Ein Film, der sich auf „wahre Begebenheiten“ berufen muss, hat häufig ein inhärentes Glaubwürdigkeitsproblem, das er durch die Bezugnahme auf die Realität außerhalb des Films zu beschönigen versucht. Nicht so dieser Streifen, bei dem der Verweis auf die Tatsächlichkeit des Dargestellten am Ende der Vorführung eher noch einer Steigerung des filmisch erlebten gleich kommt, einem abschließenden Denkanstoß, der die Magengegend trifft.
Von Anfang an geht es in ALPHA DOG um die Stellung des Individuums in der Gruppe, um das Sich-(nicht-)durchsetzen gegenüber anderen. Die Diskrepanz zwischen jenen, die einen „Starken Mann markieren“ und jenen, die tatsächlich zur äußersten Gewalt bereit sind, wird fein differenziert an jeder einzelnen Figur herausgearbeitet. Die einzige Person in diesem Film, die sich nicht in dieses Schema pressen lässt – und deshalb mit Selbstzweifeln kämpft – wird schließlich zum Opfer der Geschichte:
Johnny Truelove (Emile Hirsch) ist ein kleiner Möchtegern-Drogendealer, der es sich mit dem Geld seines Vaters Sonny (Bruce Willis in kleiner Nebenrolle) erlauben kann, sich wie der Boss der Unterwelt aufzuführen. Zu Johnnys engstem Kreis gehört der coole und smarte Frankie (nicht schlecht in seiner ersten großen Kinorolle: Justin Timberlake), der immer alles im Griff und unter Kontrolle zu haben scheint, sowie der arme Prügelknabe Elvis Schmidt (Shawn Hatosy), der erst als alles schief geht zeigt, welches ALPHA DOG-Po
tenzial in ihm steckt. Umgeben ist die Clique selbstverständlich von einer ganzen Reihe junger Party-Hasen.
Auslöser für das sich langsam entwickelnde Desaster sind die Drogenschulden, die Jake Mazurski (Ben Foster) bei Johnny Truelove nicht termingerecht zurückzahlen kann. Nach einem Handgemenge bricht Mazurski bei Truelove ein und randaliert in dessen Wohnung. Truelove, selbst zu feige um sich dem völlig durchgeknallten Jake Mazurski entgegen zu stellen, nutzt einen „glücklichen“ Zufall und entführt Jakes Bruder Zack (Anton Yelchin), um diesen unter Druck zu setzen und so schneller an sein Geld zu kommen. Wegen seiner Eltern kann Johnny Truelove Zack aber nicht bei sich unterbringen, und so muss Frankie seine Loyalität beweisen und den Entführten Zack bei sich zu Hause unterbringen. Zack spielt zum Glück brav mit – er ist in Wahrheit ziemlich froh, mal mit coolen Typen zusammen zu sein und von seiner Mutter (gespielt von Sharon Stone) weg zu kommen.
Für die coolen Jungs wird der entführte Zack aber immer mehr zu einem Problem, weil sie feststellen, dass die Strafe auf Entführungen bis zu lebenslänglich ausfallen kann. Niemand darf von Zacks Entführtsein erfahren, er wird auf den Parties als neues Mitglied der Truppe eingeführt. Während Zacks Mutter in Hysterie versinkt und die Polizei eingeschaltet hat, droht Jake Mazurski Johnny umzubringen, wenn dieser mit Zacks Verschwinden etwas zu tun habe.
Die Sache ist Johnny Truelove von Anfang an über den Kopf gewachsen, und nun sieht sich der sonst so coole Anführer schon im Gefängnis sitzen. Er schiebt die Verantwortung so weit als Möglich auf Frankie ab, der sich nun schon einige Zeit um Zack kümmert, sucht aber weiter nach einer endgültigen Lösung für sein Dilemma, bei der ihm schließlich der immer unterschätze Elvis gern behilflich sein wird.
Mit viel Gefühl für die leisen Zwischentöne inmitten laut brüllender Bandenmitglieder zeichnet Regisseur und Autor Nick Cassavetes die brutale Unausweichlichkeit dummen Angebertums im jugendlichen Drogenmilieu nach. Mit erbarmungsloser Konsequenz bringt ein kleines Ereignis eine ganze Lawine von Problemen ins Rollen, die schließlich in einer Katastrophe enden. Die Darsteller des Films sind allesamt gut eingesetzte Werkzeuge, die hinter ihren Schimpf- und Fluchtriaden durchwegs eine Hilflosigkeit erkennen lassen, die dem Zuschauer kalte Schauer über den Rücken jagt.
ALPHA DOG ist ein brutal realistisches Rufzeichen in der Filmwelt künstlicher Stories. Vielleicht ist der Streifen manchem sogar ein kleiner Denkanstoß. Sehenswert ist er allemal.
Und etwas Schönes hat der Film trotz allem Bedrückenden auch zu bieten: Um die Tragik von Zack Mazurskis Charakter zu unterstreichen, hat Cassavetes ihm auf einer Party sein „Erstes Mal“ geschenkt, und es ist vielleicht das schönste „Erste Mal“, das je ein Film gezeigt hat...