem dramaturgischen Spannungsbogen zu kreieren. In den zweieinhalb Stunden Spieldauer kommt es leider ziemlich oft zu den unliebsamen "gähn-momenten" und da kann auch der perfekt eingespielte Plainview nicht viel daran ändern. Darüberhinaus verdrängt Lewis die Schauspieler um sich herum zu beinahe belanglosen Nebenfiguren (insbesonders seinen ideologischen Konkurrenten Eli Sunday, der von Paul Dano sehr unterrepräsentiert und naiv gespielt wird und damit neben Lewis zu oft der Lächerlichkeit anheim fällt), die kaum Charaktertiefe und Relevanz für die Story haben. Ein Beispiel wäre die Geschichte mit Plainviews Bruder, die gut getimt eingeflochten war, jedoch dann nicht in die Tiefe verfolgt wurde.
Als die Vater-Sohn-Geschichte zum Schluss in Gang kam, hatte ich auch große Erwartung, dass man als Zuschauer die Entwicklung des Sohns und dessen Charakter vorgestellt bekommt. Bedauerlicherweise wurde auf diesen dann kaum eingegangen, obwohl dieser Charakter für Plainview eine zentrale, emotionale Komponente gespielt hat (das Potential des Konflikts der beiden war im letzten Gespräch zwischen Vater und Sohn virtuos dargestellt, jedoch mit dieser einen Szene dann doch zu unausreichend für den gesamten Film).
Zu oft also entgleitet Anderson in episodenhafte Schilderung der Geschichte und verleiht seinem Hauptcharakter eine zu unausgewogene Gewichtung. Dennoch ist die Schauspielleistung von Daniel-Day Lewis in gewohnter Theaterbühnenqualität (ähnich wie bei "Hexenjagd" von 1996) und damit überaus sehenswert.
Ich ging also mit sehr gemischten Gefühlen aus dem Film, sich langsam zur Überzeugung durchringend, dass ich ihn im gesamten nicht gemocht habe (Scorsese's "Gangs of New York" fand ich narrativer und in punkto Charakterkonstellation um Längen besser) und dass meine beiden Favoriten des Jahres 2007 dann doch "No Country for Old Men" der Coen Brüder und der meisterhafte "Eastern Promises" von David Cronenberg verbleiben. |
nickpicker TEAM sagte am 13.03.2008 um 21:25 Uhr
Erst einmal Danke für das Lob!
Wie Du allerdings den zwar unterhaltsamen, aber doch reichlich platt-pathetischen "Gangs of New York" diesem Film vorziehen kannst, wird wohl Dein Geheimnis bleiben. ^^ "Eastern Promises" fand ich auch sehr gut, gerade Viggo Mortensens Leistung (sowie den grandiosen Badehauskampf), allerdings fehlte irfendwas - was, weiß ich selbst noch nicht so genau.
Zu "There Will Be Blood": Ich kann Deine Punkte durchaus verstehen. Der Film hat lange Momente, gerade wegen der Schnittechnik, die wohltuender Weise ganz auf diese neumodischen Sekundenschnitte verzichtet und der Szene Zeit lässt, sich zu entfalten. Das kann man als langweilig empfinden, ich fand es großartig.
Bei Paul Dano bin ich mir selbst noch nicht sicher. Gerade zum Ende hin, wo Eli ja völlig vernichtet wird, scheint mir sein Spiel etwas... seltsam. Ob letztendlich passend oder doch überzogen, kann ich erst nach einer zweiten Sichtung sagen. Auch wenn er gegen den überragenden Day-Lewis nicht ganz anstinken kann, spielt er allerdings insgesamt doch sehr gut auf. |
peterlustigsein sagte am 16.02.2012 um 00:36 Uhr
der film ist durchaus ein knaller, aber leider wird er hier als auch von anderen falsch interpretiert!
es ist einfach zu leicht, diese angeblich verschwörerische geschichte die da angeblich hinter steckt zu erkennen, wie die diversen filmkritiken es tiefgründig durchblickt haben zu scheinen- kapitalismus, religion etc.!!
aber auch zu behaupten, eli sei ein gegenspieler des protagonisten, ist einfach falsch und auch ein wenig lächerlich.- eli ist einfach nur der lebende beweis für plainview, wie dumm die menschen sind und wie leicht es zu seien scheint diese zu beeinflussen! natürlich mit den hintergrund das sie nichts auf die reihe kriegen! (siehe das arme schäferdasein) beweis für schwäche und dummheit, denn wenn sie klug wären, dann hätten sie ihr schicksal selber in die hand genommen-erschliessung von wasserquellen etc.)
ich finde es auch schlimm, wenn manch einer behauptet, dass der protagonist seinen jungen den er als weisen angenommen hat ihn nur als mittel zum zweck benuzt...denn das stimmt nicht - ER LIEBT IHN ABGÖTTISCH! zu behaupten das dies so wäre, ist natürlich nicht abwägig, aber es stimmt nicht, denn er macht es nicht bewusst. (siehe die diversen anspielungen und behauptungen seiner neider!!
RELIGION IST WAS FÜR FEIGLINGE, FAULE, DUMME UND VERSAGER! (siehe eli und seine glaubensgemeinschaft) |
HorstTheHorse sagte am 16.02.2012 um 00:56 Uhr
Hauptsache, einer hat hier den absoluten Durchblick... |
Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen
|
|
Impressum
|