Klammern wir einmal das Fahndungsfoto aus, welches im überaus gelungenen „Bourne“-Spin-off „Das Bourne Vermächtnis“ von Tony Gilroy kurzzeitig über einen öffentlichen Monitor flimmert, so sind nunmehr neun lange Jahre ins Land gegangen, seitdem Jason Bourne das letzte Mal in „
Das Bourne Ultimatum“, dem Prunkstück des Franchise, auf der großen Leinwand zu sehen war. Neun Jahre, die in der Rückschau unserer schnelllebigen Zeit wie ein Wimpernschlag anmuten mögen, die für das gesellschaftliche Befinden rückwirkend jedoch maßgebliche Umwälzungen inne trugen: Namen wie Edward Snowden oder Julien Assange prägten unser Dasein, das aus ihren Enthüllungen resultierende Misstrauen gegenüber Regierungsapparaten wächst nach wie vor exponentiell und natürlich auch der (Cyber-)Terrorismus des 21. Jahrhundert hat Einzug in unsere Privatsphäre erhalten. Wem können wir noch vertrauen? Oder anders gesagt: Wem können wir unsere Daten noch anvertrauen? Wenn man so möchte, ist diese von dringlicher Aktualität befeuerte Frage nach Sicherheit das Paradethema der „Bourne“-Serie.
In „Jason Bourne“ erhält diese motivische Grundhaltung nun ihren Fortgang und findet sich, ganz und gar dem gegenwartsspiegelnden Anspruch der Reihe zuträglich, im Hier und Jetzt wieder. Die Angst vor der totalen Überwachung hat sich im Kollektivbewusstsein der Weltbevölkerung verankert: Das Smartp
hone, das heimische Computer- sowie Telefonnetzwerk, nichts scheint mehr gefeit vor den wachsamen Augen und Ohren nebulöser Dritter. Menschen werden vor allem als Sprenkel im digitalen Raster auf den Bildschirmen wahrgenommen, und per Knopfdruck jagt die modernste Drohnen-Technik eine lasergesteuerte Rakete millimetergenau auf diesen unscheinbaren Fleck auf der Landkarte. Drohen, töten, zerstören. Alles ausgetragen auf dem gepolsterten Bürostuhl. Paul Greengrass („
Captain Phillips“), der durch seinen markanten Hyperrealismus in „Die Bourne Verschwörung“ und vor allem „Das Bourne Ultimatium“ das Action-Genre tatsächlich ein Stück weit revolutionierte, ist mit „Jason Bourne“ aber nicht allein in der allgemeinen Skepsis unseres Zeitgeschehens angelangt, um sich in dieser auszuruhen.
Er sucht ebenfalls Antworten auf die Frage, wo im hochtechnisierten Geflecht des 21. Jahrhundert noch Platz für Analogizität ist - und natürlich braucht er dafür den altbekannten titelgebenden Helden. Packend gestaltet sich „Jason Bourne“ indes genau dann, wenn Paul Greengrass seine inszenatorische Meisterschaft unter Beweis stellt und das einzige Kommunikationsmittel der Serie in Ehren hält: Dynamik. Die glühend-kraftstrotzende Montagetechnik, die einem geschwungenen Rasiermesser gleicht, fährt präzise durch filmische Räume, um sie davor zu bewahren, einer klaren Ordnung anheim zu fallen. „Jason Bourne“ steht für Hektik und Konfusion, Verwirrung und Chaos, was sich natürlich als reinrassiger Kontrast zur geheimdienstlichen Operation des CIA deuten lässt, die jener, offensichtlich nie versiegender, Quell der stilistischen Energie gnadenlos zergliedert. Vor allem bleibt eine Sequenz im Gedächtnis, die Jason Bourne (bedrohlicher als Edward Snowden: Matt Damon, „
True Grit“) geradewegs in den aufgescheuchten Pulk protestierender Massen in Griechenland hetzt: Die GPS-Ortung verliert ihre Kraft, detaillierte Satellitenkarten erscheinen nutzlos, Jason Bourne wird zur chimärenhaften Silhouette, die sich im orange-schimmernden Wust der Nacht auflöst.
Diese suggestive Gegenüberstellung von digitalem und analogem Konflikt aber kann „Jason Bourne“ nicht über seine mehr als zweistündige Laufzeit aufrechterhalten. Das Problem am vierten Auftritt der ehemaligen Treadstone-Kampfmaschine ist, dass sich Paul Greengrass hier viel zu deutlich an die Markentreue heftet: Risikoscheu wird genau das aufbereitet, was der Zuschauer von einem „Bourne“-Film zu erwarten hat. Im Prinzip ist das erst einmal nicht verwerflich, verliefen doch bisher alle Teil in einem ähnlichen Resonanzraum, allerdings hat „Jason Bourne“ mit seinem Narrativ zu kämpfen. Bewies Greengrass in seinen vorherigen Arbeiten innerhalb des „Bourne“-Universums, dass er es bravourös versteht, die Form zum Inhalt zu erklären, krankt „Jason Bourne“ an einem zuweilen reichlich fade konfigurierten Drehbuch (Tony Gilroy fehlt offenkundig), welches plakativ dem Versuch unterliegt, die Geschichte um Bourne, seine Identitätskrise und den Dämonen der Vergangenheit erneut in Gang zu bekommen. Dass diese dürftige Story-Konstruktion dem formalen Spannungsszenario selbst reichlich abträglich entgegenwirkt, bestätigt die konzentratorische Wirkung der Inszenierung – zu oft nämlich bekommt man mühelos Luft in dieser filmischen Dekompressionskammer.
Cover & Szenenbilder: ©Universal Pictures