Filmkritiken - von Independent bis Hollywood
 
2008 Filmkritiken | 10468 Personen | 3323 Kommentare  
   
Bitte wählen Sie

Email

Passwort


Passwort vergessen

> Neu anmelden

Auch interessant



Indiana Jones - Jäger des Verlorenen Schatzes
von Steven Spielberg




Meist gelesen¹

1. 
Cannibal Holocaust (Nackt und Zerfleischt)  

2. 
Martyrs  

3. 
Auf der Alm da gibt's koa Sünd  

4. 
Troll Hunter  

5. 
Antikörper  

6. 
Das Zeiträtsel  

7. 
Supernatural  

8. 
Harry Potter und der Orden des Phönix  

9. 
Andromeda - Tödlicher Staub aus dem All  

10. 
Midnighters  
¹ gilt für den aktuellen Monat

  FILMSUCHE
  Sie sind hier: Filmkritiken > Oliver Stone > JFK - Tatort Dallas
JFK - Tatort Dallas RSS 1.0


JFK - Tatort Dallas

JFK - Tatort Dallas

Ein Film von Oliver Stone

(USA, 1991)



„Beware the ides of March.”
(William Shakespeare, "Julius Caesar")


„They´ve been doing it all through history. Kings are killed. Politics is power, nothing more.”



Man hat heute ein bisschen vergessen, wie vielen patriotischen Amerikanern dieser Film damals Schaum vor dem Mund verursachte. Was für ein Jahrhundertsturm an Anschuldigungen und Anfeindungen über Oliver Stone hereinbrach. In einem späteren Interview mit seinem Biograph James Riordan sagte der Regisseur, er könne sich nicht mehr an alle erinnern, „es waren einfach zu viele“. Die TIME giftete süffisant: "Wer hat Kennedy ermordet? Wenn es nach Oliver Stone geht: Jeder. FBI, CIA, texanische Verschwörer. Nur Lee Harvey Oswald nicht."

Walter Cronkite, der live auf CBS den Tod des Präsidenten verkündete und dabei eine bedrückende Sekunde lang seine Nachrichtensprecherabgeklärtheit vergas, knöpfte sich Filmkritiker Roger Ebert vor, der mit seiner positiven Rezension einer exklusiven Minderheit angehörte. Nichts an all dem sei wahr, absolut gar nichts.

Den Vogel schoss Jack Valenti ab, damals Präsident der Motion Picture Association of America. Er verglich den Film mit Leni Riefenstahls Triumph of the Will (Triumph des Willens, 1941) - und Stone indirekt mit Hitler.

Damals dachte man, JFK sei eine irrige, haars
träubende Verschwörungsphantasie, der man keine Sekunde lang auf den Leim gehen dürfe. Was dort auch alles behauptet wurde: Lee Harvey Oswald soll gar nicht der Schütze und John F. Kennedy Opfer einer Verschwörung gewesen sein. Praktisch alle sollen mit drin gehangen haben: seine politischen Gegner, die CIA, das Militär, die Mafia, sogar Nachfolger Lyndon B. Johnson ("Get me the election and I´ll give you your damn war.")!

Für eine Öffentlichkeit, für die Watergate eher ein Ausrutscher war, die unter Reagan und Bush eine Dekade ungebremster Selbstverliebtheit erlebte und im aktuellen Irakkrieg unter Einsatz modernster PR-Mittel erneut lernte dass die Bösen immer woanders hocken, für die war so viel Abtrünnigkeit zu viel.

Schaut man sich den Film heute an, muss man immer noch daran denken, dass man eine von unzähligen (un-zäh-li-gen!) Theorien zum Thema zu sehen bekommt. Man muss im Hinterkopf haben: Nicht alles, was uns Stone zeigt ist faktisch wahr, und nicht alles ist reiner Verschwörungsmumpitz. Und die Grauzone dazwischen ist so groß wie dieser Film lang ist.

JFK ist keine sachliche Dokumentation. Er ist ein Politthriller, und zwar immer noch einer der interessantesten. Ein Film, der nicht immer die richtigen Antworten liefert, aber mit Sicherheit die richtigen Fragen stellt. Denn zwanzig Jahre später wissen wir immerhin, dass wir immer noch zu wenig wissen. Und dass das, was man uns hat wissen lassen, zu wenig ist und vielleicht auch gar nicht stimmt.

JFK - Tatort DallasJFK - Tatort DallasJFK - Tatort Dallas

Oliver Stone hatte in den Achtzigerjahren eine autoaggressive Lust an politisch provokanten Stoffen. Mit Platoon (1986) und Wall Street (1987) legte er sich mit Krieg und Kapitalismus an, also mit den essenziellen Geschäftsgrundlagen des konservativen Amerikas. In beiden Filmen glaubte er, mit dem brutalen Sargent Barnes (Tom Berenger) und dem glitschigen Gordon Gecko (Michael Douglas) zwei astreine Bösewichter erschaffen zu haben. Stattdessen hatten Rednecks und Bankster ab sofort neue Helden. So kann's manchmal gehen.

Für JFK (JFK - Tatort Dallas, 1991), seiner epischen Verschwörungstheorieverfilmung, schnappte er sich die Sachbuchvorlagen von Jim Marrs (Crossfire – The Plot That Killed Kennedy) und James Garrison (The Star Spangled Contract – On the Trail of the Assassins). Garrison machte er zum Held des Films. Dass es sich bei dem New Orleanser Staatsanwalt um eine eher zwielichtige Gestalt handelt, die Kontakte zur lokalen Mafia unterhielt, aus dem Stone im Film einen streberhaften, idealistischen Moralapostel mit Pfeife und Schlapphut macht, das ist vielleicht nur eine Fußnote. Vielleicht aber auch nicht.

Vielleicht sollte man festhalten, dass Stone nicht nur ein Teilzeitpolitdenker ist, der dabei seine guten und seine schlechten Tage hat, sondern auch einer der besten Filmemacher seiner Zeit. Und JFK ist, Kontroverse hin oder her, sein letztes großes Festspiel.

Schon der Vorspann ist ein kleines, perverses Meisterwerk. Originalaufnahmen, die die Welt schon oft gesehen hat und doch umso unheilvoller wirken. Kennedy steigt in Dallas am Flughafen in die offene Limousine und fährt in die Stadt. Jubelnde Menschen links und rechts am Straßenrand. Die große Digitaluhr am Dealey Plaza arbeitet sich erbarmungslos auf 12 Uhr 31 vor. Rasselnde Armee-Trommeln, die sich fast wie Pistolenschüsse anhören. Abgefeuert von unzähligen Händen aus dem Dunkel. Die Musik von John Williams hängt wie ein Gewittergrollen über den Bildern.

In den nächsten drei Stunden verfolgt Stone akribisch den langen Kampf des Staatsanwaltes James Garrison (Kevin Costner), der drei Jahre nach dem Attentat den Fall neu aufrollt, unermüdlich nach Zeugen und Informationen sucht und schließlich einen der mutmaßlichen Verschwörer, der Geschäftsmann Clay Shaw (Tommy Lee Jones) vor Gericht stellen will. Je tiefer Garrison und sein Team graben, desto mehr ungelöste Fragen türmen sich auf, desto tiefer und schwärzer wird das Fass ohne Boden. Von den amtlich bekannt gegebenen Fakten über das Attentat, die sich bei genauem Hinsehen als unglaubhaft erweisen, über die erbitterten Sabotageversuche der mächtigen Gegner aus dem Hintergrund bis hin zu Theorien und Hypothesen über Korruption und Machtmissbrauch, Krieg und Geld - am Ende steht, wie das Lexikon des Internationalen Films recht schön schreibt, „eine deprimierende Geschichtsstunde“.

Wir bekommen nichts. Kein Happy End, keine eindeutige Antwort. Nur die vage Aussicht darauf, dass eines Tages doch die Wahrheit ans Licht kommen möge.

JFK - Tatort DallasJFK - Tatort DallasJFK - Tatort Dallas

JFK ist berüchtigt für seine Länge und Detailfülle. Die drei Stunden sind niemals langweilig, selbst der Director's Cut mit 206 Minuten nicht. Aber es ist dieses Gewirr aus Namen und Fakten, Verschlingungen und Verstrickung, das einen kaum Land sehen lässt. (Ich habe irgendwann aufgegeben die Versuche zu zählen, diesen Film in einem Rutsch zu sehen. Dass es doch noch geklappt hat, ist einer generalstabsmäßigen Planung einschließlich Abschalten des Handys zu verdanken.)

Das hat natürlich System. Stones umstrittendster Streifen ist inhaltlich und visuell eine einzige, virtuose Reizüberflutung. Hier verschmelzen Realität und ihre filmische Darstellung. Der Film beginnt mit einer Rede von Dwight Eisenhower und einer vom Regisseur gesprochen zeitgeschichtlichen Einordnung, so als müsse man gleich seine Klassenhefte zum Mitschreiben herausholen. Nicht nur im Vorspann, auch an anderen Stellen werden Originalaufnahmen eingefügt. Die Filmhandlung wiederum wird manchmal in verwackelte oder grobkörnige Schwarzweißaufnahmen gepackt. Das Historische verfließt mit dem Fiktiven, und Fiktion sieht bei Stone manchmal trügerisch wie Geschichte aus. Und als ob das noch nicht reichte, sorgt das Lichtdesign in manchen Szenen für eine fast surreale Überhöhung des Geschehens.

Trotzalledem ist JFK immer noch einer der besten, spannendsten, beklemmendsten Verschwörungsthriller aus der Postphase seiner Hochzeit, den Siebziger Jahren. Ein Fest für alle, die natürliche Spannung dem billigen Thrill vorziehen und dabei genug Geduld mitbringen. Ein cineastisches Großprojekt mit einer fast beispiellosen Parade an prominenten Schauspielern. Man verzeiht das Namen- und Faktendickicht. Man verzeiht, dass Sissy Spasek in der Rolle von Garrisons Frau rettungslos verkümmert, weil sie nichts anderes spielen darf als das besorgte Eheweib, das sich nicht um Wahrheit und Gerechtigkeit schert, sondern nur ums schnöde Familienwohl.

Man verzeiht sogar Kevin Costners donnerndes Schlussplädoyer am Ende, diesen absurden Moralorgasmus, bei dem er aus dem Abraham Lincoln-Zitieren gar nicht mehr herauskommt.

JFK - Tatort DallasJFK - Tatort DallasJFK - Tatort Dallas

Und, ganz ehrlich: Die Frage danach, welche Fakten in diesem Thriller nun bis auf das Haarkleinste stimmen und welche überhaupt nicht, ist mir zu hoch. Und nach längerem Abwegen: zu nebensächlich. Ich kann da nur ein Werbeplakat der Piratenpartei zitieren, das tollste politische Werbeplakat das ich kenne, unabhängig davon, welcher Parteiname draufsteht: „Trau keinem Werbeplakat, informier dich selbst.“ Wer eine felsenfest-seriöse Aufarbeitung des Kennedyattentates will, muss sich die Mühe machen und viele Bücher lesen – und dann immer noch mit der großen Restunsicherheit leben.

Oder bis zum Jahr 2017 warten. Da will die CIA tatsächlich alle relevanten Dokumente zum Thema herausrücken. Also zu einem Zeitpunkt, an dem keiner der beteiligten Akteure mehr am Leben sein wird.

JFK liefert überwältigendes Spannungskino – nicht mit dem Mittel gesicherter Geschichte, sondern mit dem Mittel der Interpretation von Geschichte. Und er ist und bleibt ein Denkmal für die aufklärerische Attitüde des prinzipiellen Zweifels. Ein Mahnmal für all die, die lieber einmal zu oft grübeln und nachfragen, als einmal zu oft zu schnell glauben und abnicken.

Und noch was: In einer sehr schönen, unscheinbaren Szene liefert Stone einen Metakommentar auf das Genre des Verschwörungsthrillers. Zu Beginn der Ermittlungen verhört Garrison einen der vielen Zeugen, die etwas wissen könnten, gespielt von Jack Lemmon. Er will nicht reden. Garrison beschwichtigt: "Sie brauchen keine Angst zu haben. Niemand erfährt etwas von dem, was Sie mir sagen". Lemmon wirft ihm einen starren Blick zu, halb verächtlich, halb amüsiert: "Sie sind so naiv."

Wer das Genre kennt weiß: Irgendjemand erfährt immer etwas. Und zwei Szenen später gibt es eine Leiche mehr.

Eine Rezension von Gordon Gernand
(19. Dezember 2011)
    JFK - Tatort Dallas bei ebay.de ersteigern


Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

Daten zum Film
JFK - Tatort Dallas USA 1991
(JFK)
Regie Oliver Stone Drehbuch Oliver Stone, Zachary Sclar (Drehbuch); Jim Garrison, Jim Marrs (Sachbuchvorlage)
Produktion Warner Bors. Pictures, Canal+, Regency Enterprises, Alcor Films, Ixtlan, Camelot Kamera Robert Richardson
Darsteller Kevin Costner, Tommy Lee Jones, Gary Oldman, John Candy, Walter Matthau, Jack Lemmon, Donald Sutherland, Kevin Bacon, Joe Pesci, Sissy Spacek, Michael Rooker, Laurie Metcalf
Länge 189 Min. (206 Min. Director´s Cut) FSK
Filmmusik John Williams
Kommentare zu dieser Kritik

Kommentar schreiben | Einem Freund empfehlen

 

Impressum