„If I drive for you, you give me a time and a place. I give you a five-minute window, anything happens in that five minutes and I'm yours no matter what. I don't sit in while you're running it down; I don't carry a gun...
I drive.“
Der Fahrer ist kein Freund vieler Worte.
Damit seine Forderungen und Regeln für seine Kunden trotzdem klar verständlich bleiben, sind seine knappen Ausführungen scharf wie eine Rasierklinge.
In „Drive“, dem neuen Werk des dänischen „
Pusher“-Schöpfers Nicolas Winding Refn, verkörpert Oscar-Nominee Ryan Gosling („
Half Nelson“) den namenlosen Einzelgänger aus L.A., welcher sich tagsüber seine Brötchen abwechselnd in einer Werkstatt und als Stuntman in Actionfilmen verdient, während er in der Nacht den Fluchtwagen für diverse, zwielichtige Gestalten fährt.
Er beherrscht seine Jobs mit einer bemerkenswerten Präzision, was seinen Boss und Mentor Shannon (Bryan Cranston, „Breaking Bad“) schließlich auf den Plan ruft, selbst mit seinem Goldesel ins Profirennen einzusteigen.
Die Sache hat einen Haken:
Um die Summe für die Umsetzung seines Traums aufzutreiben, muss Shannon seinen eiskalten, früheren Geschäftspartner Bernie Rose (herrlich fies: Albert Brooks, „Broadcast News – Nachrichtenfieber“) anbetteln – und dieser hat mehr Dreck an seinen Händen kleben, als man es auf den ersten Blick wohl vermuten würde.
„Drive“, der übrigens auf dem gleichnamigen Buch von James Sallis basiert, ist allerdings kein reinrassiger Gangster-Thriller auf vier Rädern, sondern vor allem ein sowohl schönes wie auch melancholisches Stück
Neo-Noir-Kino (dieser Begriff bezeichnet in der Regel Werke, die sich inhaltlich oder stilistisch stark an klassischen
Film-Noir-Stoffen anlehnen).
Es ist diese dichte Atmosphäre, die sich im weiteren Verlauf zwischen dem wortkargen Helden und seiner alleinerziehenden Nachbarin Irene (Carey Mulligan, „An Education“) aufbaut, diese spürbar knisternde Elektrizität, welche zwischen den Charakteren in der Luft liegt, die den Film auf geradezu magische Art durchzieht und ihm eine gleichzeitig verlorene und hoffnungsvolle Note verleiht.
Die Romanze zwischen den zwei einsamen Menschen muss im Verborgenen lodern.
Irenes Ehemann Standard (Oscar Isaac) wird aus seiner Haft entlassen, und dieses Ereignis zerrt an dem empfindlichen Band, das sich langsam um die Seelenverwandten gewunden hat.
Standards Rückkehr bringt dabei nicht nur den früheren Alltag zurück, sondern wirft auch finstere Schatten auf das Leben sämtlicher Figuren.
Seine kriminelle Vergangenheit holt ihn erneut ein und droht seiner Familie.
Als selbstloser Helfer bietet ihm der Fahrer seine Dienste bei der Auslöschung seiner Schulden an.
Ein Tornado der Zerstörung zieht daraufhin erbarmungslos über die Beteiligten hinweg...
„The thing with Ryan [Gosling], you can look at him for hours. Very few actors have that. It's a gift.“
-- Nicolas Winding Refn
Trotz der ungemein dynamischen und geschmackvollen Inszenierung wäre „Drive“ nur die Hälfte ohne die Leistungen seiner Darsteller wert.
Das introvertierte Spiel mit Mimik und Gestik ist eine Kunst, die Ryan Gosling wohl beherrscht, wie kaum ein anderer Schauspieler seiner Generation.
Obgleich die Zuschauer wenige Informationen über die Hintergründe seines Charakters erhalten, füllt Gosling diesen auf zurückhaltende, aber höchst effektive Weise mit Leben.
Während der Szenen zwischen dem Fahrer und Irene, lassen dessen nur auf den ersten Blick statischen Gesichtszüge eine immense Menschlichkeit und Wärme erkennen – Worte sind in diesen Momenten gar nicht nötig, im Gegenteil: Sie wären selten so überflüssig gewesen.
In einem krassen Kontext steht die andere, raue Seite des mysteriösen Schutzengels.
Wenn dieser seine nächtliche Arbeit verrichtet, agiert er fast wie eine Maschine – ohne den Hauch einer echten Emotion unter dem wie eingemeißelten Pokerface. Eine Art menschlicher
Terminator.
Auf die später folgenden Vorfälle reagiert er weniger cool: Das Adrenalin pumpt durch seine Adern. Seine Augen füllen sich mit Zorn, der Hammer bebt in seiner Hand und seine Stimme wird ruhig. Bedrohlich ruhig.
Wer Ryan Gosling bereits in seiner frühen Rolle als jüdischer Skinhead in Henry Beans aufwühlendem „The Believer“ (dt. Titel „Inside A Skinhead“, 2001) erlebt hat, weiss, wie intensiv der Mime innerlich brodelnde Aggressionen ohne ein plumpes Klischeebild heraufbeschwören kann.
Vielleicht ist dessen Geheimnis auch einfach, dass er seine Rollen nicht bloß herunterspielt, sondern diesen vielmehr stets eine eigene, markante Note verpasst.
Auch „Drive“ ist trotz seiner actionlastigeren, zweiten Hälfte ein unverkennbarer „Gosling-Film“.
Man fragt sich, wer diese Figur mit dem Skorpion auf der Rückseite seiner Jacke wohl ist.
Wer ist dieser ruhelose Mann, der in der Nacht von Auftrag zu Auftrag und von Apartment zu Apartment zieht?
Vor wem ist er auf der Flucht – vor irgendwelchen Gangstern oder womöglich vor seinen eigenen Dämonen?
Nicolas Winding Refn gelingt es auch inszenatorisch, die Dualität seines Fahrers hervorzuheben, wenn er diesen einerseits wie einen wachenden Superhelden von einem Fenster aus auf Irene und ihren Sohn Benicio (Kaden Leos) herabblicken und diesen andererseits fast wie eine monströse Urgewalt à la Jason Vorhees unter eine Maske schlüpfen und Bösewichte im offenen Meer ertränken lässt.
Dieser ikonischen Darstellung steht Carey Mulligans verletzliche Irene entgegen, die bodenständiger kaum sein könnte und vielleicht gerade deshalb etwas verkörpert, nach dem der Fahrer sein Leben lang auf der Suche gewesen ist: Einen Anker in seinem rasanten Leben auf den Straßen.
Albert Brooks gibt in seiner verhältnismäßig kleinen Rolle ein absolutes Scheusal zum Besten, das ihm in der Kategorie „Nebendarsteller“ wohl sehr reale Chancen bei den folgenden Academy Awards einräumen dürfte.
Auch wenn das Hauptaugenmerk nun – im Gegensatz zu unsäglich vielen Werken dieser Zeit – glücklicherweise auf den schauspielerischen Performances liegt, darf keineswegs die herausragende Leistung Refns bei der stilvollen Inszenierung seiner Mischung aus Noir- und altmodischem Actionfilm unterschlagen werden.
Ein Actionfilm ist „Drive“ nämlich dann, wenn man den Begriff wieder, fernab schwindelerregender Schnitte und wackeliger Kameraaufnahmen, zu seinen früheren Tagen zurückführt und als einige mögliche Vorbilder Peter Yates' Klassiker „Bullit“ (1968), Walter Hills thematisch teilweise verwandten „Driver“ (1978) oder Michael Manns Erstling „Der Einzelgänger“ (1981) nennt.
Entgegen des Titels „Drive“ ist der Regisseur, der selbst übrigens keinen Führerschein besitzt, hier weniger an der permanenten Zelebrierung des Geschwindigkeitsrausches interessiert gewesen, sondern gestaltet die insgesamt drei Verfolgungsszenen auf sehr individuelle Weise.
Eine – fast wie ein Schachspiel - strategisch ausgetüftelte Flucht vor der Polizei bildet den Auftakt, während ein späteres Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem Gangsterauto den Zuschauern letztlich durch die weitgehend ungekünstelte Umsetzung die Schweissperlen auf die Stirn treiben wird - die Action fühlt sich sehr real an.
Die ungleich düsterere und brutalere zweite Filmhälfte beisst sich hier übrigens keineswegs mit der leisen Liebesgeschichte vom Beginn.
Nicolas Winding Refn war, ist und bleibt ein hochinteressantes Talent, das neben der „
Pusher“-Trilogie auch unerwartete, persönliche Geschichten wie „Fear X“ (2003) oder das trippige Wikinger-Epos „Valhalla Rising“ (2009) im Programm hat und – nicht unähnlich einem Quentin Tarantino – das Zitatkino zu einer Kunstform erhebt, die sich nicht bloß mit dem Einbau bekannter Elemente zufriedengibt, sondern diese in den Dienst des Gesamtwerks stellt.
Und ein echtes Feeling für den Einsatz passender Songs besitzt er auch.
Kenner werden zumindest gegen Ende schmunzeln, wenn Riz Ortolanis eigentlich sehr romantischer „Oh My Love“ ertönt – ein Stück, das ursprünglich aus dem Jacopetti/Prosperi-Mondostreifen „Addio, Onkel Tom!“ (1971) stammt...
„Drive“ ist völlig zu Recht ein Film, über den man redet. Und über den vermutlich auch in Zukunft noch geredet wird.