Endlich den Uni-Abschluss in der Tasche, doch keinen Job. Diese – der „Generation Praktikum“ allzu bekannte – Erfahrung macht auch die wohlbehütete Marta (Isabella Ragonese), die in Rom lebt. Ihr Freund konzentriert sich indessen auf seine Karriere im Ausland und hat sie nicht einmal zu dieser Entscheidung gefragt. Während Marta zu ihrer im Sterben liegenden Mutter nach Palermo fährt, wird ihr WG-Zimmer weitervermietet. Ohne Arbeit, ohne Freund und jetzt auch noch ohne Wohnung. Marta nimmt einen Babysitter-Job bei Sonia (Micaela Ramazzotti) und deren kleiner Tochter an. Sonia ist ein lieber Mensch, doch völlig überfordert mit ihrer Lebenssituation. Marta zieht bei den Beiden ein und wird Sonias Kollegin im Call-Center. Hier übernehmen ausschließlich junge Frauen die Aufgabe, am Telefon Menschen dazu zu bringen, Termine für ein Verkaufsgespräch zuhause auszumachen. Diese Hausbesuche werden dann ausschließlich von jungen Männern durchgeführt. Der Druck lastet schwer sowohl auf den Mädels im Call-Center als auch auf den Vertreter-Jungs. Wer schlechte Quoten bringt, wird vor allen Kolleginnen und Kollegen runtergeputzt, wer die beste Leistung abliefert, wird gefeiert. Eine menschenverachtende Welt. Der Chef des Unternehmens, Claudio (Massimo Ghini), wird von seinen Mitarbeitern angebetet, allen voran von der Call-Center-Chefin Daniela (Sabrina Ferilli). Sie vertraut Marta an, dass sie ein geheimes Verhältnis mit Claudio hat. Auch Claudio zieht Marta in sein
Privatleben hinein, in dem allerdings kein Platz für Daniela ist. Marta freundet sich mit dem Gewerkschafter Giorgio (Valerio Mastandrea) an, der den jungen Leuten zu besseren Arbeitsbedingungen verhelfen will. Er erhält Insider-Informationen von Marta, die er kommerziell für ein Theaterstück nutzt. Am Ende geht alles den Bach runter und Marta steht da, wo sie schon einmal war.
Der Film „Das ganze Leben liegt vor dir“ von Regisseur Paolo Virzi ist schwer bekömmliche Kost. Die Charaktere im Film sind durchtrieben, falsch und betrügen sich gegenseitig, während sie gleichzeitig selbst die Betrogenen sind. Marta ist grundanständig, fleißig und hilfsbereit. Dennoch kommt sie in ihren Zielen nicht weiter. Die einzigen Lacher entlockt der Film dem Zuschauer bei der Darstellung der völlig absurden Call-Center-Vertreter-Welt, in der die Mitarbeiter ausgenutzt und vorgeführt werden, nachdem sie zu Beginn der Schicht gemeinsam ein Motivationsliedchen gesungen haben. Sicher, dies sind Probleme der heutigen Gesellschaft, doch gibt der Film keine Antworten. Es plätschert so vor sich hin bis alles eskaliert und danach plätschert es eben weiter. Was will uns „Das ganze Leben liegt vor dir“ eigentlich sagen? Grundlage des Films war das Buch „Il Mondo Deve Sapere“ von Michela Murgia, die ihre Erlebnisse in einem Call-Center niederschrieb. Das Drehbuch entwickelte die sozialkritische Thematik weiter und stellte ihr die philosophische Welt als Kontrastprogramm gegenüber: Während Sonia im Call-Center potentielle Kunden bequatscht, vermittelt Marta deren Tochter philosophische Grundgedanken verpackt als Gute-Nacht-Geschichten. Dieser krasse Gegensatz soll die kranke Realität besonders verdeutlichen, wirkt aber plump und überheblich.
Trotzdem hat „Das ganze Leben liegt vor dir“ einen gewissen Reiz. Die Geschichten der einzelnen Figuren sind nah am Leben dran und deshalb sehr menschlich. Man fühlt mit ihnen mit und obwohl Alle ihre Fehler haben, ist Keiner nur gut oder nur böse. Auch das ist menschlich. Die italienischen Schauspieler, die hierzulande eher unbekannt sind, spielen allesamt höchst glaubwürdig. Besonders die Leistungen der drei Frauen Ragonese, Ramazzotti und Ferilli sind bemerkenswert. Sie spielen sensibel und mit den richtigen Zwischentönen. Dies mögen Gründe für die vielen (italienischen) Nominierungen und Auszeichnungen des Films sein.