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Natural Born Killers

Natural Born Killers

Ein Film von Oliver Stone

52 Leichen pflastern den Weg von Mickey (Woody Harrelson, „Larry Flint“, No Country For Old Men) und Mallory Knox (Juliette Lewis, „Kap der Angst“, From Dusk Till Dawn) auf deren blutigem Streifzug quer durch die USA. Was auf den ersten Blick wie eine moderne „Bonnie & Clyde“- Variante aussieht, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen lediglich als die banalisierte Oberfläche eines weitaus tiefschürfenderen, fatalistischeren Kerns. Denn Mickey und Mallory sind keine gelangweilten Provinzler, die ihr ödes Leben hinter sich lassen und gegen die gesetzlichen Institutionen rebellieren wollen. Sie sind pervertierte Massenmörder, die ihre krankhafte Geltungssucht den schrecklichen Erlebnissen in ihrer Kindheit zuzuschreiben haben und nun – auf scheinbar rehabilitierende Weise – von den sensationslüsternen Medien nicht nur anerkannt, sondern geradezu wie Popstars gefeiert werden. Als „Futter“ für Reporter wie den egomanischen Wayne Gale (Robert Downey Jr., Iron Man, Zodiac - Die Spur des Killers)hinterlassen die beiden Psychos an jedem Tatort einen Überlebenden, der dann von dem Blutbad berichten soll.

Kaum ein anderer Film der 90er Jahre hat die Massen so krass polarisiert wie
Oliver Stones jähzornig-aggressive Gesellschafts- und Mediensatire „Natural Born Killers“. In Irland wurde der Streifen verboten, in einigen weiteren Ländern dachte man ebenfalls an Boykott und setzte den Film gegebenenfalls vorzeitig auf den Index. Der pauschale Vorwurf, es würde Gewalt verherrlicht bzw. verharmlost, bekam zusätzlich Nahrung, als vereinzelt Nachahmungstäter als Vorbild für ihr grausames Handeln „Natural Born Killers“ angaben und somit den perfekten Stoff für jene geifernden Pseudo-Moralisten lieferten, in deren Kreuzfeuer Stone schon 1983 mit seinem Skript zu Brian de Palmas Scarface geraten war.

Doch Statistiken über reale Mordfälle, die angeblich auf den reichen Inspirationsfundus der Kunst zurückzuführen sind, hin oder her: Einen Regisseur dafür zu diffamieren, dass er seinem Publikum lediglich den Spiegel vorhält, ist schon eine heikle Angelegenheit, der eigentlich erst einmal eine gründliche Analyse des Films hätte vorausgehen müssen. Leider geschah dies in den meisten Fällen nicht. Stone setzte mit „Natural Born Killers“ ein deutliches, klagendes Ausrufezeichen gegen eine von den Medien beherrschte und kontrollierte Gesellschaft, deren bedingunglose gegenseitige Abhängigkeit mit der Möglichkeit des Fernsehens, ausnahmslos alles durch eine „gefilterte“ Realität konsumierbar zu machen, dem Verfall der menschlichen Psyche gleichkommt. Gewalt im TV und Gewalt in der Wirklichkeit erscheinen als zwei verschiedene Welten, solange man selbst nicht betroffen ist. Da kann man sich sogar über den arbeitslosen, offensichtlich pädophilen Vater amüsieren, der seine eigene Tochter vor laufender Kamera begrapscht und anzügliche, obszöne Witze macht – schließlich läuft das Ganze im Rahmen einer Sitcom ab (das eingespielte Gelächter vom Band wirkt auf erschreckende Art erleichternd) und wird somit entschärft. Die Ernsthaftigkeit des Geschehens und die innere Unzufriedenheit über die Schlechtigkeit der Menschheit können jedoch nur unzureichend kompensiert werden. Ebenso wie das durch und durch unangenheme Gefühl, gerade als Voyeur entlarvt worden zu sein. In einer späteren Szene, in der Mickey Mallory von ihrem perversen Dad befreit und diesem Schläge und Tritte versetzt, ertönen erst der Gong eines Boxkampfs und dann Geräusche wie aus einem Tom & Jerry-Trickfilm aus dem Off; zwitschernde Geräusche, so als würde der Vater „Sternchen sehen“. Diese Vereinfachung bzw. Verharmlosung der Gewalt ist nicht nur aufgrund der Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Fiktionalem so schockierend, sondern auch weil der „Retter in der Not“ Mickey und seine endlich von ihren Qualen erlöste Flamme Mallory auf einmal als Sympathieträger aus der Szenerie hervorgehen. Und welcher Zuschauer kann sich da schon ausnehmen? So viel zum Thema mediale Manipulation…

Natural Born KillersNatural Born KillersNatural Born Killers
„Der Mensch ist von Natur aus schlecht“, sagte Schopenhauer einst sinngemäß. Und mit Oliver Stone („JFK“, „Platoon“, The Doors) hat der deutsche Philosoph des 18. und 19. Jahrhunderts wohl einen Bruder im Geiste gefunden. Beginnend mit der dysfunktionalen Familie Mallorys, die aus dieser ausschließlich mit Gewalt ausbrechen kann, die ihrer Wut über ihre verpatzte Entwicklung zum „normalen“ Individuum nur mit äußerster Brutalität und dem blinden Niedermetzeln von Unschuldigen Luft machen kann, entwirft Stone ein pessimistisches Schaubild von Ursprung, Entstehung und Fortpflanzung der Gewalt, zeigt, dass sie überall präsent ist und niemand behaupten kann, mit ihr nichts am Hut zu haben. Eine Erkenntnis, die im Übrigen schon im Intro durch einen totgefahrenen Skorpion auf der Route 66 symbolisch vorweggenommen wird. Gefördert von der skandalsüchtigen, sensationsgeilen Medien, die sich am Leid anderer ergötzen, nur um sich selbst zu profilieren und die Bürger des Landes mit immer neuen brisanten Storys zu versorgen, nimmt die Verbrecherkarriere von Mickey und Mallory ihren Lauf. Gewalt und Sex verkauft sich am besten – das weiß auch Wayne Gale, der die nach Anerkennung dürstenden Massenmörder genauso tief bewundert wie der naive Nachwuchs, der plötzlich auch so „cool“ sein möchte wie Mickey und Mallory.

Doch Stone geht noch weiter: Der ehrgeizige Polizist Jack Scagnetti (Tom Sizemore, „Geboren am 4. Juli“, Heat), der sich zwar sicher auch gerne ein schönes Stück vom leckeren Kuchen des Ruhms abschneiden will, aber vor allem darauf bedacht ist, für Recht, Zucht und Ordnung zu sorgen und das Killer-Gespann für immer wegzusperren, auch er wird vor den Augen Schaulustiger zum Gewalttäter, als er Mallory bei der Festnahme mit dem Knüppel zu Boden prügelt und dem erzürnten Mickey daraufhin androht, er würde „seiner kleinen Freundin die Titten abschneiden“, wenn er sich nicht anstandslos stellen würde. Und der Gefängniswärter Dwight McClusky (Tommy Lee Jones, „No Country for old Men“, „Men in Black“) rühmt sich damit, mit dem rechtschaffenen Auge des Gesetzes über die seiner Ansicht nach niederen Geschöpfe hinter Gittern zu wachen.

Natural Born KillersNatural Born KillersNatural Born Killers
„Natural Born Killers“ ist ein audiovisueller Amoklauf. Zu so grundverschiedenen Musik-Acts wie Leonard Cohen, Bob Dylan, Depeche Mode, Rage Against the Machine oder Giacomo Puccini lässt Oliver Stone in rekordverdächtigen 3000 Schnitten körnige Schwarz-Weiß-Aufnahmen, Zeichentrick- und Fotokollagen, knallbunte, sich beißende Farben, Slow-Fast-Slow-Motion, gekippte oder gekrümmte Bildeinstellungen und sonstige optische Gimmicks auf den Zuschauer niederprasseln und unterstreicht die Allmacht der Medien und deren überfrachtenden, manipulativen Charakter. Hinzu kommen die exzessiven, mit Zynismus bis an die Schmerzgrenze gespickten Gewaltdarstellungen, die nicht nur den Veranstaltern und Laudatoren der Filmfestspiele von Venedig die Zornesröte ins Gesicht getrieben haben. Doch ähnlich wie bei Kubricks „A Clockwork Orange“ (wobei das natürlich zwei thematisch völlig unterschiedliche Filme sind) ist gerade die überdimensionale, teils ästhetisierte Brutalität vonnöten, um ein breites Publikum zum Nachdenken anzuregen. Hätte Oliver Stone den Stoff mit Samthandschuhen angefasst oder in ein prätentiöses Lehrstück verpackt, wäre er ignoriert worden. So aber gelingt es ihm, das breite philosophische Spektrum des Films voll auszureizen, in dem er seine Zuschauer provoziert und mit den paradoxerweise unheimlich charismatischen Hauptdarstellern Woody Harrelson und Juliette Lewis, deren Performances sowohl angst- als auch respekteinflößend ausfallen, aus der Reserve lockt.

Selbst für den firmen DVD-Käufer verwirrend dürften die vielen Fassungen des Films sein, von denen man wohl am besten zum mit dem „SPIO/JK“-Siegel versehenen Director`s Cut greift. Der Cover-Aufdruck „nach einer Story von Quentin Tarantino“ ist ebenfalls etwas irreführend. Da das Drehbuch des Maestros zu seiner kultigen Räuberpistole True Romance nämlich zu lang war, gab er den zweiten Teil an Oliver Stone ab, der daraus dann „Natural Born Killers“ strickte.

Dass Stones subversiver Wachrüttler so kritisch aufgenommen wurde, mag auch daran liegen, dass einige der Realität, die durch ihre überzogene Darstellung im Film willentlich zum Zerrbild ihrerselbst wird, nur ungern ins Auge blicken wollen. Der US-Waffenfetischismus und die immer noch hohe Kriminalitätsrate dort (aber auch in Europa) sind Tatsachen, die mit Vorliebe totgeschwiegen werden. „Natural Born Killers“ fördert keine Gewalttäter in dem Sinne, dass er sie vorsätzlich zum bestialischen Töten animiert, weil er Kapitaldelikte wie Mord und Vergewaltigung als etwas Beiläufiges, Verzeihbares hinstellt, sondern zeigt auf, wie eine durch die unaufhaltsame Mediatisierung vereinsamte und abgestumpfte Umwelt ihre Gewalttäter fördert und wie die Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit aus „unvorbelasteten“ Existenzen traurige, verbitterte Individuen formt, deren zermürbende Schuldgefühle in nackter Brutalität kulminieren. „Natural Born Killers“ steckt voller intelligenter Metaphern und angriffslustigem Subtext, so dass ein mehrmaliges Ansehen dringend erforderlich ist, will man den chaotischen, aber dennoch außergewöhnlichen Bildern dieser wahnwitzigen Tour de Force in vollem Umfang gerecht werden.

Eine Rezension von Christopher Michels
(14. September 2009)
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Daten zum Film
Natural Born Killers USA 1994
(Natural Born Killers)
Regie Oliver Stone Drehbuch David Velzoz, Richard Rutowski, Oliver Stone
Produktion Warner Kamera Robert Richardson
Darsteller Woody Harrelson, Juliette Lewis, Robert Downey Jr., Tommy Lee Jones
Länge 120 Minuten FSK ab 18
Filmmusik Trent Reznor
Kommentare zu dieser Kritik
Brandywine sagte am 14.09.2009 um 22:45 Uhr

Ich mochte den Film damals, und mag ihn heute :)

Obwohl "Fight Club" meiner Meinung nach noch ein paar Schritte weiter geht.
travisbickle TEAM sagte am 16.09.2009 um 15:01 Uhr

Bin gerade drauf aufmerksam geworden, dass der Film heute abend um 23:45 Uhr auf dem HR läuft.

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