„I hate hospitals... people die here.“
Der Däne
Ole Bornedal, den man hierzulande wohl am ehesten als Regisseur des gefeierten Spannungsthrillers „Nightwatch - Nachtwache“ [1994] und dessen US-Remake „Freeze – Alptraum Nachtwache“ [1997] kennt, ist ein Meister darin, wenn es darum geht, aus einer recht limitierten Ausgangslage größtmögliches Potential zu ziehen. Filme wie „I am Dina“ [2001] mit Gerard Depardieu, der in dem Jahr zum meistgesehenen Beitrag in Skandinavien avancierte, festigten nachhaltig Bornedals Ruf als versierter Filmemacher, der neben gekonnter Bildsprache auch immer die psychologischen Aspekte seiner handelnden Personen in den Vordergrund rückte. Insofern durfte durchaus Großes erwartet werden, als sein Name in Zusammenhang mit einem neuen, originären Horrorthriller aus der Sam-Raimi-Schmiede
Ghost House Pictures gebracht wurde. Und in der Tat erweist sich
„POSSESSION – DAS DUNKLE IN DIR“, der nach Aussage der ausführenden Produzenten zum innovativen Genrebeitrag geraten sollte, dann auch über weite Strecken als atmosphärisch-düsterer Schocker mit ordentlicher Darstellerriege, dem lediglich ein Makel, dafür jedoch ein nicht gerade unerheblicher, anhaftet: Denn obwohl er auf einem Originaldrehbuch des Autorenduos
Juliet Snowden und
Stiles White („
Knowing“ [2009]) basiert, gibt sich der Film letzten
Endes wie ein Remake einer Vielzahl von Genrekollegen, setzt brav Versatzstück an Versatzstück, ohne jemals wirkliche Eigenständigkeit zu demonstrieren.
Als die kleine Em (Natasha Calis) bei einem Flohmarktbesuch ein antikes Kästchen ersteht und mit nach Hause bringt, ahnen ihre getrennt lebenden Eltern Clyde (Jeffrey Dean Morgan) und Stephanie Brenck (Kyra Sedgwick) freilich noch nicht, dass dieses Objekt eine sonderbare Veränderung bei ihrer geliebten Tochter herbeiführen wird. Denn schon nach kurzer Zeit zeigt die Kleine eine sich stetig weitersteigernde Obsession für ihren „Schatz“ und wird ihrer Umwelt gegenüber zunehmend aggressiver. Papa Clydes Nachforschungen fördern schließlich Unglaubliches zutage: Einem alten jüdischen Volksglauben nach soll das Kästchen einen sogenannten
Dibbuk beherbergen, einen gefährlichen Totengeist, der sich von den Seelen Lebender ernährt. Solange das Kästchen verschlossen bleibt, geht von seinem unheimlichen Inhalt keinerlei Gefahr aus. Doch das kleine Mädchen hat den Deckel bereits geöffnet und damit dem übernatürlichen Parasiten ungewollt den Weg in diese Welt geebnet…
Es wird ja gerne dann und wann behauptet, die gezeigten Geschehnisse würden auf einer wahren Begebenheit beruhen, denn Realitätsbezug zieht immer. Doch im Falle von
„POSSESSION“ erweist sich dieser „Schachzug“ gar als allzu haarsträubend, um nicht zu sagen „frech“, wenn man die angeblich zugrundeliegenden Beweggründe auseinander pflückt. Denn abgesehen von einem Artikel in der
Los Angeles Times aus dem Jahr 2004, der von der Ebay-Auktion eines angeblich verstörenden Gegenstandes berichtete (nach Aussage des Verkäufers soll es sich hier um die unheilvolle Dibbuk-Box gehandelt haben), ist alles Weitere Spekulation oder schlichtweg der Phantasie zweiter Drehbuchautoren entsprungen. Die inflationär bemühte Behauptung „Nach einer wahren Begebenheit“ kann unsereins also getrost abwinken und sich vielmehr dem Geschehen als solchem hingeben.
Dieses ist, wie von Bornedal nicht anders zu erwarten, kunstvoll komponiert und nicht ohne morbide Schönheit, wenn mitunter sekundenlang auf tristen Landschaften verhaart wird, bevor das erlösende Schwarz des Szenenwechsels neue, erschreckende Entwicklungen einleitet. Untermalt von mal minimalistischer, mal brachial auf die Gehörgänge des Zuschauers einwirkende Musik von
Anton Sanko („Rabbit Hole“ [2010]), führt Ole Bornedal seine Film-Familie an den Rand des Erträglichen, jedoch nicht ohne deren Bedürfnissen und Problemen (getrennt lebende Eltern, Sorgerechtsstreitigkeiten) genügend Spielzeit beizumessen. Gekonnt pendelnd zwischen Familientragödie, Psychodrama und Horror-Thriller, zeigt der Regisseur, dass (s)ein Film auf dem Weg zum Finale durchaus einige Haken schlagen und dennoch Zielstrebigkeit beweisen kann. Nichts wird hier dem Zufall überlassen, alles hat einem mehr oder minder wichtigen Zweck zu dienen.
Und hier liegt dann auch der sprichwörtliche Hund begraben: So verschachtelt und vielschichtig der Weg zunächst erscheinen mag, so wenig innovativ gestaltet er sich auf den zweiten Blick. Denn abseits der versierten Handwerkskunst eines Bornedals, der viel Substanz in wenig Laufzeit zu stecken vermag, erzählt
„POSSESSION“ nichts Neues, nichts Originelles, nichts Weltbewegendes, was ihn von anderen Vertretern aus jüngster Zeit nachhaltig abheben würde. Man hört es nicht gerne, aber alles in dem Horrorthriller mit dem so gelungenen Filmplakat hat man irgendwo schon einmal gesehen, mal schlechter, mal besser. Das liegt wahrscheinlich in dem Umstand begründet, dass sich das Leitmotiv des eigentlich interessanten Dibbuk-Themas (mal wieder) auf die simplen Schlagworte „Besessenes Kind“ und „Exorzismus“ reduzieren lässt. Und plötzlich bleiben gute Vorsätze ebensolche: vollmundig auf den ersten, unerfüllbar auf den zweiten Blick. Denn recycelte Ideen sind nun einmal immer nur noch aufgewärmte Kost, auch wenn sie von einem aufstrebenden, zwölfjährigen Jungstar – beängstigend gut:
Natasha Calis –, alteingesessenen Serienstars –
Kyra Sedgwick („The Closer“) und
Jeffrey Dean Morgan („
Supernatural“) – und solider Tricktechnik getragen werden. Wirklich schade.
So stolpert
„POSSESSION“ mit eindrucksvoller Bildästhetik einem vorhersehbaren und über alle Maßen enttäuschenden Finale entgegen, das den vorher so feinfühlig aus dem „Ungewissen“ entwickelten Grusel in einem schlecht inszenierten und unnötig aufgebauschten Effekte-Spektakel verpuffen lässt. Das obligatorische offene Ende, das die traurige Frage aufwirft, ob dies wirklich die Quintessenz der Originalität darstellen soll, beschließt somit ein regelrechtes Wechselbad der Gefühle, wie man es im Kino selten erlebt. Man möchte loben, kritisieren, gutheißen und wohlwollend abwinken, alles zur selben Zeit, und sitzt am Ende doch nur hilflos da. Gesättigt, aber dennoch mit einer gewissen Leere. Der Untertitel des Films verspricht uns geheimnisvoll
Das Dunkle in Dir. Und wir fragen uns, ob
es vielleicht ja genauso aussieht...